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Schneeballsystem (Kommentar von Udo Cremer)

16.01.2018  — Udo Cremer.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Einordnung von Einkünften aus einem Schneeballsystem zu einer ausländischen Kapitalgesellschaft

  1. Bei der Entscheidung, ob einer der in § 20 EStG aufgeführten Tatbestände erfüllt ist, kommt es entscheidend darauf an, wie sich das jeweilige Rechtsgeschäft aus der Sicht des Kapitalanlegers als Leistungsempfänger bei objektiver Betrachtungsweise darstellt, da auf den nach außen erkennbaren Willen des Betreibers des Schneeballsystems abzustellen ist.
  2. Für die Einordnung eines ausländischen Rechtsverhältnisses als stille Beteiligung i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG kommt es darauf an, was die Vertragsparteien auf Grundlage der getroffenen Vereinbarungen wirtschaftlich gewollt haben und ob der unter Heranziehung aller Umstände zu ermittelnde Vertragswille objektiv auf den Abschluss eines Gesellschaftsverhältnisses gerichtet ist, das den Merkmalen einer inländischen stillen Gesellschaft entspricht.

Nach den nicht mit Verfahrensrügen angefochtenen Feststellungen des FG wurde die B Corporation (B) im Jahr 2002 nach dem Recht des US-Bundesstaats ... als AG US-amerikanischen Rechts gegründet. In den von den Klägern unterzeichneten Beitrittserklärungen der B wurde den Klägern jeweils der Abschluss eines Gesellschaftsvertrags angeboten. Die Beteiligungen wurden als stille Beteiligungen bezeichnet. Das Beteiligungsverhältnis zur B sollte nach Eingang der Anlagesumme auf einem Gesellschaftskonto begründet werden. Jede Beteiligung war mit einer Mindestlaufzeit bis zu einem bestimmten Enddatum versehen und konnte sich verlängern. Die Anlagegelder sollten nach den Angaben gegenüber den Klägern in einen Vermögenspool fließen, aus dem u.a. Großbanken Kapital für Finanzgeschäfte verzinslich zur Verfügung gestellt werden sollte. Den Klägern wurde eine jährliche Rendite von 15,5 % ihrer Anlagesummen pro Jahr in Aussicht gestellt, gleichzeitig waren sie bis zur Höhe ihres Anlagekapitals an den Verlusten aus den Handelsgeschäften der B beteiligt.

Die Kläger leisteten zwischen den Jahren 2002 und 2007 Anlagebeträge an die B. Die erste Anlage zeichneten sie gemeinsam am 14.9.2002. Danach folgten gemeinsame Anlagen am 16.9.2003, am 21.6.2004, am 22.3.2005, am 4.4.2005. Die Klägerin allein tätigte Anlagen am 15.12.2005, am 9.2.2006, am 9.8.2006, am 8.9.2006, am 15.12.2006, am 28.1.2007, am 25.7.2007 und am 26.10.2007. Den Klägern wurden für die Streitjahre jährliche Abrechnungen von der B erteilt, die Renditen von 15,5 % auf die jeweiligen Anlagebeträge auswiesen. Bei Kündigung der Anlage wurden die Anlagebeträge samt der Renditen ausgezahlt. Bei Nichtkündigung wurde der Anlagebetrag erhöht um den Renditebetrag neu angelegt. Tatsächliche Auszahlungen seitens der B an die Anleger erfolgten zumindest bis Anfang des Jahres 2010.

Die Kläger reichten ihre Steuererklärungen für die Streitjahre zu folgenden Zeitpunkten ein: für das Streitjahr 2005 am 28.9.2007, für das Streitjahr 2006 am 4.7.2007, für das Streitjahr 2007 am 22.9.2008, für das Streitjahr 2008 am 2.9.2009 und für das Streitjahr 2009 am 23.8.2010. Die Einkünfte aus Kapitalvermögen aus Beteiligungen an der B wurden hierin nicht erklärt. Die Steuerbescheide für die Streitjahre wurden bestandskräftig. Das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung forderte die Kläger jeweils mit Schreiben vom 19.7.2010 auf, Angaben zu ihren B-Beteiligungen zu machen. Mit Schreiben vom 23.11.2010 wurde ihnen jeweils die Einleitung des Steuerstrafverfahrens zur Einkommensteuer für die Jahre 2006 bis 2009 mitgeteilt. In seinen abschließenden Berichten vom 27.6.2012 zu den gesondert verfolgten Klägern gelangte das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung zu dem Ergebnis, die Kläger hätten aus den Beteiligungen an der B Einnahmen als stille Beteiligte gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 des EStG in den in den Streitjahren geltenden Fassungen erzielt, die sie hätten erklären müssen.

Das FA erließ daraufhin am 22.10.2012 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO entsprechend geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre, in denen es die nicht erklärten Einkünfte von der B als Vergütungen der Kläger aus stillen Beteiligungen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG erfasste. Der Einspruch der Kläger und die anschließende Klage blieben erfolglos. Das FG hat die Klage aus den in EFG 2014, 1096 mitgeteilten Gründen mit Urteil vom 19. März 2014 14 K 2824/13 abgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a FGO. Der Senat hält die Revision einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich (BFH Beschluss vom 5.10.2017, VIII R 13/14). Der Senat sieht die Revision trotz der seitens des FA geäußerten Zweifel als zulässig an.

Die Rechtsbeziehung der Kläger zur B war als stille Beteiligung der Kläger gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG einzuordnen. Das FG hat zu Recht einen Zufluss der streitigen Vergütungen bei den Klägern in den Streitjahren angenommen. Auch konnten die Einkommensteuerbescheide für sämtliche Streitjahre zu Lasten der Kläger gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert werden.

Es hat in rechtlicher Hinsicht zutreffend darauf abgestellt, dass für die Einordnung einer Rechtsbeziehung unter einen der Tatbestände des § 20 EStG maßgeblich ist, wie sie sich aus Sicht des Kapitalanlegers als Leistungsempfänger bei objektiver Betrachtungsweise darstellt, da auf den nach außen erkennbaren Willen des Betreibers des Schneeballsystems abzustellen ist. Für die Einordnung eines (auch ausländischen) Rechtsverhältnisses unter § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG ist die Bildung einer Risikogemeinschaft, vor allem die Vereinbarung einer Erfolgs- und Verlustbeteiligung, die ein typisches Merkmal eines Gesellschaftsverhältnisses bildet, prägend. Unerheblich ist hingegen, ob im Wortlaut der getroffenen Vereinbarungen der Begriff "stille Gesellschaft" erwähnt wird und ob die Vereinbarungen zwischen Anleger und Betreiber des Schneeballsystems ausdrückliche Regelungen über Kontrollrechte der Anleger enthalten.

Das FG hat für den Senat in tatsächlicher Hinsicht bindend gemäß § 118 Abs. 2 FGO festgestellt, die Kläger seien in ihren Beitrittserklärungen auf das Zustandekommen stiller Gesellschaften mit der B hingewiesen worden. Ihnen sei vorgetäuscht worden, die Anlagegelder sollten seitens der B zur verzinslichen Refinanzierung von Großbanken zur Verfügung gestellt werden. Zudem hat das FG festgestellt, den Klägern sei eine jährliche Rendite von 15,5 % der jeweiligen Anlage zugesagt worden und dass sie mit der Anlagesumme für Verluste haften müssten. Schließlich hat es auf von den Klägern nicht vorgelegte Nachweise für eine Stellung als Aktionär der B (Fehlen von Aktienurkunden oder Nachweisen zur Berechtigung an sammelverwahrten Aktien, fehlende Auszüge aus einem Gesellschafterbuch, fehlende Nachweise zu Kapitalerhöhungen der B) abgestellt, aus denen es ohne Verstoß gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze abgeleitet hat, die Beteiligungen der Kläger hätten nach den für die Kläger erkennbaren objektiven Umständen nicht als Erwerb von (Vorzugs-)Aktien an der B ausgelegt werden können. Auf dieser tatsächlichen Grundlage ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das FG das Rechtsverhältnis der Kläger zur B unter § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG eingeordnet hat.

Zutreffend ist das FG auch von einem Zufluss der gutgeschriebenen und wiederangelegten Erträge gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 11 EStG in den Streitjahren ausgegangen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH führen Gutschriften oder die Wiederanlage von Renditen in Schneeballsystemen zu Einnahmen aus Kapitalvermögen, hier i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG, wenn der Betreiber des Schneeballsystems bei Erteilung der Gutschriften oder der Wiederanlage leistungsbereit und leistungsfähig ist. Der Anleger muss bei beiden "Zuflusstatbeständen" im Zeitpunkt der Novation oder der Gutschrift in den Büchern des Betreibers des Schneeballsystems tatsächlich in der Lage gewesen sein, die Auszahlung ohne weiteres Zutun herbeizuführen. Von einem nicht mehr leistungsbereiten und -fähigen Betreiber eines Schneeballsystems kann vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über dessen Vermögen erst ausgegangen werden, wenn dieser auf einen Auszahlungswunsch des Anlegers hin eine sofortige Auszahlung ablehnt und stattdessen über anderweitige Zahlungsmodalitäten verhandelt. Die Würdigung des FG, die von der B in den Streitjahren mitgeteilten Renditen seien den Klägern aufgrund von Gutschriften oder der Entscheidung zur Wiederanlage als Kapitalerträge gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 11 EStG zugeflossen, ist nach den vorstehenden Maßstäben und auf Grundlage der bindenden Feststellungen des FG nicht zu beanstanden.

Der Autor:

Udo Cremer

Udo Cremer ist geprüfter Bilanzbuchhalter (IHK) und hat die Steuer­beraterprüfung mit Erfolg abgelegt. Er ist als Dozent für Steuer- und Wirtschaftsrecht tätig und veröffentlicht seit mehreren Jahren praxis­orientierte Fachbücher zu den Themen Buchführung, Kostenrechnung, Preiskalkulation, Kennzahlen, Jahresabschluss und Steuerrecht. Daneben wirkt er als Autor an zahlreichen Fachzeitschriften und Loseblatt­sammlungen im Bereich der Buchhaltung und des Steuerrechts mit.

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