23.05.2024 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: BITKOM - Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V..
Der IT-Leiter, der Programmierer, der Fachinformatiker – die IT-Branche gilt noch immer als Männerdomäne. Dabei wünschen sich die deutschen IT-Unternehmen mehr Frauen und Mädchen in ihren Reihen. 90 Prozent der IT-Unternehmen in Deutschland sehen eine Erhöhung des Frauenanteils in ihrem Unternehmen als Chance. Die Mehrheit der IT-Unternehmen bemüht sich auch aktiv, mehr Frauen zu gewinnen: 57 Prozent sprechen in ihrem Recruiting speziell Frauen und Mädchen an. Weitere 34 Prozent planen aktuell den Einsatz auf Frauen abgestimmter Recruiting-Maßnahmen. Am verbreitetsten sind demnach Kooperationen mit Hochschulen und Schulen, die 30 Prozent der Unternehmen bereits pflegen. Das sind Ergebnisse einer Studie des Digitalverbands Bitkom, für die mehr als 500 IT-Unternehmen repräsentativ befragt wurden.
„Schulen sind der einzige Ort, den jedes Mädchen besucht. Dort werden die Weichen für die spätere Studien- und Berufswahl gestellt. Umso wichtiger ist es, gerade in den Schulen das Interesse an Digitalberufen zu wecken und gesellschaftlich gewachsene Stereotype abzubauen. Digitalisierung und Technik haben kein Geschlecht. Mädchen sollten von klein auf an die Digitalisierung herangeführt und dafür begeistert werden. Sie müssen die gleichen Chancen erhalten, ihrer Neugier auf Technik nachzugehen wie Jungen. Dazu gehört auch, die vielen inspirierenden weiblichen Vorbilder, die es heute schon gibt, sichtbarer zu machen“, so Bitkom-Präsident Dr. Ralf Wintergerst.
Unter den beliebtesten Recruiting-Maßnahmen folgen Einstiegsprogramme wie zum Beispiel Traineeships zum Berufseinstieg junger Frauen, die 18 Prozent der Unternehmen einsetzen und die Nutzung weiblicher Rollenvorbilder in der Kommunikation mit 15 Prozent. Aktives Recruitment, zum Beispiel über Talentpools, betreiben bisher 12 Prozent. Es folgt der Auftritt auf frauenspezifischen Karrieremessen und -events von 11 Prozent der IT-Unternehmen sowie auf Frauen und Mädchen zugeschnittene Werbe- oder Social-Media-Kampagnen, auf die jedes zehnte IT-Unternehmen (10 Prozent) setzt. Die Regel, Frauen bei gleicher Qualifikation zu bevorzugen, gibt es demnach in 9 Prozent der IT-Unternehmen.
Spezielle Maßnahmen, um die Karrieren von Mitarbeiterinnen gezielt zu fördern, sind demnach auch in vielen IT-Unternehmen verbreitet: 67 Prozent setzen mindestens eine solche Maßnahme ein, weitere 31 Prozent planen sie. Im Schnitt hat jedes IT-Unternehmen insgesamt drei Maßnahmen im Einsatz, um Frauen im Unternehmen zu fördern. Dabei liegen Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie vorne: Mobiles Arbeiten (59 Prozent) und familienfreundlichere Arbeitsbedingen wie zum Beispiel flexible Arbeitszeitmodelle (39 Prozent) nutzen demnach die meisten. Ein Kontakthalteprogramm während der Elternzeit setzen 26 Prozent ein, Jobsharing 16 Prozent. Geht es um die Unterstützung im Job, bieten rund ein Drittel (35 Prozent) Weiterbildungen an, beim Mentoring sind es 21 Prozent. Ein Viertel (25 Prozent) der IT-Unternehmen setzt außerdem auf die Sensibilisierung und Aufklärung von Belegschaft und Führungskräften. In 12 Prozent der IT-Unternehmen gibt es interne Frauennetzwerke.
Andererseits steht aber ein Viertel der Branche solchen Maßnahmen generell eher skeptisch gegenüber: 23 Prozent der IT-Unternehmen sagen, Maßnahmen zur Frauenförderung bewirkten sowieso keine Veränderung. Genauso viele (23 Prozent) meinen, Frauenförderung sei häufig nur vorgeschoben, in der Praxis ändere sich nichts. Wintergerst: „Wer Frauenförderung nur halbherzig oder als Imagepflege betreibt, begeht nicht nur gesellschaftlich, sondern auch wirtschaftlich einen Fehler. Die Erfahrung zeigt, dass Unternehmen durch entsprechende Maßnahmen für Frauen attraktiver werden und mit einer vielfältigen Belegschaft langfristig leistungsfähiger und erfolgreicher sind.“
Das Bekenntnis, tatsächlich etwas ändern zu wollen, äußert sich in konkreten Zielsetzungen. Allerdings haben sich erst 29 Prozent der IT-Unternehmen derzeit interne Ziele zur Erhöhung des Frauenanteils gesteckt: 20 Prozent allgemeine Ziele, weitere 9 Prozent mit definierten Zielgrößen und Zeitplan. 15 Prozent planen solche Zielsetzungen derzeit konkret, 27 Prozent diskutieren sie. Für knapp ein Viertel (23 Prozent) ist die Formulierung interner Ziele zur Frauenförderung allerdings aktuell kein Thema. Als Grund, bisher keine Ziele verankert zu haben, geben die meisten dieser Unternehmen an, nicht genügend qualifizierte Bewerberinnen (74 Prozent) oder andere Prioritäten (37 Prozent) zu haben. „Klare Ziele schaffen Verbindlichkeit. Ohne sie gestaltet es sich schwierig, den Anteil von Frauen signifikant zu erhöhen. Trotz der zahlreichen Krisen in den letzten Jahren müssen Unternehmen darüber nachdenken, wie sie Frauen für offene Positionen gewinnen und auch darin halten können. Indem sie von den verschiedenen Fähigkeiten, Perspektiven und Erfahrungen der Mitarbeitenden profitieren, können Unternehmen durch eine diverse Belegschaft krisenfester und wettbewerbsfähiger werden“, so Wintergerst.
Wie wichtig es ist, mehr Frauen zu gewinnen, ist den Unternehmen dabei durchaus bewusst: 66 Prozent sagen, ohne Frauen verspiele die Branche ihre Zukunft, und 68 Prozent halten es für unmöglich, ohne Frauen die IT-Fachkräftelücke zu schließen. Andererseits zeigen sich drei Viertel (73 Prozent) auch selbstkritisch und meinen, die IT-Branche unterschätze das Potenzial von Frauen.
Das zeigt sich auch an der Benennung von konkreten Zuständigkeiten: Nur in der Hälfte der Unternehmen (50 Prozent) wurden bisher personelle Verantwortlichkeiten für die Themen Gleichstellung und Karriereplanung bestimmt. Bei insgesamt 34 Prozent ist das Thema in der Geschäftsführung verankert, bei 20 Prozent in der Personalabteilung und bei 1 Prozent bei Gleichstellungs- oder Frauenbeauftragten beziehungsweise Diversity-Verantwortlichen. Anderseits ist in 47 Prozent der Unternehmen überhaupt niemand für diese Themen zuständig. Wintergerst: „Klare Verantwortlichkeiten und Ansprechpersonen zu benennen, gibt den Zielen ein Gesicht und trägt maßgeblich dazu bei, dass Gleichstellung und Frauenförderung nicht nur als kurzfristiges Nice-to-have, sondern als wichtiger Teil einer langfristigen Unternehmensstrategie betrachtet werden.“
Im internationalen Vergleich erkennen Deutschlands IT-Unternehmen großen Nachholbedarf. Beim Thema Gleichstellung und Erhöhung des Frauenanteils sieht eine große Mehrheit die deutsche IT-Branche hinten: Für 60 Prozent gehört die deutsche IT-Branche international zu den Nachzüglern, weitere 20 Prozent sagen sogar, die Branche habe den Anschluss verpasst. Nur 15 Prozent sehen die Branche weltweit unter den Vorreitern, lediglich 2 Prozent an der Spitze. Der Frauenanteil in der deutschen IT-Branche liegt nach Bitkom-Berechnungen bei 30 Prozent.
Aus Sicht der Unternehmen sind die Gründe für den eher geringen Frauenanteil unter den Beschäftigten in der deutschen IT-Branche vielfältig und sowohl bei Unternehmen, Politik sowie zum Teil auch in gesellschaftlichen Strukturen verortet. Mit 66 Prozent werden insbesondere Hürden beim Wiedereinstieg von Frauen, wie fehlende Fortbildungsangebote während Abwesenheiten sowie traditionelle Rollenbilder in Unternehmen (64 Prozent) als Gründe für den geringen Anteil gesehen. Innerhalb der Unternehmen folgen fehlende Netzwerke für Frauen als Hürde mit 50 Prozent, eine unzureichende Sensibilisierung der Führungskräfte mit Personalentscheidung mit 44 Prozent und das Phänomen der „Gläsernen Decke“ mit 43 Prozent.
Aber auch die Politik wird in der Verantwortung gesehen. So erkennen 60 Prozent der IT-Unternehmen in der mangelnden Infrastruktur zur Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen ein Hindernis für eine Erhöhung des Frauenanteils. 56 Prozent beobachten Hürden beim Quereinstieg wie klischeebehaftete Weiterbildungsempfehlungen in Arbeitsagenturen. Fast jedes zweite IT-Unternehmen (49 Prozent) macht eine klischeebehaftete Ausbildung oder Berufsorientierung an Schulen als Grund aus. „Wir müssen uns von überholten und schlichtweg unzutreffenden Rollenklischees verabschieden. Sie verbauen Frauen und Mädchen in Wirtschaft und Gesellschaft wichtige Entwicklungschancen. Dabei geht es nicht nur um mehr technologische Innovation und größeren wirtschaftlichen Erfolg durch mehr Diversität, sondern schlichtweg auch um mehr digitale Teilhabe und die gleichberechtigte Mitgestaltung der Digitalisierung“, so Wintergerst.
Dabei sieht die Hälfte (50 Prozent) der IT-Unternehmen auch eine schlechtere Selbstvermarktung von Frauen als Hürde für eine Karriere in der IT. 42 Prozent sprechen von ungenügend qualifizierten Bewerberinnen. Ein Drittel (33 Prozent) sieht ein geringeres Interesse von Frauen an IT-Berufen als Grund für den geringen Frauenanteil, 22 Prozent vermuten ein im Vergleich zu Männern geringeres Interesse daran, überhaupt in der IT-Branche zu arbeiten. Wintergerst: „Im Wettbewerb um Fachkräfte müssen sich die Unternehmen anstrengen und ein Arbeitsumfeld schaffen, in dem Frauen gerne arbeiten.“
Insgesamt sieht sich knapp die Hälfte der IT-Unternehmen selbst in der Pflicht, der Großteil wünscht sich dabei aber auch mehr Unterstützung der Politik: 51 Prozent der IT-Unternehmen sagen, sie seien selbst dafür verantwortlich, dass der Frauenanteil steigt. 61 Prozent sind der Meinung, die Politik müsse mehr tun, um Frauen in der IT zu fördern. Aus Bitkom-Sicht braucht es neben unternehmensinternen Maßnahmen wie Zielsetzungen, personellen Zuständigkeiten sowie Qualifizierungs- und Unterstützungsangeboten für Frauen seitens der Politik insbesondere mehr Investitionen in die Betreuungsinfrastruktur und eine Bildungspolitik, die das Interesse von Mädchen und jungen Frauen an IT-Themen gezielt fördert. Dazu zählen zum Beispiel eine klischeefreie Berufsorientierung und Weiterbildungsberatung für Mädchen und Frauen, attraktivere Ausbildungs- und Studiencurricula sowie ein bundesweit verpflichtender Informatikunterricht.
„Mit einer Vielzahl kleiner Unternehmen und einigen Big Playern ist die deutsche IT-Branche sehr heterogen. Die Unternehmen verfügen also über ganz unterschiedliche finanzielle und personelle Ressourcen, um intern Frauenförderung voranzutreiben. Gleichzeitig spielt die Sozialisation in Elternhaus, Schulen und Hochschulen eine wichtige Rolle bei der späteren Berufswahl. Die Herausforderungen, mit denen IT-Unternehmen auf dem Weg zu mehr Vielfalt konfrontiert sind, sind komplex. Umso wichtiger ist es, das Thema nicht auf die lange Bank zu schieben und mit einem Bündel an Maßnahmen anzugehen“, so Wintergerst. Um Frauen für Karrieren in der digitalen Wirtschaft zu begeistern und Politik und Unternehmen dabei zu unterstützen, weibliche Fach- und Führungskräfte besser zu fördern, engagiert sich der Bitkom mit weiteren Partnern in der Initiative #SheTransformsIT. Das interdisziplinäre Bündnis aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft setzt sich dafür ein, Mädchen und Frauen im digitalen Wandel zu stärken.
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