16.11.2023 — Michelle Bittroff. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Dieses Eintauchen in künstliche Welten ist längst zu einem allgegenwärtigen Thema geworden. Denn der Einfluss von VR ist nicht mehr nur in der Gaming-Kultur zu finden, sondern erstreckt sich auch auf die Bereiche Kunst, Bildung, Medizin und Wissenschaft – und die Möglichkeiten sind schier grenzenlos. Ob als möglicher Therapie- und Behandlungsansatz bei Angststörungen oder Amputationsschmerzen, in der Tourismusbranche oder in der historisch-politischen Bildung: VR findet immer mehr Anwendung. Doch worin liegt eigentlich der Zauber der virtuellen Welt?
Was wäre VR ohne Immersion – das Gefühl des vollständigen Eintauchens in die virtuelle Welt? Dank Technologien wie VR-Brillen, die die Augen vollständig abdecken, erleben die Nutzerinnen und Nutzer ein intensives Gefühl der Präsenz im virtuellen Raum. Die visuelle Wahrnehmung der realen Umgebung wird somit vollständig abgeschirmt, wodurch die Erlebnisse unmittelbar und unglaublich realistisch wirken. Im Gegensatz zum Computerbildschirm oder der Augmented Reality (AR), bei der die reale Umgebung lediglich um digitale Elemente wie 3D-Animationen erweitert wird, bietet die virtuelle Welt eine völlig neue Dimension. Und genau darin liegt das einzigartige Potenzial von VR!
Dass sich VR nicht nur im Gaming-Bereich großer Beliebtheit erfreut, sondern auch Museen, Institute und andere Bildungseinrichtungen diese Technologie längst für sich entdeckt haben, zeigte sich spätestens während der Corona-Pandemie: Ausstellungen und Kunstwerke konnten durch virtuelle Rundgänge online einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. So war es möglich, Kunst ganz bequem vom Sofa aus zu bewundern.
Dies wiederum eröffnet völlig neue und vielfältige Bildungsmöglichkeiten, und der Zugang zu – und damit auch der gesellschaftliche Umgang mit – der eigenen Geschichte verändert sich grundlegend. Historische Ereignisse werden durch die immersive Kraft von VR hautnah erlebbar und finden längst nicht mehr nur in Büchern oder Filmen statt. Antike Sehenswürdigkeiten erstrahlen virtuell in neuem Glanz. Zeitzeugenberichte bleiben allgegenwärtig und auch nachfolgenden Generationen zugänglich.
Wie groß der zukünftige Nutzen von VR gerade in der Zeitzeugenarbeit ist und wie stark VR damit unseren weiteren Umgang mit Geschichte prägen kann, zeigt ein ganz besonderes Projekt, das bereits im kommenden Jahr veröffentlicht wird:
Man stelle sich folgendes Szenario vor: Es ist die Nacht des 9. November 1938. Die Straßen Münchens zeichnen ein Bild der Zerstörung - überall zerschlagene Schaufenster und ausgebrannte Gebäude. Für die Zeitzeugin Dr. Charlotte Knobloch war das vor mehr als 85 Jahren grausame Realität. Doch dank Virtual Reality wird ihre Geschichte in Zukunft der Öffentlichkeit zugänglich sein. Ab 2024 wird Dr. Charlotte Knobloch, die seit 1985 Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern ist, durch interaktive Rekonstruktionen zerstörter Synagogen führen. Sie wird außerdem Archivmaterial zugänglich machen und ihre persönlichen Erlebnisse als damals Sechsjährige teilen.
„Inside Kristallnacht“ ist ein wegweisendes Projekt der Claims Conference, der USC Shoah Foundation und MakeMePulse in Zusammenarbeit mit Meta, der UNESCO und dem Jüdischen Weltkongress. Ziel des Projekts ist es, nicht nur die Bedeutung dieser schrecklichen Nacht, die sich vor wenigen Wochen zum 85. Mal jährte, für den Beginn des Holocaust hervorzuheben, sondern auch über die Tragweite dieser Epoche aufzuklären und das Bewusstsein insbesondere der jüngeren Generationen zu schärfen.
„Inside Kristallnacht“ wird online, in Museen und Bildungseinrichtungen sowie über VR-Brillen, Internetbrowser und mobile Geräte zugänglich sein. Dr. Charlotte Knobloch selbst betont die Bedeutung des Projekts in einer Zeit, in der der weltweit wachsende Antisemitismus nach wie vor Besorgnis erregt:
„Wenn wir die Erinnerung an die Vergangenheit nicht wachhalten und die Lehren aus dem Holocaust nicht fördern, werden sie bald in Vergessenheit geraten und wir werden dazu verdammt sein, unsere Geschichte zu wiederholen. Wenn diejenigen von uns, die überlebt haben, weiterleben, werden diese Werkzeuge und diese Technologie weiterhin unsere Stimme und unser Zeugnis sein.“
Ein solches Projekt könnte also eine Antwort auf das Ende der Zeitzeugenschaft sein, indem es nicht nur Geschichte(n) hautnah erlebbar macht, sondern auch Erinnerungen und Berichte aus dieser Zeit an nachfolgende Generationen weitergibt. Zwar bleibt abzuwarten, inwieweit die Virtuelle Realität in Zukunft auch in alltägliche Lebensbereiche vordringen wird. Das Potenzial dieser Technologie, viele Bereiche unseres Lebens auch außerhalb der historisch-politischen Bildung zu verändern, bleibt jedoch bestehen.Quellen und Hintergründe:
Bild: fauxels (Pexels, Pexels Lizenz)
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