03.05.2012 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Hans Böckler Stiftung.
Was konservative Ökonomen oder die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) unter flexiblen Arbeitsmärkten verstehen, greift daher zu kurz. Mitbestimmung spielt bei der "internen Flexibilität" eine wichtige Rolle. So sind Arbeitszeitkonten in Betrieben mit Betriebsrat deutlich verbreiteter als in Betrieben ohne Arbeitnehmervertretung. Zu diesem Ergebnis kommt Dr. Hartmut Seifert, Arbeitsmarktexperte und früherer Leiter des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung, in einer aktuellen Analyse.
Lange Zeit stand der angeblich "sklerotische" deutsche Arbeitsmarkt in der Kritik. Als Beleg diente unter anderem der vergleichsweise hohe Regulierungsgrad, den der Employment-Protection-Legislation-Indikator (EPL) der OECD Deutschland attestiert. Er gibt Auskunft über Regelungen zu Kündigungsschutz, Leiharbeit und befristeter Beschäftigung - und bildet auch die Richtschnur für Debatten um den Reformbedarf südeuropäischer Krisenländer. Je niedriger das Schutzniveau, desto flexibler und beschäftigungsfreundlicher ist nach den Vorstellungen der OECD der Arbeitsmarkt. Dabei habe insbesondere der jüngste Wirtschaftseinbruch gezeigt, dass es auf ganz andere Formen von Flexibilität ankommt, so Seifert.
Als infolge der Finanzkrise weltweit die Konjunktur zusammenbrach und Deutschland trotz stark gesunkener Industrieproduktion mit relativ geringen Beschäftigungsverlusten davonkam, sei auf einmal nicht mehr von Überregulierung, sondern vom "deutschen Beschäftigungswunder" die Rede gewesen, schreibt Seifert in seiner Analyse der deutschen Arbeitsmarkt-Entwicklung seit 2008. Tatsächlich erwies sich der Arbeitsmarkt als erstaunlich stabil: Zwischen April 2008 und April 2009 ging die Produktion im Verarbeitenden Gewerbe um mehr als 25 Prozent zurück. Die Beschäftigung sank nach den Berechnungen des Wissenschaftlers jedoch nur um 8 Prozent. Dies sei vor allem einer Strategie der "internen Flexibilität" zu verdanken: Arbeitszeitverkürzung statt Kündigung.
Mithilfe von Kurzarbeit und vor allem Arbeitszeitkonten ist es in vielen Betrieben gelungen, Entlassungen und Einkommenseinbußen zu vermeiden. Die Beschäftigten erklärten sich bereit, ihren Anspruch auf die gewohnten Arbeitszeiten aufzugeben, und bekamen im Gegenzug finanzielle Sicherheit. Sie bauten ihre angesammelten Überstunden ab oder verpflichteten sich, ausgefallene Arbeit bei besserer Wirtschaftslage nachzuholen.
Solche Arrangements in der Krise zügig und großflächig umzusetzen, wäre ohne entsprechende tarifliche Regelungen und ohne Mitbestimmung kaum möglich gewesen, betont Seifert. Das unterstreichen auch Daten einer repräsentativen Studie für das Bundesarbeitsministerium, an der der Forscher beteiligt war: Arbeitszeitkonten gibt es in rund 80 Prozent der Betriebe mit Betriebs- und Personalrat. Unter den Betrieben ohne Mitarbeitervertretung verfügen hingegen nur 40 Prozent über solche Konten. Damit hätten gerade Institutionen, die etwa von der OECD eher in die Rubrik "verkrustete Strukturen" eingeordnet würden, einen großen Beitrag zur Flexibilität der Wirtschaft geleistet, schreibt Seifert.
Angesichts der positiven Erfahrungen hält der Wissenschaftler einen Paradigmenwechsel für überfällig. Flexible Arbeitsmärkte könnten nicht länger mit deregulierten Arbeitsmärkten gleichgesetzt werden. "Flexibilität am Arbeitsmarkt ist mehr, als im EPL-Indikator ausgedrückt. Inhaltlich ist er zu eng geführt", so Seiferts Resümee. "Er klammert das gesamte Spektrum an Formen und Instrumenten interner Flexibilität aus." Doch gerade die habe sich als das beste Mittel erwiesen, dem von der EU angestrebten Ziel der Flexicurity - Flexibilität gepaart mit sozialer Sicherheit - nahe zu kommen.
Im Gegensatz dazu führe "externe Flexibilität" viele Beschäftigte in die Prekarität, wie sich in der Krise ebenfalls beobachten ließ: Rund 200.000 Leiharbeiter verloren innerhalb kürzester Zeit ihren Job. Seifert spricht von den "zwei Gesichtern der Flexibilität". Ziel der Arbeitsmarktpolitik müsse es sein, die interne, Beschäftigung stabilisierende Variante zu stärken.
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