16.03.2022 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Ein Rechtsgutachten der Sozietät Redeker Sellner Dahs zeigt, dass es dafür keiner Änderung des Grundgesetzes bedarf. Ein Recht auf digitale Bildung könne vielmehr durch eine einfachgesetzliche Regelung auf Bundes- und Landesebene eingeführt werden. Die Forderung genießt großen Rückhalt in der Bevölkerung: In einer repräsentativen Bitkom-Umfrage1 sprachen sich zuletzt 80 Prozent aller Deutschen für einen Rechtsanspruch auf digitale Bildung aus.
Katharina Swinka, Generalsekretärin der Bundesschülerkonferenz: „Digitales Arbeiten im Unterricht muss selbstverständlich sein. Die notwendigen und weiter auszubauenden Investitionen in Know-How, Hard- und Software der letzten Jahre dürfen nicht umsonst gewesen sein. In Schulen auf einem digitalen Standard aus Zeiten vor der Pandemie weiterzuarbeiten wäre unverzeihlich für Schülerinnen und Schüler – und den Fortschritt selbst. Es ist ein Gebot der Nachhaltigkeit, vielfältige und damit auch digitale Lehr- und Lernformate dauerhaft zu implementieren.“
Christiane Gotte, Vorsitzende des Bundeselternrates: „Für unsere Schülerinnen und Schüler kam während der Pandemie besonders erschwerend hinzu, dass neben den mangelhaften sächlichen Voraussetzungen, keinerlei pädagogische Mindeststandards für den Distanzunterricht festgelegt waren und somit in Deutschland kein flächendeckend qualitativ hochwertiger Distanzunterricht stattfinden konnte. Der Zugang zu schulischer Bildung war von der digitalen Vorausstattung und den damit verbundenen Konzepten an Schulen abhängig – und damit vom Zufall. Im Sinne der Chancengerechtigkeit ein untragbarer Zustand“, so Gotte. „Ziel muss sein, Defizite gar nicht erst entstehen zu lassen. Dazu kann ein Recht auf digitale Bildung unbedingt beitragen, in dem Teilhabe im Vorfeld sichergestellt wird, wo Präsenz nicht möglich ist, nach der Pandemie zum Beispiel durch digitale Beschulung bei Unterrichtsausfällen und Krankheit.“
Achim Berg, Präsident des Digitalverbands Bitkom: „Wir schreiben uns Chancengleichheit auf die Fahnen. Doch seit Beginn der Pandemie hat sich Deutschland von einem chancengleichen Zugang zu schulischer Bildung weit entfernt. Das Bundesverfassungsgericht hat kürzlich einen Anspruch auf schulische Bildung festgestellt. Dieser Anspruch sollte nun auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden und digitale Angebote einschließen“, erklärt Berg. „Wir dürfen nicht länger hinnehmen, dass es dem Zufall überlassen ist, ob digitaler Unterricht stattfindet und auch funktioniert, oder nicht“, so Berg. „Ein Recht auf digitale Bildung macht die Teilnahme nicht nur am Schulunterricht, sondern an den Angeboten der gesamten Bildungskette für alle Menschen digital möglich – weit über die Pandemie hinaus.“
Um die Umsetzbarkeit eines Rechts auf digitale Bildung zu prüfen, hat Bitkom ein Rechtsgutachten bei der Sozietät Redeker Sellner Dahs in Auftrag gegeben. Es zeigt, dass weder Grundgesetz noch Landesverfassungen für ein Recht auf digitale Bildung geändert werden müssten. Die Vorgaben des Grundgesetzes stünden dem neuen Anspruch nicht entgegen, sofern der Grundsatz des Präsenzunterrichts nicht in Frage gestellt, sondern ergänzt wird. Auch die Vorgaben der Landesverfassungen, in denen die Schulpflicht geregelt ist, lassen Spielraum, um den Grundsatz des Präsenzunterrichts um digitale Angebote zu erweitern. So ließe sich ein Recht auf digitale Bildung etwa in den einzelnen Schul-, Hochschul- und Weiterbildungsgesetzen der Länder verankern. Das würde auch für entsprechende Regelungen auf Bundesebene für Bildungseinrichtungen des Bundes gelten.
Um ein allgemeines Recht auf digitale Bildung effektiv umsetzen zu können, seien einheitliche Qualitätsstandards technischer Natur notwendig, heißt es in dem Gutachten weiter. Diese könnten durch eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern – bevorzugt durch einen Staatsvertrag – geregelt werden. Zudem wird ein Förderprogramm des Bundes nahegelegt, das die jeweiligen Bildungseinrichtungen mit den erforderlichen Ressourcen ausstattet.
Dr. Cornelius Böllhoff, Gutachter und Partner der Sozietät Redeker Sellner Dahs: „Schon im geltenden Verfassungsrecht finden sich Ansätze eines Rechts auf digitale Bildung, auch wenn ein einklagbarer Anspruch bisher fehlt. Solange man digitale Angebote als ein ‚sur plus‘ zum überwiegend physisch stattfindenden Unterricht versteht, lässt sich ein Recht auf digitale Bildung gesetzlich gut umsetzen. Einer Verfassungsänderung bedarf es nicht.“
In Deutschland ist der Wunsch nach digitalen Bildungsangeboten groß: Im vergangenen Jahr erklärten 96 Prozent der Eltern schulpflichtiger Kinder in einer repräsentativen Bitkom-Studie2, der Einsatz digitaler Technologien und Medien solle in allen Schulen Standard sein. „Die Realität ist eine andere“, so Bitkom-Präsident Berg: „Es gibt keine bundesweiten Mindeststandards und kein langfristiges Finanzierungskonzept für digitale Bildung. Wer nicht ins Schulgebäude kommen kann – mit einem gebrochenen Bein oder wegen eines Unwetters – hat im deutschen Bildungssystem Pech gehabt. Echte Inklusion sieht anders aus.“ Diese Zeiten müssten vorbei sein, so Berg. „Das Rechtsgutachten zeigt, wie einfach ein einklagbares Recht auf digitale Bildung umgesetzt werden kann. Nun sollte die Politik handeln – für mehr Chancengleichheit, Gerechtigkeit und Inklusion.“
Ein Großteil der Menschen teilt diesen Wunsch So wünschen sich 92 Prozent aller Bürgerinnen und Bürger, dass Lehrkräfte dazu verpflichtet werden, sich zum Einsatz digitaler Technologien im Unterricht weiterzubilden3. 82 Prozent fordern, dass allen Schülerinnen und Schüler vom Staat ein Tablet oder Laptop zum Lernen zur Verfügung gestellt werden. Ebenfalls 82 Prozent sind der Meinung, für die digitale Ausstattung von Schulen brauche es bundesweite Mindeststandards. Entsprechend wichtig sind den Menschen im Land digitale Konzepte bei der Schulwahl. 80 Prozent der Menschen im Land halten die technische Ausstattung von Schulgebäuden für eines der wichtigsten Merkmale einer Schule. Für 70 Prozent sind Angebote zur Vermittlung von Digitalkompetenzen entscheidend, für 66 Prozent ein überzeugendes Digitalkonzept.
Dazu Bundeselternrats-Vorsitzende Gotte: „Der notwendige Sprung in die globale Informationsgesellschaft gelingt nur, wenn die gesamte Schulgemeinschaft Digitalität als integralen Bestandteil des Lehr- und Lernumfeldes verinnerlicht. Dazu bedarf es eines umfassenden Konzeptes, welches die Lehrer-, Schüler- und Elternschaft in die Lage versetzt, moderne und individuelle Formate als selbstverständlich im Schulalltag zu leben.“
Bisher bemängeln die Schülerinnen und Schüler in Deutschland allerdings die ungleiche Qualität beim pandemiebedingten Distanzunterricht. Auch das zeigt eine neue, repräsentative Bitkom-Umfrage4 unter Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahren. Demnach geben nur 60 Prozent an, ihre Lehrerinnen und Lehrer würden sich Mühe beim digitalen Unterricht geben, 12 Prozent finden die Inhalte spannend. Entsprechend geben 54 Prozent zu, während des Distanzunterrichts andere Sachen zu machen. Grundsätzlich können sich aber 45 Prozent der Schülerinnen und Schüler nach eigener Einschätzung zuhause gut konzentrieren, 31 Prozent haben Spaß am Home Schooling und 14 Prozent meinen, zuhause mehr zu lernen als in der Schule. Jedes zehnte Kind (11 Prozent) ist im Distanzunterricht allerdings beeinträchtigt, weil die Internetverbindung zu langsam ist. Bei 5 Prozent ist das verwendete Gerät zu alt für die erfolgreiche Teilnahme am Distanzunterricht. Zuletzt nutzte ein Großteil der Kinder ein eigenes, privates Gerät für den Distanzunterricht.
Bild: Pixabay (Pexels, Pexels Lizenz)
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