10.01.2012 — Udo Cremer. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Nachdem die Klägerin ihre Schulausbildung 2004 mit dem Abitur abgeschlossen hatte, studierte sie vom 1.2.2005 bis einschließlich Sommersemester 2006 Humanmedizin in Ungarn. In Deutschland hatte sie zuvor dafür keinen Studienplatz erhalten, auch nicht im Wege der Klage. Die Klägerin machte mit ihren Einkommensteuererklärungen der Jahre 2004 und 2005, in denen sie weder berufstätig war noch Einkünfte erzielte, Aufwendungen für ihr Studium als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Die Klägerin erklärte für das Jahr 2004 Aufwendungen zur Rechtsverfolgung und Studiengebühren in Höhe von insgesamt 11.453 EUR und für das Jahr 2005 solche in Höhe von 12.079 EUR, insbesondere für Rechtsverfolgung, Reisen und Studium.
Das FA hat den Antrag der Klägerin, einen verbleibenden Verlustvortrag auf den 31.12.2004 und 31.12.2005 in Höhe der in den Einkommensteuererklärungen für 2004 und 2005 geltend gemachten Werbungskosten festzustellen, abgelehnt.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren dagegen erhobene Klage wies das FG mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 873 veröffentlichten Gründen ab.
Die Revision der Klägerin ist begründet (BFH-Urteil vom 28.7.2011, VI R 7/10); sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Das FG hat die Aufwendungen der Klägerin für ihre Ausbildung als Medizinerin zu Unrecht ohne weitere Prüfung vom Abzug als (vorweggenommene) Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG ausgeschlossen. Werbungskosten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Nach Angleichung des Begriffs der Werbungskosten an den der Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 4 EStG liegen Werbungskosten vor, wenn sie durch den Beruf oder durch die Erzielung steuerpflichtiger Einnahmen veranlasst sind. Nach dem einkommensteuerrechtlichen Nettoprinzip ist für die Abgrenzung beruflicher Aufwendungen das Veranlassungsprinzip maßgebend. Die Aufwendungen sind danach beruflich veranlasst, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs geleistet werden. Dabei ist ausreichend, wenn die Ausgaben den Beruf des Arbeitnehmers im weitesten Sinne fördern. Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung des BFH grundsätzlich auch dann, wenn der Steuerpflichtige gegenwärtig noch keine Einnahmen erzielt. Dann sind die Aufwendungen als vorab entstandene Werbungskosten abziehbar, wenn sie in einem hinreichend konkreten, objektiv feststellbaren Veranlassungszusammenhang mit späteren Einnahmen stehen. Dabei kann der erforderliche Veranlassungszusammenhang auch bei berufsbezogenen Bildungsmaßnahmen erfüllt sein, denn § 9 EStG enthält keine Sonderregelung zu Berufsbildungskosten. Entscheidend bleibt daher, ob die Aufwendungen in einem hinreichend konkreten Veranlassungszusammenhang zur nachfolgenden auf die Erzielung von Einkünften gerichteten Berufstätigkeit stehen.
Der Werbungskostenabzug ist gegenüber dem Abzug von Aufwendungen als Sonderausgaben vorrangig. Das ist ein allgemeiner, für alle Sonderausgaben durch den Einleitungssatz zu § 10 Abs. 1 EStG normierter Grundsatz. § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG steht dem Abzug der Berufsbildungskosten als Werbungskosten nicht entgegen. Denn nach dem Einleitungssatz zu § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG sind Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine Berufsausbildung nur dann Sonderausgaben, "wenn sie weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind".
Dieser Vorrang für den Werbungskostenabzug gilt unverändert und insbesondere auch nach der Neuregelung des Abzugs der Berufsausbildungskosten und der Einführung des § 12 Nr. 5 EStG durch das Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und weiterer Gesetze vom 21. Juli 2004 (BGBl I 2004, 1753). Denn auch § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG i.d.F. dieses Änderungsgesetzes (BGBl I 2004, 1753) sieht den Abzug der Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine Berufsausbildung nur dann als Sonderausgaben vor, "wenn sie weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind". Danach entfaltet § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG unverändert keine Sperrwirkung gegenüber dem Werbungskostenabzug.
Auch § 12 Nr. 5 EStG lässt den Vorrang des Werbungskostenabzugs gegenüber dem als Sonderausgaben unberührt und steht daher dem Abzug der Berufsbildungskosten als Werbungskosten nicht entgegen. Dies gilt nicht nur für den vom Senat schon entschiedenen Fall, dass der Ausbildung oder dem sog. Erststudium eine abgeschlossene Berufsausbildung vorangegangen ist (dazu Urteil in BFHE 225, 393, BStBl II 2010, 816), sondern auch dann, wenn die Ausbildung eine Erstausbildung ist und die dafür getätigten Aufwendungen in einem hinreichend konkreten Veranlassungszusammenhang mit der späteren der Einkünfteerzielung dienenden Berufstätigkeit stehen.
Nach diesen Grundsätzen können Aufwendungen für ein im Anschluss an das Abitur durchgeführtes Medizinstudium auch unter Geltung des § 12 Nr. 5 EStG als vorab entstandene Werbungskosten anzuerkennen sein. Die Sache ist allerdings nicht entscheidungsreif. Denn das FG hat noch nicht geprüft, ob und welche Aufwendungen der Klägerin durch das Studium beruflich veranlasst und damit dem Grunde nach vorweggenommene Werbungskosten i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sind. Ein solcher Veranlassungszusammenhang ist regelmäßig gegeben, wenn das Studium Berufswissen vermittelt und damit auf die Erzielung von Einnahmen gerichtet ist.
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