08.06.2015 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Taylor Wessing Deutschland.
Arbeitsschutz liegt der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles, offensichtlich am Herzen. Zwar sind derzeit die „Anti-Stress-Verordnung“ oder die zuletzt stark kritisierte Arbeitsstättenverordnung zunächst vom Tisch. Jedoch begann am 1. Juni 2015 ein neues, modernisiertes Kapitel des Arbeitsschutzrechts, auf welches sich die Arbeitgeber, Beschäftigten, Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Hersteller/Lieferanten von Arbeitsmitteln nolens volens einstellen müssen.
Am 1. Juni 2015 trat – neben der ebenfalls beachtenswerten neuen Gefahrstoffverordnung – das geänderte Betriebssicherheitsrecht in Kraft, das Kernstück der neuen „Verordnung zur Neuregelung der Anforderungen den Arbeitsschutz bei der Verwendung von Arbeitsmitteln und Gefahrstoffen“ vom 3. Februar 2015.
Ziel der Betriebssicherheitsverordnung („BetrSichV“) ist es, „die Sicherheit und den Schutz der Gesundheit von Beschäftigten bei der Verwendung von Arbeitsmitteln zu gewährleisten“. Auf die Neufassung der Gefahrstoffverordnung konnten sich die Unternehmen dank großzügiger Übergangsvorschriften seit 2010 einstellen – die BetrSichV kommt vergleichsweise überraschend, wenngleich auch aufgrund europarechtlicher Vorgaben zu erwarten.
Der heutige Newsletter beantwortet überblicksartig aktuelle Fragen, die von Arbeitgebern, Fachkräfte für Arbeitssicherheit, Betriebsräte, aber auch von Herstellern und Lieferanten von Arbeitsmitteln zu beachten sind.
Die gute Nachricht ist: Die BetrSichV führt in einigen Bereichen zu größerer Flexibilität (Stichwort: individuelle Beurteilung). Die schlechte Nachricht ist: Der rechtliche Rahmen wird strenger, betriebliche Regelungen und Prozesse müssen angepasst werden, gegebenenfalls müssen Arbeitsmittel neu beschafft oder umgerüstet werden. Die „Bürokratie“ dürfte angesichts umfangreicher Dokumentationspflichten zunehmen.
Die neue Betriebssicherheitsverordnung ist in fünf Abschnitte gegliedert:
In drei Anhängen werden die Vorschriften präzisiert: Anhang 1 regelt die besonderen Vorschriften für bestimmte Arbeitsmittel, Anhang 2 die Prüfvorschriften für überwachungsbedürftige Anlagen – insbesondere Aufzugsanlagen, so genannte Ex-Anlagen und Druckanlagen – und Anhang 3 die Prüfvorschriften für bestimmte Arbeitsmittel (z.B. Krane, Flüssiggasanlagen u.s.w.).
Zentraler Bestandteil der Neuregelung ist die Gefährdungsbeurteilung. Hinzu treten Organisations-, Dokumentations-, Qualifikations-, Unterweisungs- und Überprüfungspflichten.
Die BetrSichV gilt ab 1. Juni 2015 für jedes Unternehmen. Übergangsvorschriften sind nicht vorgesehen. Vielmehr müssen ab 1. Juni 2015 alle Arbeitsmittel den Anforderungen der Verordnung genügen. Alt-Arbeitsmittel müssen gegebenenfalls umgerüstet oder auch neu angeschafft werden.
Die Verordnung verpflichtet nicht nur Arbeitgeber, sondern auch Personen, die überwachungsbedürftige Anlagen betreiben (ohne Arbeitgeber zu sein) zum Schutz von Beschäftigten, worunter neben Arbeitnehmern auch Schüler, Studenten und sonstige Personen (z.B. in wissenschaftlichen Einrichtungen Tätige) fallen. Die Verordnung ist im Grundsatz anwendbar (!), wenn ein Aufzug in einer Wohnanlage betrieben wird, in welcher mindestens eine Wohnung an einen Nicht-Eigentümer vermietet ist.
Unter Arbeitsmittel sind Werkzeuge, Geräte, Maschinen oder Anlagen zu verstehen, die für die Arbeit verwendet werden. Der Begriff ist weit gefasst und reicht vom von der Büroklammer bis hin zu komplexen Produktionsmaschinen. Verwendet wird das Arbeitsmittel, wenn es tatsächlich eingesetzt wird.
Vorsicht ist bei der Gestattung des Gebrauchs privater Geräte im Betrieb des Arbeitgebers geboten: Der Arbeitgeber hat deren Produkt- und Betriebssicherheit z.B. von privat mitgebrachten Elektrogeräten ebenfalls zu überprüfen. Zwar wäre rechtlich ein Verbot der Nutzung konsequent, um die Anwendbarkeit der BetrSichV auszuschließen. Allerdings scheint die BetrSichV insoweit hinter der Realität zurückzubleiben, da die Nutzung von privaten Geräten – je nach Branche – verbreitet ist.
Die Gefährdungsbeurteilung ist der zentrale Bestandteil der neuen BetrSichV. Verpflichtet zur Gefährdungsbeurteilung ist jeder Arbeitgeber. Zwar kann (und sollte) sich dieser durch fachkundige Personen unterstützen lassen. Dies ändert aber nichts an seiner grundsätzlichen Verantwortung. Rechtsrat ist daher dringend anzuraten.
Alle Arbeitsmittel – von der Büroklammer bis zur großtechnischen Anlage – sind der Gefährdungsbeurteilung zu unterziehen. Nach der Verordnung „soll“ die Gefährdungsbeurteilung vor Einsatz der Arbeitsmittel vorgenommen werden – später ist dies auch möglich, es können dann aber teure Umrüstungs- oder sogar Neubeschaffungskosten entstehen. Mittels einer wissenschaftlichen Methode sind systematisch
Die Gefährdungsbeurteilung ist regelmäßig und anlassbezogen vorzunehmen. Gefährdungsbeurteilungen sind auch für überwachungsbedürftige Anlagen vorzunehmen, bei denen andere Personen als Beschäftigte Gefährdungen ausgesetzt sein können. Die Gefährdungsbeurteilung ist zu dokumentieren, wobei die elektronische Form ausreicht.
Besteht ein Betriebsrat, so hat dieser für den jeweiligen Betrieb ein zwingendes, d.h. durchsetzbares Mitbestimmungsrecht. Arbeitgeber und der Betriebsrat müssen sich daher z.B. über die Methode, die Durchführung, die Art der Dokumentation, die arbeitsschutzrechtlichen Maßnahmen u.s.w. – notfalls über die Einigungsstelle – verständigen. Die Gefährdungsbeurteilung ist im Grundsatz betriebsbezogen durchzuführen.
Empfehlung: Wir empfehlen, dass – angesichts der Neuregelung der BetrSichV – die Gefährdungsbeurteilung zeitnah durchgeführt wird. Ratsam ist es, das konstruktive Gespräch mit dem Betriebsrat zu suchen und diesem aktiv einen konkreten Vorschlag einer Regelung zu unterbreiten.
Diese Frage ist mit „Ja, aber“ zu beantworten. Die Verordnung sieht an vielen Stellen Erleichterungen vor, insbesondere bei einfachen Arbeitsmitteln. Natürlich ist die Büroklammer weit weniger gefährlich als eine komplizierte elektrotechnische Fertigungsstraße. Zudem kann sich der Arbeitgeber auf Herstellerangaben grundsätzlich verlassen, d.h. er muss nicht eine Grundsatzüberprüfung durchführen.
Vorsicht ist gleichwohl die Mutter der Porzellankiste: Der Arbeitgeber darf sich beispielsweise nicht auf Herstellerangaben oder Technischen Regelungen zur Betriebssicherheit (TRBS) u.s.w verlassen, wenn sein Vertrauen erschüttert ist. Dies ist etwa der Fall, wenn die sichere Verwendung nicht nur von der mitgelieferten Sicherheit abhängt, weil das Arbeitsmittel in die betriebliche Infrastruktur integriert wird. Bei Zweifel an der Sicherheit muss stets geprüft werden. Kein Vertrauen des Arbeitgebers dürfte bestehen, wenn beispielsweise die vom Hersteller gemachten Angaben unvollständig, widersprüchlich oder in sonstiger Weise unzureichend sind. Vorsicht sollte man auch bei der Anwendung der TRBS walten lassen, da abzuwarten ist, ob diese neu angepasst werden müssen.
Empfehlung: Wir empfehlen, dass sich der Arbeitgeber bereits bei der Beschaffung die Rechtskonformität durch Produktsicherheit (z.B. CE-Kennzeichnung, EG-Konformitätserklärung) zusichern lässt – dieses sehen auch die einschlägigen DGUV-Vorschriften vor, was bisweilen in Beschaffungsverträgen übersehen wird. Für die Prüfung der Betriebssicherheit, d.h. die Verwendung des Arbeitsmittels im betrieblichen Arbeitsalltag, bleibt der Arbeitgeber allein in der Verantwortung. Unabhängig von CE-Kennzeichnungen ist in jedem Fall eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen.
Die Verordnung enthält abstrakt-generelle Vorgaben zu den Anforderungen an Arbeitsmittel („materielle Schutzziele“). Arbeitsmittel müssen beispielsweise für die Art der auszuführenden Arbeit geeignet und den Einsatzbedingungen/Beanspruchen angepasst sein. Sie müssen über die erforderliche sicherheitsrelevante Ausrüstung verfügen und mängelfrei sein. Gefährdungen müssen gering gehalten sein, d.h. bei Gefährdungen sind Maßnahmen nach dem TOP-Prinzip abzuleiten: Technische (T) gehen organisatorischen (O) und diesen personenbezogenen (P) Schutzmaßnahmen vor. Maßstab für die Frage, ob diese Anforderungen erfüllt sind, ist das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung.
Arbeitsmittel sind vom Arbeitgeber zu überprüfen. Die Prüfung erstreckt sich etwa auf die Erstprüfung, z.B. auf die ordnungsgemäße Installation oder Montage, aber auch auf die laufende Überprüfung. Im Anhang 3 der Verordnung sind für besondere Anlagen (z.B. Krane) pauschale Prüffristen vorgesehen. Besonderheiten ergeben sich bekanntermaßen für Aufzüge, bei denen sogar eine besondere Prüfplakette vorgesehen ist. Die Prüfung ist zu dokumentieren und von qualifizierten Personen durchzuführen.
Die Anleitung und Qualifikation der Beschäftigten zu sicheren Verhalten ist ein weiterer Kernbestandteil der BetrSichV. Die Qualifikation und Unterweisung kann über Betriebsanweisungen bzw. Betriebsanleitungen erfolgen. Bestehende Anweisungen/Anleitungen müssen wegen der nun zentralen Gefährdungsbeurteilung neu angepasst werden. In der Praxis sollte der Arbeitgeber konkrete Handlungsanweisungen (Ge- und Verbote) bei der Verwendung von Arbeitsmitteln erlassen sowie die Prüfung des Arbeitsmitteleinsatzes durch befähigte Personen und die Kontrolle durch Verwender vorsehen.
Hinsichtlich der Unterweisung hat der Arbeitgeber sicherzustellen, dass diese umfassend schriftlich und regelmäßig durchgeführt wird. Die Unterweisung muss sich auch auf die Gefährdungen durch die Arbeitsumgebung erstrecken und erforderliche Schutzmaßnahmen und Verhaltensregelungen bei Betriebsstörungen, Unfällen, Erste Hilfe/Notfälle vorsehen. In zeitlicher Hinsicht hat eine Unterweisung erstmals zu erfolgen, wenn das Arbeitsmittel verwendet wird (Erstunterweisung), klassischer Weise also vor der Einstellung. Die Unterweisung hat regelmäßig und anlassbezogen stattzufinden, v.a. bei hoher Mitarbeiterfluktuation sind kürzere Abstände anzuraten.
Auf ordnungsgemäße Dokumentation ist zu achten. So sollte festgehalten werden, dass die Unterweisung schriftlich unter Angabe des Datums und des Namens des Unterwiesenen und des Unterweisenden sowie unter Angabe der Inhalte erfolgt ist.
Empfehlung: Mit Blick auf die Neufassung der BetrSichV sollte der Unterweisungspflicht zeitnah nachgekommen werden. Angesichts der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats empfehlen wir, dieses Thema aktiv mit dem Betriebsrat anhand eines konkreten Regelungsvorschlags zu besprechen.
Nach der BetrSichV sind Instandhaltungen notwendig, damit die Arbeitsmittel während der Verwendungsdauer den für sie geltenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen entsprechen und im sicheren Zustand gehalten werden. Instandhaltungsmaßnahmen sind unverzüglich durchzuführen, wenn dies erforderlich ist, z.B. auf Grundlage der Gefährdungsbeurteilung oder nach dem Stand der Technik. Die Maßnahme muss von fachkundigen Personen durchgeführt werden, wobei insbesondere die Angaben des Herstellers und die Grundregeln der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz (EU-OSHA-Regeln) zu berücksichtigen sind.
Die Verordnung sieht auch hier Neuprüfungen und Anpassung bestehender Betriebsanweisungen vor. Beachtet man die Vorgaben der BetrSichV nicht, so kann es zu Umrüstungen, ja sogar – je nach Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung – zu einem Einsatzverbot kommen.
Die Verordnung verpflichtet den Arbeitgeber zur Bildung eines Ausschusses für Betriebssicherheit. Dieser hat beratende Funktion. Die Verordnung enthält Vorgaben zur Zusammensetzung und zu den Aufgaben des Ausschusses.
Die Verordnung stellt Verstöße verstärkt unter Bußgeld und Strafe. Aus acht Bußgeld-Tatbestände unter der alten Verordnung sind nun 32 geworden, hinzukommen noch weitere zehn Tatbestände aus dem Produktsicherheitsgesetz. Schon ein geringes Bußgeld kann sich auf Unternehmen nachteilig auswirken: Ab 200 Euro droht der Eintrag ins Gewerbezentralregister. Zudem kann es zu Gewinnabschöpfungen kommen.
Wird gegen die BetrSichV verstoßen, so kann dies eine persönliche Haftung des Geschäftsführers begründen. Grundsätzlich sind auch sonstige allgemeine arbeitsschutzrechtliche Maßnahmen der Behörde oder des Unfallversicherungsträgers zu befürchten. Vor allem aber können Betriebsräte z.B. über Unterlassungsverfügungen den Arbeitgeber zur Einhaltung der BetrSichV zwingen. Arbeitnehmer haben ebenfalls einen Anspruch auf Befolgung, insbesondere auch auf Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung.
Die Betriebssicherheitsverordnung verpflichtet vor allem zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung, zur Überarbeitung betrieblicher Prozesse (Stichwort: Betriebsanweisungen/Betriebsanleitungen) und zur ausführlichen Dokumentation und Unterweisung der Mitarbeiter. Bei Verstößen drohen insbesondere Bußgelder.
Rechtlich ergibt sich aus der neuen Betriebssicherheitsverordnung verstärkter Beratungsbedarf: So ist das Zusammenspiel mit anderen Arbeitsschutzverordnungen zu beachten und zu prüfen, inwieweit Verwerfungen mit europarechtlichen Vorgaben bestehen. Eine weitere Herausforderung wird sein, einen pragmatischen Weg bei der Anwendung der Verordnung zu finden. Spannend wird dies etwa bei Zusammenarbeit von mehreren Arbeitgebern, aber auch bei der Überprüfung von Standardkontrollprozessen, z.B. der Wareneingangskontrolle, Qualitätsmanagement, oder – schlicht alltäglich – bei der Beschaffung von Arbeitsmitteln.
„Sind Sie wirklich auf den 1. Juni 2015 vorbereitet?“ wird die Gretchenfrage sein, die Sie sich stellen sollten. Wir helfen bei der Umsetzung der neuen Verordnung, damit Ihre Beschäftigten nicht durch „Arbeitsmittel“ von dem abgehalten werden, was deren Aufgabe ist: In einem vernünftigen, sicheren Umfeld für die Ziele Ihres Unternehmens profitabel tätig zu sein.