09.03.2016 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Taylor Wessing Deutschland.
Ein Zuschlag in Höhe von 25 % auf den jeweiligen Bruttostundenlohn bzw. die Gewährung einer entsprechenden Anzahl von bezahlten freien Tagen stellt regelmäßig einen angemessenen Ausgleich für geleistete Nachtarbeit im Sinne von § 6 Abs. 5 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) dar.
Soweit keine tarifvertragliche Ausgleichsregelung besteht, ist der Arbeitgeber nach § 6 Abs. 5 ArbZG verpflichtet, dem Nachtarbeitnehmer im Sinne von § 2 Abs. 5 ArbZG für die zwischen 23:00 Uhr und 6:00 Uhr geleisteten Nachtarbeitsstunden wahlweise eine angemessene Anzahl bezahlter freier Tage und/oder einen angemessenen Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren. Der Gesetzgeber hat bewusst darauf verzichtet, den Umfang des Ausgleichs für Nachtarbeit selbst festzulegen und es den Arbeitsgerichten überantwortet, den unbestimmten Rechtsbegriff des angemessenen Ausgleichs auszufüllen. Unter Berücksichtigung branchenübergreifender Üblichkeiten ist ein Nacharbeitszuschlag in Höhe von 25 % des Bruttostundenlohns oder eine entsprechende Anzahl von bezahlten freien Tagen nach gefestigter Rechtsprechung des BAG regelmäßig als angemessen anzusehen.
Da sich die Angemessenheit des Ausgleichs nach der Gegenleistung richtet, für die sie bestimmt ist, kann eine Verminderung oder eine Erhöhung in Betracht kommen, wenn Umstände im Zusammenhang mit der Arbeitsleistung vorliegen, die den regelmäßig als angemessenen Wert von 25 % wegen einer vergleichsweise niedrigeren oder höheren Belastung als zu hoch oder zu niedrig erscheinen lassen. In dem hier besprochenen Fall entschied das BAG, dass sich der Ausgleichsanspruch regelmäßig auf 30 % erhöht, wenn die reguläre Arbeitsleistung in Dauernachtarbeit erbracht wird.
Der Kläger ist bei der Beklagten, die Teil einer weltweit tätigen Logistik- und Paketdienstleistungsgruppe ist, als Lkw-Fahrer im Linientransport tätig. Die Beklagte ist nicht tarifgebunden. Der Kläger ist einschließlich der Pausen überwiegend in der Zeit von 20:00 Uhr bis 06:00 Uhr tätig. Die Beklagte zahlte für die in der Zeit von 21:00 Uhr bis 06:00 Uhr geleisteten Arbeitsstunden einen in den Gehaltsabrechnungen als “Nachtarbeitszuschlag fest” bezeichneten Zuschlag. Der Zuschlag betrug zuletzt 20 % des Bruttostundenlohns.
Mit seiner zum Arbeitsgericht Hamburg erhobenen Klage begehrte der Kläger u. a. die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm für die geleistete Nachtarbeit wahlweise einen Nachtarbeitszuschlag von 30 % des Bruttostundenlohns für jede zwischen 23:00 Uhr und 6:00 Uhr geleistete Arbeitsstunde zu leisten oder für jeweils 90 zwischen 23:00 Uhr und 6:00 Uhr geleistete Arbeitsstunden je zwei bezahlte freie Tage zu gewähren. Während das Arbeitsgericht der Klage mit Urteil vom 03.09.2013 (Az.: 9 Ca 77/13) insoweit stattgegeben hatte, änderte das Landesarbeitsgericht Hamburg die erstinstanzliche Entscheidung mit Urteil vom 09.04.2014 (Az.: 9 Sa 106/13) und reduzierte den Nachtarbeitszuschlag auf 25 %.
Die vom Kläger gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts beim BAG eingelegte Revision führte zu Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Nach Auffassung des BAG liege bei einer dauerhaft in Nachtarbeit erbrachten Tätigkeit eine, die üblicherweise mit Nacharbeit verbundene Belastung überschreitende, erhöhte Belastung vor. Nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen erhöhe sich die Belastung mit dem Umfang der geleisteten Nachtarbeit. Hiervon gehe auch das ArbZG aus, da der Schutz für Nachtarbeitnehmer nach § 2 Abs. 5 bereits einsetze, wenn diese an 48 Tagen im Kalenderjahr oder normalerweise Nachtarbeit in Wechselschicht leisten. Es liege auf der Hand, dass bei ununterbrochener Nachtarbeit eine vergleichsweise deutlich höhere Belastung durch die Nachtarbeit bestehe.
Nach der Art der Arbeitsleistung ist nach Auffassung des BAG auch zu beurteilen, ob der vom Gesetzgeber mit dem Lohnzuschlag verfolgte Zweck, im Interesse der Gesundheit des Arbeitnehmers Nachtarbeit zu verteuern und auf diesem Weg einzuschränken, zum Tragen komme oder nur die mit der Nachtarbeit verbundene Erschwernis ausgeglichen werden könne. Ein bloßer Ausgleich der mit der Nachtarbeit verbundenen Erschwernis komme nach Auffassung des BAG nur in Betracht, wenn die Nachtarbeit aus zwingenden technischen oder aus zwingend mit der Art der Tätigkeit verbundenen Gründen bei wertender Betrachtung vor dem Hintergrund des Schutzzwecks des § 6 Abs. 5 ArbZG (wie etwa bei Rettungsdiensten in der Nachtzeit) unvermeidbar sei. Rein wirtschaftliche Erwägungen (etwa ein unternehmerisches Konzept oder die Einhaltung garantierter und nachgefragter kurzfristiger Zustellzeiten) könnten demgegenüber keine Unvermeidbarkeit der Nachtarbeit begründen und seien daher nicht geeignet eine Abweichung vom Regelwert von 25 % nach unten zu rechtfertigen.
Wettbewerbsverzerrungen seien angesichts der Geltung des § 6 Abs. 5 ArbZG für alle betroffenen Unternehmen ausgeschlossen. Ein Grund für eine Reduzierung des Nachtarbeitszuschlags könne sich auch nicht aus der wirtschaftlichen Lage des Arbeitsgebers oder einer Region ergeben. Hiervon hänge der Gesundheitsschutz nicht ab. Zudem wirke sich die aus solchen Faktoren herrührende geringere Grundvergütung bereits mittelbar auf die Höhe des Ausgleichs aus. Bei der Erbringung der regulären Arbeitsleistung in Dauernachtarbeit sei deshalb regelmäßig ein Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 30 % auf den Bruttostundenlohn bzw. die Gewährung einer entsprechenden Anzahl freier Tage als angemessen anzusehen. Hierauf war der von der Beklagten für Arbeit in der Zeit von 21:00 Uhr bis 23:00 Uhr gewährte Zuschlag nach Auffassung des BAG nicht anzurechnen, da ein hinreichender Bezug zur ab 23:00 Uhr geleisteten Nacharbeit nicht bestehe. Anhaltspunkte dafür, dass der Nachtarbeitszuschlag bereits in dem von der Beklagten gezahlten Stundenlohn enthalten sei, erkannte das BAG ebenfalls nicht.
Auf Grundlage der Entscheidung des BAG ist davon auszugehen, dass ein Zuschlag in Höhe von 25 % typischerweise dann angemessen ist, wenn ein Arbeitnehmer Nachtarbeit im gesetzlich vorgegebenen Mindestumfang von 48 Tagen im Kalenderjahr oder normalerweise Nachtarbeit in Wechselschicht leistet, ohne dass besondere Umstände vorliegen, die Anlass für eine Erhöhung oder Verminderung des Umfangs des Ausgleichsanspruchs bieten. Bei Dauernachtarbeit ist demgegenüber regelmäßig ein Ausgleich von 30 % zu leisten.
Gewährt der Arbeitgeber einen Ausgleich von 25 % oder bei Dauernachtarbeit von 30 %, genügt er damit prozessual zunächst seiner Darlegungslast und es ist kein weiterer Tatsachenvortrag zur Angemessenheit erforderlich. Vielmehr hat der Arbeitnehmer in einem solchen Fall zu begründen, aus welchen Umständen sich ein höherer Anspruch ergeben soll (sog. sekundäre Darlegungslast). Bleibt der geleistete Ausgleich hingegen hinter diesen Werten zurück, ist es bereits im ersten Schritt Sache des Arbeitgebers darzulegen, aufgrund welcher Faktoren ein geringerer Zuschlagsanspruch angemessen sein soll. Bleiben danach für die Beurteilung der Angemessenheit relevante Tatsachen streitig, liegt die Beweislast für die den Erfüllungseinwand begründenden Tatsachen beim Arbeitgeber.
Will sich der Arbeitgeber darauf berufen, dass die Vertragsparteien auf eine gesonderte Zuschlagsregelung zugunsten einer Erhöhung des Grundlohns verzichtet haben, bedarf es einer klaren arbeitsvertraglichen Regelung. Hierfür ist regelmäßig eine Differenzierung zwischen der Grundvergütung und dem (zusätzlichen) Nachtarbeitszuschlag, jedenfalls aber ein Bezug zwischen der zu leistenden Nachtarbeit und der Lohnhöhe, erforderlich.
(BAG) Urteil vom 9. Dezember 2015 (Az.: 10 AZR 423/14)
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