27.10.2022 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Robert Half Deutschland GmbH & Co. KG.
Der Begriff Ghosting ist vor allem im Privatleben und im Dating-Kontext verbreitet: Nach einem ersten Flirt und Kennenlernen meldet sich das Gegenüber einfach nicht mehr, bricht den Kontakt wortlos ab – und löst sich quasi wie ein Geist in Luft auf. In den letzten Jahren tritt das Phänomen Job-Ghosting mehr und mehr auf dem Arbeitsmarkt und in Bewerbungsprozessen auf. Bei einer Befragung des Job-Portals Indeed in den USA berichteten 76 % der 500 befragten Arbeitgeber, im Lauf des Jahres 2020 von Jobsuchenden geghostet worden zu sein. Viele äußerten das Gefühl, dieses Phänomen nehme zu.
Von Bewerberseite bestätigt sich diese Vermutung: Von den 500 in der Studie befragten Jobsuchenden gaben 28 % zu, im Jahr 2020 einen potenziellen Arbeitgeber geghostet zu haben – gegenüber 18 % im Jahr 2019. Innerhalb dieser Gruppe wurde deutlich, dass der Kontaktabbruch zu unterschiedlichen Zeitpunkten passieren kann: Demzufolge sind 46 % zu einem geplanten Vorstellungsgespräch nicht erschienen. Sie ließen also nichts mehr von sich hören, bevor überhaupt ein konkretes Jobangebot vorlag.
48 % haben nicht mehr auf Anfragen der Kontaktperson oder des Recruitenden geantwortet. Nur wenige aber brachen erst spät im Prozess den Kontakt ab:7 % haben zwar ein Stellenangebot angenommen, sind aber am ersten Arbeitstag nicht erschienen.
Warum sind vielversprechende Bewerbende plötzlich wie vom Erdboden verschwunden? Laut der Indeed-Umfrage gibt es mehrere konkrete Gründe für Job-Ghosting: 15 % gaben an, dass die Stelle im Endeffekt doch nicht das Richtige für sie gewesen sei, während 20 % ein anderes Angebot erhalten hatten. Nur 13 % waren mit dem angebotenen Gehalt nicht zufrieden.
Wenn Unternehmen nach einem Bewerbungsgespräch „ghosten“, trifft es in der Regel Bewerbende, die sowieso nicht in der engeren Wahl waren oder gleich ausgeschlossen wurden. Erhalten Sie nun als Arbeitgeber selbst keine Zu- und keine Absage von vielversprechenden Bewerbenden und hängen dadurch in der Luft, verhält es sich vermutlich genauso – nur haben diese Bewerbenden Sie als potenziellen Arbeitgeber aussortiert.
Denn qualifizierte Fachkräfte haben heutzutage die Wahl zwischen mehreren attraktiven Arbeitgebern. Manchmal geben auch marginale Unterschiede den Ausschlag, beispielsweise ein etwas höheres Gehalt, die Möglichkeit zu Home-Office oder mehr Urlaubstage.
Auch eine Hinhaltetaktik ist möglich, denn vielleicht kommt Ihr Unternehmen grundsätzlich für die sich bewerbende Person infrage. Der absolute Wunsch-Arbeitgeber ist allerdings ein anderer– und dessen Antwort steht aktuell noch aus. In der Zwischenzeit werden Sie hingehalten, denn konkrete Aussagen lassen sich leicht vermeiden, indem einfach gar nicht geantwortet wird.
Klar ist: Sich auf eine Einladung oder ein konkretes Jobangebot nicht zurückzumelden, ist schlicht unhöflich. Manche Arbeitsmarktexperten vermuten, dass es sich um erlerntes Verhalten der Jobsuchenden handeln könnte – schließlich haben viele es selbst schon öfter erlebt, dass ihre Bewerbung im Sande verläuft und sie nie eine Rückmeldung des potenziellen Arbeitgebers erhalten. Die feine Art ist das nicht und zeugt von mangelndem Respekt, egal, von welcher Seite es ausgeht.
Für Unternehmen ist Ghosting im Bewerbungsprozess besonders frustrierend, denn sie haben bereits Zeit und Aufwand investiert, um ihre Wahl zu treffen. Sie haben die Bewerbungsunterlagen geprüft, das Vorstellungsgespräch vorbereitet und eine Vorauswahl getroffen.
Am Ende legen sie sich auf eine Person fest und machen ein Angebot. Damit haben sie zunächst andere Bewerbende ausgeschlossen, die vielleicht auch geeignet gewesen wären. Wenn die Person der Wahl nun unauffindbar ist und nicht einmal abgesagt oder sich anderweitig erklärt hat, ist das mehr als ärgerlich.
In der Regel können Arbeitgeber auf juristischem Weg wenig ausrichten, wenn ein potenzielles neues Teammitglied auf Ihre Kommunikationsversuche nicht reagiert. Allerdings führen viele inzwischen Buch: Ganze 93 % der von Indeed Befragten notieren sich, von welchen Bewerbern sie geghostet wurden. Rund 80 % der Arbeitgeber gehen auch davon aus, dass Ghosting früher oder später negativ auf die Jobsuchenden zurückfallen wird.
Rechtliche Schritte sind selbst im schlimmsten Fall von Ghosting im Job schwierig: Der Arbeitsvertrag ist unterschrieben, aber das neue Teammitglied taucht am ersten Arbeitstag einfach unentschuldigt nicht auf– und bleibt verschwunden
Allerdings ist auch zu bedenken, ob der rechtliche Weg oder Vertragsstrafen tatsächlich angemessen und wirksam sind. Spielen Sie den Gedanken einmal durch: Hat ein neues Teammitglied vor Arbeitsantritt ein besseres Angebot erhalten, muss es nun zunächst den Job bei Ihnen antreten – das nimmt in Ihrer Belegschaft Ressourcen für Onboarding und Einarbeitung in Anspruch. Dazu wird eine Person, die zum Arbeitsantritt „gezwungen“ wurde, wahrscheinlich nicht sonderlich motiviert, produktiv und kollegial sein. Daraufhin folgt zum vertraglich frühestmöglichen Zeitpunkt die Kündigung, sofern Sie dem nicht ohnehin zuvorkommen.
Sie können das Ghosting im Bewerbungsprozess zwar nicht komplett vermeiden, aber sehr gut vorbeugende Maßnahmen treffen:
Bild: Andrea Piacquadio (Pexels, Pexels Lizenz)