16.04.2021 — Rolf Becker. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Die Wettbewerbszentrale hatte gegen einen Einkaufsverband für Möbelhändler geklagt, zum dem u.a. verschiedene Möbelketten und Einrichtungsmärkte in 14 europäischen Ländern gehören. Es handelte sich um einen der fünf größten auf dem deutschen Markt tätigen Einkaufsverband und mit einem gebündelten Außenumsatz von 3,6 Mrd. Euro im Jahr 2017.
Es ging also um Lieferverträge im B2B-Bereich. Bei entsprechenden Verträgen wirkte der Verband als Vertragspartner zusammen mit dem jeweiligen Mitgliedsunternehmen auf der Einkaufsseite gegenüber Möbelherstellern. Dabei verwendete der Verband vorgefertigte Regelungen, in denen 2 Klauseln zur Abmahnung und Klage führten. In einem sog. „Liefer- und Konditionsvertrag Möbel“ (LKM) wurde zur Lieferzeit festgehalten:
Nr. 5 Lieferzeit
Die garantierte Lieferzeit wird mit [Anm.: Lücke für Freitext] Arbeitstagen ab Bestelldatum festgelegt. Ausdrücklich festgehalten wird, dass eine Woche aus 5 Arbeitstagen besteht.
Bei Überschreitung der vertraglich vereinbarten Lieferzeit, einschließlich einer Nachfrist von 5 Arbeitstagen, wird nachstehend pauschalierter Schadenersatz geltend gemacht, der nach dem Parteiwillen nicht dem richterlichen Mäßigungsgebot unterliegt:
Fristüberschreitung:
Fristüberschreitung
11-15 Arbeitstage 15% des Rechnungsnettobetrages
Die Kürzung erfolgt mittels Belastungsanzeige.
In einer Anlage zum LKM fanden sich die Einkaufsbedingungen des verklagten Verbandes mit der Klausel:
2. Lieferzeit/Liefermenge
Die im Konditionsblatt vereinbarte Lieferzeit ist garantiert. Jede Bestellung der Käufergesellschaften ist durch eine Auftragsbestätigung mit Bekanntgabe der Anlieferwoche zu erwidern. Einseitige Änderungen wie z. B. von der Bestellung abweichende Auftragsbestätigungen sind ungültig.
… Regelung zu Teillieferungen …
Die Käufergesellschaften sind jederzeit und formlos berechtigt, von den erteilten Bestellungen zurückzutreten, wenn die vereinbarte Lieferzeit bei Werbeware um mehr als drei Arbeitstage, bei sonstiger Ware um mehr als zehn Arbeitstage überschritten werden.
… Regelung zum Eigentumsvorbehalt …
Die Wettbewerbszentrale war der Auffassung, die erste Klausel sei mit dem haftungsrechtlichen Verschuldensprinzip unvereinbar. Es fehle zudem an Mahnung und Fristsetzung und es handele sich deswegen um eine unwirksame überraschende Klausel. Die zweite Klausel begründe ein Fixgeschäft ohne Obliegenheit zur Mahnung und Nachfristsetzung und sei deshalb überraschend.
Das LG Bamberg (Endurteil vom 11.02.2020 – 13 O 117/19) folgte dieser Argumentation, während das OLG Bamberg (Urteil v. 05.03.2021 – 3 U 68/20) aktuell die Entscheidung nur zur ersten Klausel bestätigte.
Es handele sich um eine Schadensersatzklausel (nicht Vertragsstrafe). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei es ein wesentlicher Grundgedanke der gesetzlichen Regelung im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, dass eine Verpflichtung zum Schadensersatz regelmäßig nur bei schuldhaftem Verhalten bestehe.
Garantien ohne Verschulden bergen unkalkulierbare Haftungsrisiken, sodass entsprechende AGB-Regeln unangemessen benachteiligend wirkten. Zwar waren die Schadensersatzbeträge gedeckelt und damit kalkulierbar, aber nicht der Umstand, wann die Haftung eintreten sollte. Selbst bei einem Fixgeschäft nach § 376 Abs. 1 HGB muss Schadensersatz (statt der Leistung) nur verschuldensabhängig geleistet werden. Daher sei die Klausel unwirksam. Zudem pauschaliere sie den Verzugsschaden bei Nichteinhaltung der Lieferfrist, wie sich aus der Überschrift „Lieferzeit“ und den Bezug auf die vereinbarte Lieferzeit ergebe. Auch dieser Schaden (nach § 286 Abs. 4 BGB) gehöre zu den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Verzugsregelungen, die nicht in AGB verschuldensunabhängig ausgestaltet werden könnten.
Die zweite Klausel sei zwar eine Fixgeschäftsregelung, die in AGB grundsätzlich unwirksam ist, wenn die Parteien im individuellen Vertrag keinen Fixhandelskauf vereinbart haben. Regeln AGB-Klauseln nicht nur eine nach dem Kalender bestimmte Leistung (vgl. § 286 Abs. 2 Nr. 1 AGB) sondern machen sie die Fristeinhaltung zum Grund, mit der das Geschäft steht oder fällt, so ist das in diesen Fällen überraschend.
Die Richter des OLG sahen jedoch in diesem Einzelfall keine Überraschung, weil das Regelwerk bekannt und auf Verbandsebene mit wechselseitigen Zugeständnissen ausgehandelt sei. Üblicherweise werde zumindest der LKM erst nach gründlicher Durchsicht und Abhandlung von Rückfragen abgeschlossen und das Gericht stellte eine Branchenüblichkeit fest. Der hohe Koordinierungsbedarf bei 790 Filialen in 14 Ländern erfordere eine planbare und strukturierbare Abrufbereitschaft, womit auch noch sachliche Gründe und berechtigte Interessen im Spiel waren. Eine Nachfrist sei nicht notwendig und zudem seien die 3 -10 Tage nicht unangemessen kurz.
Der Einkaufsverband hatte versucht sich darauf zu berufen, es handele sich nicht um AGB, sondern um individuelle Vereinbarungen. Hintergrund ist der Umstand, dass bei individuellen Vereinbarungen rechtlich nahezu alles möglich ist, während eben AGB der Inhaltskontrolle unterliegen.
Die Beklagte meint daher, weil die Lieferzeit (Nr. 5 Abs. 1 LKM) jeweils individuell vereinbart werde, führe dies wegen des engen Sachzusammenhangs dazu, dass die Klauseln Nr. 5 LKM und Nr. 2 EKB insgesamt als individuell vereinbart anzusehen seien. Zudem seien die Klauseln unstreitig vorab mit Vertretern „des Möbelverbands“ ausgehandelt worden und entsprechend dessen Änderungswünschen abgeändert worden. Dem folgte das Gericht aber nicht.
Von vornherein nicht ausreichend für ein „Aushandeln“ ist die schlichte Bereitschaft des Verwenders, sich auf Alternativen einzulassen, wenn dies dem Vertragspartner nicht unmissverständlich offengelegt wird, betonten die Richter. Dem Gericht fehlte ein „klarer und unmissverständlicher Hinweis, wonach der gesamte Vertragsinhalt zur Disposition stehe“. Den Vertrag zu übergeben und für Rückfragen offen zu sein, reicht auch dann nicht, wenn man darlegen kann, dass man Änderungswünschen immer nachgekommen ist.
Das Urteil ist in vielen Aspekten interessant für Verkäufer und Einkäufer. Die Überlegungen zu den Schadensersatzklauseln und dem Fixgeschäft gelten für Einkaufs- und Verkaufsbedingungen. Es lohnt sich also bei entsprechenden Schadensersatzforderungen und in Verzugsfällen ein Blick auf die Wirksamkeit einbezogener Klauseln. Zudem lassen sich ähnliche Effekte der Schadensersatzklauseln über andere Gestaltungen, wie z.B. Vertragsstrafeversprechen erzielen. Einmal mehr hat ein Obergericht einer allzu einfachen Bezugnahme auf angeblich individuell ausgehandelte Abreden eine Absage erteilt.
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