Online-Weiterbildung
Präsenz-Weiterbildung
Produkte
Themen
Dashöfer

Lauschangriff im Breuninger-Betriebsrat?

26.10.2011  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Taylor Wessing Deutschland.

Außerordentliche Kündigung wegen Abhörens einer Ausschusssitzung

Hintergrund

Betriebsratsmitglieder genießen in Ansehung ihres Amtes einen hohen Kündigungsschutz. Die ordentliche Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses ist nach dem Gesetz ausgeschlossen, sieht man von wenigen Ausnahmefällen wie beispielsweise einer Betriebsstillegung ab. Im Übrigen kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nur dann durch fristlose Kündigung beenden, wenn ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 BGB vorliegt und der Betriebsrat als Gremium der Kündigung vor ihrem Ausspruch zugestimmt hat. Der Bestand der Kündigung hängt in der Sache davon ab, ob Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile bis zum Ablauf der fiktiv für das Betriebsratsmitglied geltenden Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Vor allem im Fall strafrechtlich relevanter Verhaltensverstöße kommt das Vorliegen einer Unzumutbarkeit in Betracht. Dass diese gleichwohl nicht automatisch angenommen wird, zeigt der vom LAG Baden-Württemberg entschiedene Fall.

Sachverhalt

Die Klägerin war seit 1990 als Verkaufsmitarbeiterin in einer Stuttgarter Filiale des Kaufhausbetreibers Breuninger tätig und Mitglied in der Gewerkschaft ver.di. Seit dem 11. Mai 2010 gehörte sie dem für mehrere Betriebsstätten in Baden-Württemberg zuständigen Betriebsrat sowie zusätzlich dem Betriebsausschuss an. Im Rahmen einer Betriebsausschusssitzung wurde die Klägerin von einem anderen Ausschussmitglied mit dem Vorwurf konfrontiert, sie habe mit ihrem Mobiltelefon während der Sitzung eine Verbindung zu einem außenstehenden Dritten hergestellt, damit dieser den Ablauf der Sitzung verfolgen könne. Die Klägerin stritt dies ab, worauf der Sachverhalt durch die übrigen Ausschussmitglieder beim Arbeitgeber zur Anzeige gebracht wurde. Im Nachgang hierzu fanden mehrere Gespräche zwischen der Klägerin und ihrem Arbeitgeber statt, an denen zum Teil auch Betriebsrats- und Gewerkschaftsvertreter teilnahmen. Zu einer abschließenden Klärung des Sachverhalts kam es in diesem Rahmen nicht. Dennoch entschloss sich der Kaufhausbetreiber, das Arbeitsverhältnis der Klägerin im Wege einer außerordentlich fristlosen Kündigung zu beenden. Der Betriebsrat erteilte hierzu im Rahmen von § 103 BetrVG seine Zustimmung. Breuninger führte zur Begründung der Kündigung an, dass die Klägerin durch ein Abhören der Betriebsausschusssitzung massiv und nachhaltig gegen ihre arbeitsvertraglichen Verpflichtungen verstoßen habe; jedenfalls bestehe ein entsprechender Verdacht dahingehend, dass die Klägerin die Vertraulichkeit des Wortes verletzt und sich gemäß § 201 StGB strafbar gemacht habe.

Die Entscheidung

Bereits in erster Instanz hatte die gegen die außerordentliche Kündigung gerichtete Klage Erfolg. Das Arbeitsgericht Stuttgart stellte fest, dass allenfalls der Verdacht des Abhörens taugliche Grundlage der Kündigung sein könne, da der Tatvorwurf nicht abschließend nachgewiesen sei. Allein dies reiche jedoch für die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung nicht aus. Selbst wenn sich der Vorfall wie behauptet ereignet habe, sei schwerpunktmäßig von einer Verletzung der Amtspflichten als Betriebsrat, nicht aber von einem Verstoß gegen arbeitsvertragliche Hauptpflichten auszugehen. Zutreffende Sanktion sei daher eine Abmahnung gewesen, stand doch zu keiner Zeit zu befürchten, dass sich die Klägerin im Rahmen der Erbringung ihrer Arbeitsleistung als Verkäuferin falsch verhalten habe. Ein etwaiger Pflichtverstoß könne damit ggf. zwar Grundlage eines betriebsverfassungsrechtlichen Amtsenthebungsverfahrens, nicht aber Rechtfertigung für die ausgesprochene fristlose Kündigung sein. In zweiter Instanz bestätigte das LAG Baden-Württemberg diese Entscheidung. In einer umfassenden Interessenabwägung berücksichtigte das Gericht zu Gunsten der Klägerin vor allem, dass sie seit über zwanzig Jahren beanstandungsfrei ihre Arbeitsleistung erbrachte.

Praxishinweis

Der von der Betriebsrätin errungene „Sieg“ in zweiter Instanz wurde durch die Gewerkschaft ver.di medienwirksam begrüßt. Solidaritätsbekundungen für die Betroffene erreichten ein vergleichbares Niveau wie im allseits bekannten „Emmely“-Fall. Die Presse für Breuninger war dementsprechend schlecht. Der dort bestehende Betriebsrat, so ver.di, setze sich vornehmlich aus AbteilungsleiterInnen zusammen und agiere ausschließlich arbeitgeberorientiert. So sei dies innerhalb eines Zeitraums von wenigen Monaten bereits der zweite Fall einer Kündigung von gewerkschaftlich organisierten Betriebsräten bei der Kaufhauskette, der zudem aktiv aus den Reihen des Betriebsrats betrieben worden sei.

Die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg enthält sich zu Recht jeglicher Bewertung der innerbetrieblichen Verhältnisse und politischen Interessen. Das Gericht knüpft stattdessen an die höchstrichterliche Rechtsprechung zum „Vertrauenskapital“ an. Danach gilt: Hat sich der Arbeitnehmer durch jahrelange beanstandungsfreie Arbeit ein entsprechendes Vertrauen erarbeitet, wird dieses Vertrauen in der Regel nicht durch einen einmaligen und untypischen „Ausrutscher“ zerstört. Steht zudem nicht die Arbeitspflicht, sondern die Tätigkeit als Betriebsratsmitglied im Vordergrund, besteht ein hohes Risiko dahingehend, dass eine fristlose Kündigung sich als Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erweist und daher unwirksam ist. Auch mit Blick auf die Wirksamkeitsvoraussetzungen einer so genannten „Verdachtskündigung“ bewegt sich das LAG Baden-Württemberg in den Grenzen der gefestigten Rechtsprechung. Dies zeigt einmal mehr, wie wichtig die umfassende Aufklärung des Sachverhalts im Vorlauf einer Verdachtskündigung ist. Vor allem die ordnungsgemäße Anhörung des betroffenen Arbeitnehmers nimmt hier einen besonderen Stellenwert ein. In der sich anschließenden Interessenabwägung ist u.a. die Betriebsratseigenschaft des betroffenen Arbeitnehmers hinreichend zu berücksichtigen.

Quelle: Dr. Sabine Bechtel, Taylor Wessing Frankfurt

nach oben
FAQ