In den Industriestaaten hat der Anteil berufstätiger Frauen seit 1990 deutlich zugenommen. Weltweit sind dennoch weniger als 40 % aller Arbeitskräfte weiblich. Geringere Erwerbsquote der Frauen ist oft auf traditionelle Rollenbilder, systemische Benachteiligung sowie starre Organisationsformen zurückzuführen.
Unternehmen können mit gezielten Maßnahmen ihre Anziehungskraft steigern. Die Corona-Pandemie, die steigende Inflation und eine mögliche Rezession haben den vom demografischen Wandel in den Industriestaaten ausgelösten Fachkräftemangel auf der ganzen Welt verschärft. Eine stärkere Beteiligung von Frauen am Erwerbsleben könnte Abhilfe schaffen. Tatsächlich sind derzeit weniger als 40 Prozent der weltweit Beschäftigten weiblich, was vor allem kulturellen Zuschreibungen, ungünstigen Arbeitsbedingungen und struktureller Benachteiligung geschuldet ist. Unternehmen müssen verstärkt an diesen Punkten ansetzen, um die weiblichen Fachkräfte für sich zu gewinnen. Zu diesem Ergebnis kommt die internationale Unternehmensberatung Bain & Company in ihrer Studie „Working Women and the War for Talent“. Dafür wurden rund 24.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Unternehmen aus Australien, Brasilien, China, Deutschland, Frankreich, Indien, Indonesien, Italien, Japan, Kanada, Nigeria und den USA befragt.
Ähnliche Motive, unterschiedliche Funktionen
„Männer und Frauen sind sich auffällig ähnlich in ihrer Bewertung von Vergütung, Jobsicherheit oder gesellschaftlichem Beitrag als Arbeitsansporn“, stellt Bain-Partnerin Mareike Steingröver fest, die für Diversity & Inclusion in Deutschland und Österreich zuständig ist. „Fakt aber ist, dass der weibliche Anteil am Arbeitsmarkt unterproportional ist und somit ein großes Potenzial an Fachkräften ungenutzt bleibt.“ Dabei ist in traditionellen Industrieländern die Erwerbsquote von Frauen seit 1990 auf deutlich über 70 Prozent gestiegen. Und in Deutschland arbeiten sogar knapp 80 Prozent aller Frauen, allerdings häufig in Teilzeit. In den schnell wachsenden Niedriglohnländern China, Nigeria und Indien hat der Anteil der weiblichen Beschäftigten in den vergangenen gut 30 Jahren hingegen abgenommen. Trotz aller Bemühungen in puncto Frauenförderung besteht am weltweiten Arbeitsmarkt also weiterhin eine Schieflage – und das sowohl im Hinblick auf den Anteil als auch auf die Entlohnung von Frauen.
Traditionelle Rollenbilder, starre Organisationen und systemische Nachteile
Bain identifiziert in seiner aktuellen Studie drei Faktoren, die sich für Frauen im Arbeitsleben als die größten Hindernisse erweisen:
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Traditionelle Rollenbilder. Noch immer beeinflussen althergebrachte Stereotype die Berufswahl von Mädchen. Sie entscheiden sich oft für sogenannte Care-Karrieren. Tatsächlich sind der Bain-Studie zufolge etwa in den USA nur 25 Prozent aller Computerfachleute weiblich und lediglich 13 Prozent aller Ingenieurposten mit Frauen besetzt.
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Starre Organisation. In Deutschland ist Flexibilität bei der Gestaltung der Berufstätigkeit und Arbeitszeit für viele Beschäftigte ein wichtiges Kriterium. Zu Beginn der beruflichen Karriere gilt dies laut der Bain-Studie noch für Männer und Frauen gleichermaßen, doch das ändert sich mit wachsendem Alter. So zählt hierzulande für 47 Prozent der unter 35-jährigen Frauen Flexibilität zu ihren drei wichtigsten Prioritäten, bei Männern sind es 42 Prozent. Bei den über 35-Jährigen kommen weibliche Berufstätige hingegen auf 50 Prozent, ihre männlichen Pendants nur noch auf 39 Prozent. Die Gründe liegen auf der Hand. Nach wie vor kümmern sich vorwiegend Frauen beispielsweise um Kinder oder pflegebedürftige Angehörige. Das manifestiert sich auch im überproportional hohen Anteil von Frauen bei der unbezahlten Arbeit – in den USA sind es 160 Prozent und in Japan sogar fast 500 Prozent mehr. Ein großer Teil arbeitet daher hierzulande in Teilzeit. Laut Statistischem Bundesamt sind 66 Prozent der erwerbstätigen Mütter in Teilzeit beschäftigt, allerdings nur 7 Prozent der Väter. In vielen europäischen Ländern ist der Anteil an teilzeitbeschäftigten Frauen laut Bain-Studie noch höher. Insgesamt sehen Frauen ihre Wünsche nach mehr Flexibilität bei der Gestaltung ihrer Berufstätigkeit und Arbeitszeit wenig berücksichtigt. In Deutschland sind über 70 Prozent der weiblichen Belegschaft der Meinung, dass die Unternehmen von ihnen verlangen, sich an die vorgegebenen Strukturen anzupassen.
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Systemische Nachteile. Noch immer beruhen viele Verhaltensweisen und Strukturen in Unternehmen auf unbewussten oder bewussten Vorurteilen gegenüber Frauen. Dies führt häufig zu einer systematischen Benachteiligung weiblicher Beschäftigter im Arbeitsleben. Sie werden bei Beförderungen beispielsweise häufig nicht berücksichtigt und müssen den Großteil der wenig karrieredienlichen Administration erledigen. Teilweise kann dies durch kulturelle Doppelstandards begründet werden: Während beispielsweise Durchsetzungsstärke bei Männern hoch geschätzt wird, ist diese Qualität bei Frauen weniger gerne gesehen.
„Unternehmen, die Frauen für sich gewinnen wollen, müssen sich aktiv um Lösungen für mehr Geschlechtergerechtigkeit bemühen“, betont Bain-Partnerin Stefanie Jacobsen, die das Women@Bain-Netzwerk in Deutschland leitet. „Sie könnten etwa die Elternzeiten für Frauen und Männer gleich lang gestalten oder neuartige Karrieremöglichkeiten schaffen, bei denen weibliche wie männliche Beschäftigte immer wieder neue Positionen einnehmen und ihren Arbeitseinsatz situativ anpassen.“
Ungleichgewichte beseitigen
Um weibliche Fachkräfte zu begeistern und so den gesamten Personalbestand zu stärken, können Unternehmen ein ganzes Bündel gezielter Maßnahmen ergreifen:
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Individualität berücksichtigen. Keine demografische Gruppe ist einheitlich. Deshalb sind die unterschiedlichen Kriterien, die eine Persönlichkeit und ihre Bedürfnisse ausmachen, in jedem Einzelfall zu berücksichtigen.
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Vorurteile bekämpfen. Führungskräfte sollten aktiv überkommene Rollenmodelle aufbrechen. So können sie etwa diverse Lebensformen positiv herausstellen, einen gerechten Zugang zu Förderung und Mentoring schaffen, Vernetzung und Kollegialität unterstützen sowie konkrete Aufklärung betreiben, um unterbewussten Stereotypen entgegenzuwirken.
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Flexibles Arbeiten ermöglichen. Die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig unterschiedlichste Arbeitsformen sind. Ob Büropräsenz, Homeoffice oder Teilzeitmodelle – entscheidend ist, dass alle Beschäftigten die gleichen Möglichkeiten erhalten.
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Zusammengehörigkeit verbessern. Das Topmanagement ist in der Pflicht, das Gefühl der Teilhabe in der gesamten Belegschaft zu stärken. Gerade für Frauen ist neben der Flexibilität vor allen Dingen ein kollegiales Arbeitsumfeld von großer Bedeutung (Abbildung).
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Wiedereinstieg erleichtern. Gerade viele Frauen haben während der Pandemie ihre Jobs aufgegeben oder die Arbeitszeit reduziert, um sich etwa um ihre Kinder zu kümmern. Laut der Bain-Studie möchten 90 Prozent von ihnen wieder berufstätig sein – was aber lediglich 40 Prozent gelingt. Auch nach regulären Baby- oder Pflegepausen haben fast drei Viertel der betroffenen Frauen Probleme, ins Berufsleben zurückzukehren. Unternehmen können den Wiedereinstieg erleichtern, indem sie Schulungen und Trainingsprogramme anbieten, mit denen die durch die Abwesenheit entstandenen Wissens- oder Kompetenzlücken geschlossen werden können.
„Nur wer ernsthafte Anstrengungen unternimmt, die Ungleichgewichte zwischen Frauen und Männern auszutarieren, wird die weiblichen Fachkräfte für sich gewinnen“, ist sich Bain-Expertin Steingröver sicher. „Zwar lässt sich die strukturelle Benachteiligung von Frauen nicht über Nacht beseitigen. Doch schon das Bemühen um ein ‚Empowerment‘ erzeugt positive Effekte. Davon profitieren nicht nur die weiblichen Beschäftigten in einem Unternehmen, sondern die gesamte Belegschaft.“
© Studie "Working Women and the War for Talent", Bain & Company, 2022; für Großansicht bitte anklicken
© Studie "Working Women and the War for Talent", Bain & Company, 2022