27.04.2022 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Bundesarbeitsgericht.
Die Voraussetzungen eines Arbeitgeberwechsels nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG a. F. sind in diesem Fall nicht erfüllt.
Die Klägerin ist französische Staatsangehörige und hat ihren Wohnsitz in Frankreich. Sie wurde von einer Gesellscha. F.t, die ihren Sitz in Frankreich hat, zum 1. Oktober 2014 als Fachberaterin/Ingenieurin eingestellt. Das Arbeitsverhältnis unterliegt kra. F.t Rechtswahl französischem Recht. Vom 1. Oktober 2014 bis zum 30. April 2016 wurde die Klägerin von ihrer Arbeitgeberin, die nicht im Besitz einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung nach § 1 AÜG a. F. war, im Betrieb der Beklagten in Karlsruhe als Technikerin/Beraterin eingesetzt. Nachdem die Klägerin anschließend bei anderen Kunden der Arbeitgeberin tätig war, kündigte diese das Arbeitsverhältnis. In einem gerichtlichen Verfahren in Frankreich macht die Klägerin den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geltend.
Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin festzustellen, dass sie zur Beklagten seit dem 1. Oktober 2014 in einem Arbeitsverhältnis steht, und verlangt außerdem Differenz-, Überstunden- und Annahmeverzugsvergütung. Sie hat im Wesentlichen die Auffassung vertreten, zwischen den Parteien sei gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG a. F. zum 1. Oktober 2014 ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zustande gekommen. Sie sei der Beklagten zur Arbeitsleistung überlassen worden. Der Arbeitsvertrag mit ihrer Arbeitgeberin sei, obwohl für das Arbeitsverhältnis französisches Recht gelte, in Deutschland infolge der unerlaubten Überlassung nach § 9 Nr. 1 AÜG a. F. unwirksam. Bei der Bestimmung handele es sich um eine Eingriffsnorm i. S. v. Art. 9 Abs. 1 der Rom I-VO*, die unabhängig von der von den Arbeitsvertragsparteien getroffenen Rechtswahl gelte.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg.
Die Feststellungs- und Zahlungsklage ist unbegründet, weil zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist. Die Voraussetzungen von § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG a. F. sind nicht erfüllt, selbst wenn die Klägerin der Beklagten als Leiharbeitnehmerin überlassen worden sein sollte. Die Begründung eines Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher kraft Gesetzes gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG a. F. setzt voraus, dass der zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer geschlossene Leiharbeitsvertrag infolge einer i. S. v. § 1 AÜG a. F. unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung nach § 9 Nr. 1 AÜG a. F. unwirksam ist.
Unterliegt das Leiharbeitsverhältnis dem Recht eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union, ordnen weder § 2 Nr. 4 AEntG a. F. noch das AÜG an, dass § 9 Nr. 1 AÜG a. F. gegenüber diesem Recht vorrangig gelten soll. Soweit § 2 Nr. 4 AEntG a. F. – in Umsetzung von Art. 3 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 96/71/EG a. F. – regelt, dass die „Bedingungen für die Überlassung von Arbeitskräften, insbesondere durch Leiharbeitsunternehmen“ zwischen einem im Ausland ansässigen Arbeitgeber und seinen im Inland beschäftigten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen zwingend anzuwenden sind, bezieht sich dies auf Rechts- und Verwaltungsvorschriften des nationalen Rechts, die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmern regeln, sowie auf die im Inland geltenden gewerbe-, vermittlungs- und erlaubnisrechtlichen Voraussetzungen der Arbeitnehmerüberlassung. § 2 Nr. 4 AEntG a. F. ordnet nicht die Geltung von Bestimmungen an, die – wie § 9 Nr. 1 und § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG a. F. – den Bestand des Leiharbeitsverhältnisses betreffen. § 9 Nr. 1 AÜG a. F. ist auch keine Eingriffsnorm i. S. v. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO.
Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz gewährt Leiharbeitnehmern, die von ihren Arbeitgebern aus einem anderen Mitgliedstaat der europäischen Union ins Inland überlassen werden, keinen Schutz, der über den hinausgeht, der durch § 2 AEntG a. F. gewährleistet wird. Das öffentliche Interesse an der Einhaltung von § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG a. F. wird gesichert, indem § 16 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 AÜG a. F. die Verletzung der Erlaubnispflicht als Ordnungswidrigkeit ahnden.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26. April 2022 – 9 AZR 228/21
Bild: EKATERINA BOLOVTSOVA (Pexels, Pexels Lizenz)
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