12.09.2018 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Hans-Böckler-Stiftung.
Falls sie noch bis zum durchschnittlichen Renteneintrittsalter auf ihrer aktuellen Position weiterarbeiten können, sind immer noch rund 50 Prozent davon betroffen. Ein weiteres Absenken des gesetzlichen Rentenniveaus würde das Problem verschärfen. Entlastend würde eine Stärkung der gesetzlichen ersten Säule wie in Österreich wirken. Zu diesen Ergebnissen kommt eine neue, von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).
Die gesetzliche Rente ist nach wie vor das Fundament der Altersversorgung. Allein reicht sie heute in der Regel aber nicht aus, um das gewohnte Konsumniveau zu halten. Die betriebliche Alterssicherung leistet ebenfalls einen wichtigen Beitrag – wobei jedoch gerade Geringverdiener oder prekär Beschäftigte oft nicht in den Genuss einer Betriebsrente kommen. Im Vergleich dazu bringt die private Altersversorgung wenig, zeigt die Untersuchung. „Die gesetzliche Rente ist und bleibt der Anker der Altersversorgung“, sagt Dr. Dorothea Voss, die die Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung leitet. „Jedes weitere Absinken des Rentenniveaus muss verhindert werden – nicht nur bis 2025, sondern dauerhaft.“
Die DIW-Wissenschaftler haben anhand von repräsentativen Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) aus dem Jahr 2012 untersucht, wie hoch die Rente ausfällt, die Erwerbstätigen aus rentennahen Jahrgängen zusteht. In einem zweiten Schritt haben die Forscher für den hypothetischen Fall, dass diese Erwerbstätigen sofort in Rente gehen würden, berechnet, inwieweit die Rente ihren derzeitigen Konsum mit den bis dahin erworbenen Anwartschaften decken kann. Arbeitslose, frühverrentete oder anderweitig nicht erwerbstätige Personen sind nicht in die Berechnung einbezogen.
Bei 69 Prozent der Erwerbstätigen im Alter von 55 bis 64 Jahren, die nur Anspruch auf eine gesetzliche Rente haben, fällt der aktuelle Konsum höher aus als die bisher erworbenen Rentenanwartschaften. Nimmt man zur gesetzlichen Rente noch die Betriebsrenten hinzu, reduziert sich der Anteil auf 50 Prozent. Im Durchschnitt aller älteren Beschäftigten ergibt sich damit ein Wert von 58 Prozent. Rechnet man noch private Versicherungen mit ein, sinkt er lediglich von 58 auf 56 Prozent. „Die Ergebnisse zeigen, dass private Versicherungen als dritte Säule der Alterssicherung insgesamt nur wenig dazu beitragen, die Versorgungslücke zu schließen“, schreiben die Forscher. Insbesondere bei Riester- und Rürup-Renten seien die eingezahlten Beiträge gering, das erreichte Sparguthaben falle auch aufgrund geringer Verzinsung eher klein aus.
Wenn man annimmt, dass die untersuchten Erwerbstätigen durchgängig bis zum durchschnittlichen Renteneintrittsalter in ihrer bisherigen Position weiterarbeiten können, sinkt der Anteil der Betroffenen zwar merklich. Doch auch dann müssen von den Ruheständlern, die Geld aus gesetzlicher und betrieblicher Rente bekommen, 50 Prozent ihren Konsum einschränken. Rechnet man Leistungen aus privaten Versicherungen hinzu, sind es 48 Prozent.
Bei denjenigen 55- bis 64-jährigen Erwerbstätigen, die eine potenzielle Versorgungslücke haben, beträgt die Differenz zwischen aktuellem Konsumniveau und dem zum Untersuchungszeitpunkt bestehenden Rentenanspruch im Durchschnitt rund 700 Euro. Die Versorgungslücke ist bei Erwerbstätigen, die nur Anspruch auf eine gesetzliche Rente haben, mit knapp 740 Euro am größten. Liegen auch Anwartschaften an Betriebsrenten vor, reduziert sich die Lücke auf rund 620 Euro. Der Einfluss privater Versicherungen ist erneut relativ gering.
Je nach Erwerbseinkommen gibt es große Unterschiede: Bei betroffenen Menschen im untersten Zehntel der Einkommensverteilung beträgt die Versorgungslücke im Alter rund 300 Euro, im obersten Zehntel sind es knapp 1800 Euro. Doch auch wenn die Lücke bei ihnen absolut betrachtet höher erscheint, können die Besserverdiener diese meist besser ausgleichen, da sie häufig auf weitere Geldanlagen zurückgreifen können und Immobilien besitzen. Für Menschen mit kleinem Einkommen macht es dagegen einen großen Unterschied, wenn am Ende des Monats 300 Euro fehlen. Am schwierigsten sei die Lage für Geringverdiener, Frauen und Alleinlebende, aber auch für Selbständige ohne Angestellte, konstatieren die Forscher. „Entscheidend sind also die Dauer der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung und die daraus erzielten Einkommen“, sagt Dorothea Voss von der Hans-Böckler-Stiftung. „Wer die Alterssicherung stärken will, muss deshalb für eine aktive Beschäftigungspolitik, bessere Löhne und Gehälter sorgen.“
Diese grundsätzlichen Zusammenhänge bestehen auch in einem weiteren Szenario, das die DIW-Forscher berechnet haben. Es greift die Annahme vieler Experten auf, dass Menschen im Ruhestand weniger ausgeben als Berufstätige. Wenn man daher annimmt, dass Rentner mit 70 Prozent ihres vorherigen Konsums auskommen, fällt die potenzielle Versorgungslücke nach den Berechnungen des DIW geringer, aber weiterhin oft erheblich aus: Betroffen sind dann noch 38 Prozent der rentennahen Erwerbstätigen, bezieht man private Versicherungen ein, sind es 35 Prozent. Die potenzielle Versorgungslücke bei den Betroffenen beträgt beim 70-Prozent-Szenario im Schnitt gut 320 Euro. Beschäftigte mit einer betrieblichen Altersvorsorge hätten gemessen an einem 70-Prozent-Niveau noch eine Versorgungslücke von 200 Euro. Allerdings sind das selten Beschäftigte mit niedrigeren Einkommen.
In einem weiteren Szenario haben die Wissenschaftler berechnet, was passieren würde, wenn man das gesamte private Vermögen zur Sicherung des aktuellen Konsums im Alter heranzieht. Das Ergebnis: Selbst wenn sie alle Ersparnisse einsetzen und, falls vorhanden, die selbst genutzte Immobilie zur Finanzierung des Ruhestands verkaufen würden, hätten 41 Prozent der Erwerbstätigen aus rentennahen Jahrgängen eine Versorgungslücke. Würden die untersuchten älteren Erwerbstätigen bis zur Rente auf ihrer Stelle weiterarbeiten, wären es immer noch 33 Prozent. In Ostdeutschland wäre der Anteil höher als in Westdeutschland, da Ostdeutsche nach wie vor über weniger Vermögen verfügen. Wesentlich geringer wäre der Anteil der Betroffenen unter den Selbständigen mit Mitarbeitern, da diese häufig selbst fürs Alter in Form von privatem Vermögen vorsorgen.
Die Wissenschaftler raten dazu, das Rentenniveau nicht weiter abzusenken. Stattdessen solle sich die Politik „stärker am österreichischen Modell orientieren“, das mehr auf die erste Säule der Alterssicherung setzt. Zudem empfehlen sie, Personen mit geringen Anwartschaften stärker zu unterstützten. Möglich wäre das durch eine Modifizierung des strikten Äquivalenzprinzips, womit die Höhe der Rentenleistungen nicht mehr eins zu eins an die Einzahlungsbeiträge gekoppelt wäre. Gerade Geringverdiener sollten dann höhere Leistungen erhalten.
Markus M. Grabka, Timm Bönke, Konstantin Göbler und Anita Tiefensee: Große Lücke in der Sicherung des Lebensstandards bei rentennahen Jahrgängen (pdf), DIW-Wochenbericht 37, September 2018.
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