23.04.2014 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Taylor Wessing Deutschland.
In Arbeitsverträgen werden die vom Arbeitnehmer zu erbringenden Leistungspflichten meist nur rahmenhaft umschrieben. Der Arbeitgeber kann diese Leistungspflichten mittels seines - auch Direktionsrecht genannten - Weisungsrechts gegenüber dem Arbeitnehmer einseitig konkretisieren. Neben Zeit, Inhalt, Art und Weise der zu leistenden Arbeit betrifft dieses einseitige Weisungsrecht auch den Ort, an dem die Arbeitsleistung zu erbringen ist. Gesetzlich geregelt ist das Weisungsrecht in § 106 Gewerbeordnung (GewO).
Bei der Ausübung seines Weisungsrechts ist der Arbeitgeber jedoch nicht völlig frei. Da zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer meist ein gewisses Machtungleichgewicht besteht und Arbeitsverträge in der Regel nicht frei verhandelt werden, hat sich der Arbeitgeber innerhalb der Grenzen eines billigen Ermessens zu halten (vgl. § 106 Satz 1 GewO). Das bedeutet, dass z.B. der Arbeitsort nicht willkürlich geändert und der Arbeitnehmer nicht ohne weiteres versetzt werden kann. Vielmehr hat der Arbeitgeber die beiderseitigen Interessen angemessen zu berücksichtigen. Auf Arbeitnehmerseite sind dies z.B. persönliche, familiäre oder sonstige außervertragliche Vor- und Nachteile. Auf Arbeitgeberseite sind es vor allem betriebsbezogene, sachliche Gründe - z.B. die unternehmerische Entscheidung, einen Standort zu schließen.
Ist dem Arbeitsvertrag ein bestimmter Arbeitsort ausdrücklich nicht zu entnehmen, kann der Arbeitnehmer nach § 106 GewO zwar grundsätzlich bundesweit versetzt werden. Allerdings ist einschränkend die Grenze billigen Ermessens zu beachten. Bei bestehendem Betriebsrat ist eine Versetzung überdies stets mitbestimmungspflichtig. Wenn eine Versetzung rechtlich nicht möglich ist, kann der Wechsel des Arbeitnehmers an einen anderen Standort nur mithilfe einer Änderungskündigung umgesetzt werden, d.h. mit einer Kündigung des bisherigen Arbeitsverhältnisses mit dem gleichzeitigen Angebot, das Arbeitsverhältnis an einem anderen Ort fortzuführen.
In der Praxis finden sich häufig Konstellationen, in denen der Arbeitsvertrag sowohl eine konkrete Regelung zum Arbeitsort enthält, als auch - ggf. durch Bezugnahme einer Betriebsvereinbarung oder eines Tarifvertrags - einen Vorbehalt, den Arbeitnehmer unter gewissen Voraussetzungen (z.B. bei betrieblichen Erfordernissen) an einen anderen Ort zu versetzen.
In der hier besprochen Entscheidung hatte das BAG Gelegenheit, viele Aspekte der Versetzung von Arbeitnehmern zu erörtern. So hat sich das BAG unter anderem mit den Fragen auseinandergesetzt, ob der Arbeitsort festgelegt wird, wenn im Arbeitsvertrag geregelt ist, wo die Tätigkeit beginnt und ob eine langjährige Beschäftigung an einem Ort dazu führt, dass der Arbeitnehmer berechtigt darauf vertrauen darf, nicht mehr versetzt zu werden.
Die Klägerin war seit 1994 bei der Beklagten, einem Unternehmen mit Sitz in Düsseldorf, beschäftigt. Der Arbeitsvertrag sah unter der Überschrift „1. Beginn der Tätigkeit“ vor, dass die Klägerin am „Beschäftigungsort Münster/Osnabrück, als Flugbegleiterin eingestellt“ wird. Bei Vertragsschluss hatten die Parteien eine „Betriebsvereinbarung“ in Bezug genommen, die unter anderem eine Klausel zur Versetzung des Mitarbeiters „unter Berücksichtigung seiner Kenntnisse und Fähigkeiten je nach betrieblichen Erfordernissen an einen anderen dienstlichen Wohnsitz“ enthielt. Eine fast wortgleiche Klausel enthielt der ebenfalls einschlägige Manteltarifvertrag.
Im Jahr 2011 schloss die Beklagte mit der bei ihr gebildeten Personalvertretung einen Interessenausgleich. Zahlreiche Einsatzorte - u.a. auch der Standort Münster/Osnabrück - sollten geschlossen, die diesen Einsatzorten zugeordneten Arbeitsplätze gestrichen und das Flugpersonal künftig nur noch von den Standorten Düsseldorf oder Hamburg aus eingesetzt werden. Nach Beteiligung der Personalvertretung versetzte die Beklagte die Klägerin an den Standort Düsseldorf. Zwei Monate später kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis „vorsorglich“ aus betriebsbedingten Gründen und bot der Klägerin die Fortsetzung ihres Arbeitsverhältnisses mit dem neuen Einsatzort Düsseldorf an. Die Klägerin nahm das Angebot unter Vorbehalt an, wendete sich jedoch mit ihrer Klage sowohl gegen die Versetzung, als auch die hilfsweise ausgesprochene Änderungskündigung.
Die Klage blieb in allen Instanzen ohne Erfolg. Das BAG hat entschieden, dass die Versetzung der Klägerin wirksam war. Das vertragliche Weisungsrecht der Beklagten umfasse die Befugnis, der Klägerin nach Maßgabe des § 106 GewO einen anderen Einsatzort zuzuweisen. Bei der Prüfung der Wirksamkeit einer Versetzung sei zunächst durch Auslegung der Inhalt der vertraglichen Regelungen zu ermitteln. Sei sowohl ein konkreter Arbeitsort, als auch ein Versetzungsvorbehalt vertraglich geregelt, so verhindere diese Kombination regelmäßig die vertragliche Beschränkung auf den im Vertrag genannten Ort der Arbeitsleistung.
Es mache daher keinen Unterschied, ob im Arbeitsvertrag auf die Festlegung des Arbeitsorts verzichtet und diese dem Arbeitgeber im Rahmen von § 106 GewO vorbehalten bleibe, oder ob der Arbeitsort bestimmt, aber die Möglichkeit einer Versetzung vereinbart werde. In diesem Fall werde lediglich klargestellt, dass § 106 GewO gelte und eine Versetzungsbefugnis an andere Arbeitsorte bestehen solle. Fehle es an einer Festlegung im Arbeitsvertrag, so ergebe sich der Umfang der Weisungsrechte des Arbeitgebers ebenfalls aus § 106 GewO. In jedem Fall unterliege die Zuweisung an einen anderen Arbeitsort der Ausübungskontrolle nach § 106 GewO, § 315 Abs. 3 BGB.
Eine Auslegung des Arbeitsvertrages ergab im konkreten Fall, dass ein bestimmter Einsatzort vertraglich nicht festgelegt und das Weisungsrecht insoweit nicht beschränkt war. Die betreffende Passage war mit „Beginn der Tätigkeit“ überschrieben und legte daher aus Sicht des BAG lediglich fest, wo die Arbeitnehmerin bei Vertragsbeginn ihre Arbeit aufnehmen soll. Darüber hinaus werde dieses Ergebnis durch die in den Arbeitsvertrag wirksam einbezogenen Allgemeinen Arbeitsbedingungen („Betriebsvereinbarung“) und den fast wortgleichen Manteltarifvertrag bestätigt.
Schließlich habe sich der Einsatzort der Klägerin auch nicht durch langfristige Nichtausübung des Direktionsrechts auf ihren ursprünglichen Einsatzort Münster/Osnabrück konkretisiert. Die Nichtausübung des Direktionsrechts über einen längeren Zeitraum schaffe regelmäßig keinen Vertrauenstatbestand dahingehend, dass der Arbeitgeber von diesem vertraglich und/oder gesetzlich eingeräumten (Versetzungs-)Recht in Zukunft keinen Gebrauch mehr machen wolle. Dies sei nur anzunehmen, wenn besondere Umstände hinzutreten, aufgrund derer der Arbeitnehmer darauf vertrauen darf, dass er nicht in anderer Weise eingesetzt werden solle. Allein die lange Verweildauer am bisherigen Einsatzort lasse diesen Rückschluss nicht zu.
Im Ergebnis habe die Beklagte bei der Versetzung der Klägerin von ihrem Weisungsrecht nach billigem Ermessen (§ 106 GewO, § 315 BGB) Gebrauch gemacht. Vor diesem Hintergrund erwies sich auch die Klage gegen die Änderungskündigung als unbegründet, weil der Arbeitsort bereits durch die wirksame Versetzung geändert worden war und damit gerade keine „Änderung der Arbeitsbedingungen“ i.S.v. § 2 KSchG mehr vorlag, die Änderungskündigung war insofern „überflüssig“.
Die Entscheidung bestätigt die bisher schon geltende Rechtsprechung zur Versetzung. Erfreulich ist vor allem aber die erneute Feststellung, dass eine langjährige Beschäftigung an einem Arbeitsort nicht „automatisch“ dazu führt, dass der Arbeitnehmer darauf vertrauen darf, dass der Arbeitsort nicht mehr geändert werden wird, sondern dass eine Versetzung auch dann - grundsätzlich - noch möglich ist.
Fehlt im Arbeitsvertrag eine Regelung zum Arbeitsort, kann eine Versetzung stets erfolgen, solange sie billigem Ermessen entspricht und ggf. bestehende Mitbestimmungsrechte gewahrt bleiben. Das BAG hat in dieser Entscheidung noch einmal festgestellt, dass auch die vertragliche Festlegung eines konkreten Arbeitsorts unschädlich ist, wenn der Vertrag gleichzeitig einen wirksamen Versetzungsvorbehalt enthält. Nach der Entscheidung des BAG konkretisiert dieser Vorbehalt nämlich lediglich das in § 106 GewO vorgesehene Weisungsrecht. Das bedeutet, der Arbeitgeber kann unter den genannten Voraussetzungen eine Versetzung vornehmen, auch wenn der Arbeitsvertrag zeitgleich einen konkreten Arbeitsort benennt.
In der Praxis ist es daher sowohl möglich, auf die vertragliche Festlegung eines konkreten Arbeitsorts und auf die Regelung eines Versetzungsvorbehalts zu verzichten, als auch einen Arbeitsort festzuschreiben und dies mit einem wirksamen Versetzungsvorbehalt zu verbinden. In beiden Fällen besteht das Recht zur Versetzung des Arbeitnehmers in den Grenzen des § 106 GewO. Es ist jedoch denkbar, dass Gerichte in Einzelfällen das berechtigte Vertrauen eines Arbeitnehmers auf den Erhalt seines Arbeitsortes eher verneinen und eine Versetzung somit für möglich halten würden, wenn eine Versetzungsklausel in dem Vertrag enthalten ist.
Wenn der Arbeitsvertrag einen Arbeitsort regelt und einen Versetzungsvorbehalt enthält, ist aus Arbeitgebersicht unbedingt darauf zu achten, dass dieser Versetzungsvorbehalt wirksam ist. Wäre der Vorbehalt nicht wirksam in den Vertrag einbezogen worden, bliebe im Ergebnis nur die Festlegung des Arbeitsortes im Arbeitsvertrag enthalten, der für sich genommen einer Versetzung entgegenstünde.
Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 28.08.2013 (Aktenzeichen 10 AZR 569/12).