18.09.2024 — Samira Sieverdingbeck. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Die Grundlage für die Paralympics schuf der deutsche Neurologe Ludwig Guttmann. 1948 führte er erstmals die Stoke Mandeville Games für Menschen mit Rückenmarksverletzungen durch.
Erst 1960 fanden die ersten Paralympics in Rom statt. 400 Sportlerinnen und Sportler aus 23 Nationen traten in acht Disziplinen, alle im Rollstuhl, gegeneinander an. 1976 wurden in Toronto die ersten Athletinnen und Athleten mit Amputationen oder Sehbehinderungen zugelassen. Die Wettkämpfe mit über 1600 Teilnehmenden wurden erstmals im Fernsehen ausgestrahlt.
Seit den 1980er Jahren dürfen auch Sportlerinnen und Sportler mit Zerebralparese teilnehmen. 1992 wuchs die Aufmerksamkeit für die Paralympics erneut. Rund 3000 Athletinnen und Athleten aus 83 Nationen nahmen in Barcelona teil. Seit Ende der 90er Jahre dürfen auch Sportlerinnen und Sportler mit geistiger Behinderung teilnehmen.
2012 kehrten die Paralympics in ihr Gründungsland zurück. Kaum 70 Kilometer von Stoke Mandeville entfernt fanden die Wettbewerbe in London statt und setzten neue Maßstäbe für die Inklusion und Anerkennung des Parasports. Mit ausverkauften Stadien, weltweiter medialer Aufmerksamkeit und einem bisher unerreichten Zuschauerinteresse wurden die Spiele als Durchbruch für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung im Sport gefeiert.
In diesem Jahr nahmen rund 4.400 Athletinnen und Athleten aus 182 Nationen an den Paralympics in Paris teil. Zwar war die Eröffnungsfeier am Place de la Concorde und auf der Champs-Elysée etwas kleiner als die olympische, doch nichtsdestotrotz bunt und künstlerisch beeindruckend.
Frankreich setze sich stark für die Gleichstellung der zwei bedeutenden Sportveranstaltungen ein. Im Vorhinein wurde auch für die Paralympischen Spiele ordentlich die Werbetrommel gerührt. Erstmalig hatten die Olympischen und Paralympischen Spiele ein gemeinsames Presseteam und das gleiche übergreifende Emblem, die Flamme im goldenen Kreis. Auch das Olympische Dorf wurde bereits bei Erbauung barrierefrei gestaltet.
Weniger barrierefrei blieb der Pariser ÖPNV. Zwar wurden mehr Rampen, Durchsagen und Hinweise in Blindenschrift eingesetzt, trotzdem sind nur 14 % der Metro-Stationen für Menschen im Rollstuhl zugänglich.
Deutschland erreichte im Medaillenspiegel Platz 11 und verbesserte sich damit um einen Platz im Vergleich zu den Paralympics 2021 in Tokio. Die Leistungen der Sportlerinnen und Sportler waren herausragend: Zehn Gold-, 14 Silber- und 25 Bronzemedaillen konnten die deutschen Athletinnen und Athleten erkämpfen.
Abseits der Paralympics findet der Parasport jedoch noch zu wenig Aufmerksamkeit. Im Fahrwasser der Begeisterung für die Paralympics ist es deshalb auch wichtig, Gelder im Breitensport für Menschen mit Behinderung zu mobilisieren.
Seit immer mehr Athletinnen und Athleten mit den unterschiedlichsten Beeinträchtigungen an den Paralympics teilnehmen können, steht die Veranstaltung vor einer neuen Herausforderung: Wie können die Leistungen trotz unterschiedlicher Einschränkungen und Behinderungen vergleichbar gemacht werden?
Um faire Wettkämpfe zu ermöglichen, wurde ein detailliertes Klassifizierungssystem entwickelt. Es muss immer wieder angepasst werden und oft wird diskutiert, ob es tatsächlich Gerechtigkeit und Fairness herstellen kann. Derzeit erfolgt die Klassifizierung in drei Schritten:
Nur Athletinnen und Athleten, deren Beeinträchtigung einer der folgenden Kategorien zugeordnet werden kann, sind startberechtigt:
Im zweiten Schritt legt jede Sportart individuelle Mindestkriterien fest, um zu bestimmen, wie stark eine Beeinträchtigung sein muss, damit die Teilnahme möglich ist. Beim Schwimmen beispielsweise wird die Leistungsfähigkeit mit einem Punktesystem bewertet:
Eine nicht beeinträchtigte Schwimmerin startet mit 300 Punkten. Je stärker die Beeinträchtigung, desto mehr Punkte werden abgezogen. Um startberechtigt zu sein, müssen mindestens 15 Punkte abgezogen werden. Ein fehlendes Bein wird beispielsweise mit 50 Punkten bewertet. Bei querschnittsgelähmten Sportlerinnen und Sportlern entscheidet die Balancefähigkeit und Lage im Wasser über die abzuziehende Punktzahl. Addiert werden Punkte, wenn Teilnehmende den Start oder die Wende regulär durchführen können und so durch Sprung oder Abstoßen einen Vorteil haben.
Qualifizieren sich die Athletinnen und Athleten anhand der ersten beiden Stufen für den Wettkampf, werden sie in eine Startklasse eingeteilt. Die Startklassen fassen Teilnehmende mit ähnlichem Grad der Beeinträchtigung zusammen. Beim Schwimmen gibt es beispielsweise zehn Startklassen, die an die Punktzahl gebunden sind. Aufgrund der Individualität der Athletinnen und Athleten sowie ihrer Einschränkungen und Behinderungen lassen sich Vor- oder Nachteile jedoch nicht vollumfänglich ausräumen.
Die Klassifizierung ist komplex und wird immer wieder überarbeitet, um die größtmögliche Fairness zu gewährleisten. Durchgeführt wird sie von Expertinnen und Experten, wie Ärztinnen, Physiotherapeutinnen, Trainerinnen, Sportwissenschaftlerinnen und Psychologinnen. Eine falsche Klassifizierung und die dadurch unterschiedlichen Grundvoraussetzungen verfälschen den Wettkampf. Nur wer richtig eingestuft ist, kann durch Leistung, Training und Durchhaltevermögen punkten.
Bild: Kampus Production (Pexels, Pexels Lizenz)
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