05.04.2012 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Schultheis Office.
Nach einer Umfrage der Fachhochschule Münster ist der wichtigste Faktor für die Zufriedenheit von Mitarbeitern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. „Früher sahen klassische Konzernkarrieren anders aus. Wer ganz nach oben wollte, musste sich häufig ein Leben lang im Hamsterrad bewegen. Unternehmen waren klar hierarchisch strukturiert. Viel Zeit für Freizeit und Familie blieb nicht, wenn man es bis zum Topmanager bringen wollte. Allerdings konnten sich insbesondere die männlichen Führungskräfte in der ‚alten Bundesrepublik’ häufig ganz auf ihren Beruf konzentrieren. Im Hintergrund stand dann eine Ehefrau, die dem Mann den Rücken frei hielt, sich um Haushalt, Kinder und die sozialen Kontakte kümmerte. Natürlich gibt es dieses Rollenmodell teilweise immer noch. Doch zusehends geht es den High Potentials von heute nicht mehr nur darum, dass die Kohle stimmt und die Kasse klingelt. Dass es auch noch ein Leben nach Feierabend gibt, das mit Sinn gefüllt werden sollte, gilt heute vielen als selbstverständlich“, sagt der Personalberater Michael Zondler.
Er war früher selbst in einem großen Beratungsunternehmen tätig. „Ein Grund, mich selbstständig zu machen, lag sicher auch in der Motivation, hierarchische Strukturen hinter mir zu lassen, selbst mehr bewegen zu können und mein ‚eigener Herr’ zu sein. Dadurch arbeite ich definitiv nicht weniger, aber ich kann wesentlich stärker als früher selbstbestimmt die Schwerpunkte setzen und weiß, wann ich zwischendurch auch mal eine kleine kreative Auszeit nehmen muss“, so Zondler, der mittlerweile als Geschäftsführer des Beratungsunternehmens centomo Führungskräfte an Unternehmen und für zeitlich befristete Projekte vermittelt. Zondler konstatiert einen Wertewandel, der die Arbeitswelt und die Gesellschaft insgesamt erfasst habe. Die Vollgas-Karrieristen, die alles dem Job und dem Unternehmen unterordnen, sterben langsam aus. Die Generation der nach 1960 bis ca. 1980 Geborenen sei heute mehrheitlich am Ruder. Diese Generation kenne keinen Mangel - weder an Materiellem noch an Möglichkeiten. Aufgrund verschiedener Faktoren - z. B. wegen des häufigen doppelten Einkommens - spiele Geld nicht die große Rolle bei den ohnehin Besserverdienern. „Es ist ja die Erbengeneration und die marktüblichen Einkommen und Rahmenbedingungen sind ohnehin attraktiv“, sagt der centomo-Geschäftsführer.
„Diese Generation kann sich selbst verwirklichen und schöpft aus einem schier unendlichen Fundus an Angeboten und Möglichkeiten. Dies muss unter einen Hut bzw. in einen Lebensentwurf passen. Der Job ist davon ein wichtiger Teil - die Betonung liegt hierbei auf Teil. Unternehmen reagieren darauf mit Angeboten und Rollen, welche dem Blended Lifestyle entsprechen: Mobile-Office, Homeoffice, projektbezogene Aufgaben, Outsourcing, variable Bezüge, Trend zur Selbständigkeit etc. Wir erleben bei aufreibenden und zeitintensiven Rollen schon die Anpassung der Urlaubstage. So sind in prominenten Consulting-Firmen 40 Tage Urlaub keine Seltenheit. Oder man gibt drei Jahre Vollgas, macht dann sechs Monate Pause usw. Den kreativen Modellen sind kaum Grenzen gesetzt“, so Zondler.
Anne Schüller, Bestsellerautorin und Expertin für Loyalitätsmarketing, bestätigt diese Sichtweise: „Die Unternehmen müssen endlich verstehen: Die Menschen lassen sich immer weniger ‚kaufen'. Gerade die Supertalente, die Young Professionals und High Potentials in spe, die jedes Unternehmen so händeringend sucht, haben sich ethisches Tun auf die Fahnen geschrieben. Der Blick auf die Unternehmenskultur als Auswahlkriterium ist ihnen bei der Jobsuche mindestens genauso wichtig wie Karrierechancen & Co. Gerade die Digital Natives sind Vorreiter für ganz neue Formen des Arbeitslebens. Sie fordern Balance zwischen Beruf, Umwelt und persönlichem Lebensstil ein. Was für sie am Arbeitsplatz zählt? Autonomie und Gestaltungsraum, Kollaboration und Selbstorganisation. Autoritäten kraft Amtes und blindem Gehorsam verweigern sie sich. Hingegen ganz wichtig ist Sinn. Wer solche Rahmenbedingungen bieten kann, der bekommt in Zukunft die Besten."
Beispielsweise tun sich Krankenhäuser schwer, Ober- und Chefarztposten zu besetzen. Sie sind in der Regel streng hierarchisch organisiert, doch das vermeintliche Idealbild der „Götter in Weiß“ scheint zu verblassen. „Bei uns signalisieren immer häufiger Oberärzte, nicht Chefarzt werden zu wollen“, sagt Matthias Scholz, Personalleiter der Malteser Trägergesellschaft, die in sieben Krankenhäusern 450 Ärzte beschäftigt.
Anne Schüller sieht als weiteren Trend, dass Führungsstrukturen teilweise weiblicher werden bzw. dass sich Frauen althergebrachten Konzernhierarchien nicht unterordnen wollen. „Es sind die Frauen, die die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts revolutionieren werden. Doch dafür müssen die ‚Spielregeln der Macht‘ überdacht und angepasst werden. Denn sonst wollen und werden Frauen ganz oben nicht mitspielen – jedenfalls nicht um den Preis von 70-Stunden-Wochen, Burnout, Mobbing und schlechterer Bezahlung. Ein Ausweg für sie ist die Selbstständigkeit. Denn dort können sie sich selber passende Spielregeln geben. Und so verlassen oft die besten Frauen die Teppichetagen in Scharen - und machen im Kleinen ihr Glück.“
Auch das Social Web habe die Art und Weise, wie wir leben, arbeiten und Dinge tun, für immer verändert - und einen Wertewandel ohnegleichen geschaffen. So seien etwa an die Stelle von Obrigkeitsloyalitäten nun vertikale gerückt. „Während nämlich die Loyalität der ‚Analog Seniors‘ noch ihrer Firma gehörte, gehört die Loyalität der ‚Digital Natives‘ nun ihrem Netzwerk. Unternehmen, die ihnen verbieten, ihre Netzwerk-Loyalität zu leben, kommen für sie nicht in Betracht“, meint Schüller. „Es machen die Arbeitgeber das Rennen, welche Ihre Führungskräfte unternehmerisch ins Boot holen und sie an möglichst langen Leinen in verabschiedeten Zielkorridoren agieren lassen“, ergänzt Zondler.
Doch manchmal kommt man nur an die Besten der Branche, wenn man die Schatulle öffnet und auf ganz konservativ mit der Kasse klimpert. So hält Gerhard Kronisch, Hauptgeschäftsführer des Führungskräfteverbandes in der Chemischen Industrie, die klassischen Anreizsysteme monetärer Art nicht für völlig obsolet. „Wer eine Führungsaufgabe im Marketing eines globalen Konzerns hat, der übt einen 24-Stunden-Beruf aus. Das geht nicht von 9 bis 17 Uhr, und da kann auch kein Arbeitgeber große Freiheiten garantieren. Diese Einschnitte ins Privatleben haben ihren Preis. Führungskräfte aus den eigenen Reihen werden in Zukunft erheblich teurer werden“, so Kronisch gegenüber der FAZ.
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