12.12.2017 — Udo Cremer. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Die Kläger sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Der Kläger erzielte im Streitjahr 2012 als Handelsvertreter gewerbliche Einkünfte. Den Gewinn seines Einzelunternehmens ermittelte er durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung. Der Kläger beglich die Umsatzsteuervorauszahlung für November 2012 am 8. Januar 2013. In der vom damaligen Steuerberater der Kläger angefertigten und elektronisch an das FA übermittelten Einnahmen-Überschuss-Rechnung für 2012 war diese Vorauszahlung in dem in Zeile 45 angegebenen Gesamtbetrag der an das FA geleisteten Umsatzsteuerzahlungen nicht enthalten. Die darauf beruhende Einkommensteuerfestsetzung 2012 wurde (nach vorherigen anderweitigen Korrekturen) bestandskräftig. Die Umsatzsteuervorauszahlung für November 2012 machten die Kläger im Folgejahr 2013 als Betriebsausgabe geltend. Diesen Ansatz revidierten sie im weiteren Verlauf des Festsetzungsverfahrens des Jahres 2013 von sich aus zugunsten der Umsatzsteuervorauszahlung für November 2013. Im Zuge dessen beantragten sie, die Umsatzsteuerzahllast für November 2012 als gewinnmindernde Betriebsausgabe im Jahr 2012 anzusetzen. Diesen Antrag lehnte das FA mit der Begründung ab, verfahrensrechtlich sei keine Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids 2012 mehr möglich. Insbesondere griffen § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO und § 174 Abs. 3 AO nicht ein. Der dagegen gerichtete Einspruch blieb erfolglos.
Die Revision hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet und zurückzuweisen (BFH-Urteil vom 17.5.2017, X R 45/16). Das FG hat aufgrund seiner rechtsfehlerfrei getroffenen, von den Klägern nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und den Senat daher gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Tatsachenfeststellungen zu Recht entschieden, dass weder eine Berichtigung des bestandskräftig gewordenen Einkommensteuerbescheids 2012 gemäß § 129 AO möglich ist noch dessen Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO oder § 174 Abs. 3 AO in Betracht kommt.
Nach § 129 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit innerhalb der Verjährungsfrist berichtigen. Bei berechtigtem Interesse des Beteiligten ist zu berichtigen (§ 129 Satz 2 AO). Offenbare Unrichtigkeiten i.S. von § 129 AO sind mechanische Versehen wie beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler. Dagegen schließen Fehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts eine offenbare Unrichtigkeit aus. § 129 AO ist ferner nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet ist oder (wie hier vom FG angenommen) auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht. Die Berichtigungsmöglichkeit nach § 129 AO setzt grundsätzlich voraus, dass der offenbare Fehler in der Sphäre der den Verwaltungsakt erlassenden Finanzbehörde entstanden ist. Da die Unrichtigkeit nicht aus dem Bescheid selbst erkennbar sein muss, ist die Vorschrift aber auch dann anwendbar, wenn das FA offenbar fehlerhafte Angaben des Steuerpflichtigen als eigene übernimmt.
Zutreffend hat das FG auch eine Änderungsmöglichkeit gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO für nicht gegeben erachtet. Ist die Vorinstanz von den richtigen rechtlichen Maßstäben ausgegangen, ist ihre tatrichterliche Würdigung, der Steuerberater der Kläger habe in allen in Betracht kommenden Sachverhaltsvarianten jedenfalls grob fahrlässig gehandelt, durch den angerufenen Senat nur auf Verstöße gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze überprüfbar. Die Ausführungen des FG halten dieser eingeschränkten Prüfung stand. Insbesondere stellt es keinen Rechtsfehler dar, dass das Gericht sowohl auf eine nicht ausreichende Sachverhaltsermittlung als auch auf die Nichtbeachtung des Abflussprinzips abgestellt hat.
Schließlich gestatten die Sachverhaltsfeststellungen des FG keine Korrektur gemäß § 174 Abs. 3 AO. § 174 Abs. 3 Satz 1 AO erlaubt die Änderung eines bestandskräftigen Steuerbescheids, wenn in dem Bescheid ein bestimmter Sachverhalt (hier: die Umsatzsteuervorauszahlung für November 2012) erkennbar in der Annahme nicht berücksichtigt worden ist, dass er in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen sei, und sich diese Annahme als unrichtig herausstellt. Die Vorschrift soll verhindern, dass ein steuererhöhender oder steuermindernder Vorgang bei der Besteuerung überhaupt nicht berücksichtigt wird, und erfordert deshalb einen "negativen Widerstreit". Dieser liegt vor, wenn ein bestimmter Sachverhalt in keinem von mehreren in Betracht zu ziehenden Steuerbescheiden (hier: die Einkommensteuerbescheide 2012 und 2013) berücksichtigt worden ist, obwohl er in einem dieser Bescheide hätte berücksichtigt werden müssen. Voraussetzung für das Eingreifen von § 174 Abs. 3 Satz 1 AO ist, dass die (erkennbare) Annahme, ein bestimmter Sachverhalt sei nicht in dem einen, sondern in dem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen, für dessen Nichtberücksichtigung kausal geworden ist. Dabei ist unerheblich, ob diese Annahme auf einer sachlichen oder einer rechtlichen Fehlbeurteilung beruht. An der Ursächlichkeit der Annahme für die Nichtberücksichtigung fehlt es jedoch, wenn die Behörde von dem betreffenden Sachverhalt überhaupt keine Kenntnis hatte oder rechtsirrtümlich annahm, dieser Sachverhalt sei (jetzt und auch später) ohne steuerrechtliche Bedeutung.
Der Autor:
Udo Cremer ist geprüfter Bilanzbuchhalter (IHK) und hat die Steuerberaterprüfung mit Erfolg abgelegt. Er ist als Dozent für Steuer- und Wirtschaftsrecht tätig und veröffentlicht seit mehreren Jahren praxisorientierte Fachbücher zu den Themen Buchführung, Kostenrechnung, Preiskalkulation, Kennzahlen, Jahresabschluss und Steuerrecht. Daneben wirkt er als Autor an zahlreichen Fachzeitschriften und Loseblattsammlungen im Bereich der Buchhaltung und des Steuerrechts mit.
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