16.06.2015 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Bundesnotarkammer.
Vielfach hat der Verstorbene überhaupt kein Testament hinterlassen. Dann gilt die gesetzliche Erbfolge. Doch dieser „Anzug von der Stange“ führt nur in den wenigsten Fällen zu einer Lösung, die allen Interessen gerecht wird. Zudem ist das Ergebnis zumeist vom Erblasser so nicht gewollt. Das gilt insbesondere für Patchwork-Familien.
Wenn eine Person stirbt, hinterlässt sie zumindest einen Erben, gegebenenfalls aber auch mehrere Erben, die so genannte Erbengemeinschaft. Den oder die Erben kann der Erblasser durch Testament oder Erbvertrag bestimmen. Trifft der Erblasser aber keine Entscheidung, greift die vom Gesetzgeber vorgesehene Regelung. Diese „gesetzliche Erbfolge“ ist als eine grundlegende rechtliche Absicherung für den Fall eines fehlenden Testaments gedacht.
„Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass die gesetzliche Erbfolge sich nach dem vermuteten Willen des Erblassers richtet, ohne dass dieser zu Papier gebracht sein müsste,“ erklärt Bernd von Schwander, Geschäftsführer der Hamburgischen Notarkammer.
Die gesetzliche Erbfolge deutet den Willen des Erblassers grundsätzlich so, dass dieser sein Vermögen in der Familie halten und auch seinen Ehegatten bedenken wollte. Dementsprechend erben vorrangig die Kinder bzw. – wenn diese bereits verstorben sind – die Enkel des Verstorbenen. Hat der Erblasser keine Nachkommen, erben die Eltern des Erblassers. Sind auch diese bereits verstorben, treten die Geschwister an die Stelle der Eltern. Neben diesen familiären Erben tritt bei verheirateten Erblassern noch das Erbrecht des überlebenden Ehegatten. Die gesetzliche Erbfolge hat somit traditionelle Familienkonstellationen im Blick.
„Dass auch der nichteheliche Partner, mit dem man seit Jahren wie in einer Ehe zusammenlebt, automatisch im Erbfall berücksichtigt wird, nehmen viele bedauerlicherweise zu Unrecht an. Gerade dies führt dann zu erheblichen Konflikten im Erbfall“, so Bernd von Schwander. Denn nach der gesetzlichen Erbfolge bilden nur der Ehegatte und die Verwandten eine Erbengemeinschaft. Lebenspartner sind dann oft außen vor. Aber auch in einer Erbengemeinschaft steckt viel Konfliktpotential. „Für die Erbengemeinschaft hat der Gesetzgeber das Einstimmigkeitsprinzip vorgesehen. Und genau das ist regelmäßig ein Quell von Streitigkeiten“, weiß der Geschäftsführer der Notarkammer zu berichten. Der überlebende Ehegatte wird im Übrigen nur dann Alleinerbe, wenn er testamentarisch oder durch einen Erbvertrag als Alleinerbe des Erblassers eingesetzt wurde. Ansonsten kommt es zur Entstehung der gesetzlichen Erbengemeinschaft.
In Patchwork-Familien ist das Konfliktpotential ungleich höher. Verschiedenen Familienstämmen, die sozial miteinander verbunden sind, jahrelange, oft sogar jahrzehntelange, Gemeinschaften gebildet haben, fehlt der rechtliche Zusammenhalt. „Kinder aus erster Ehe können je nach dem Zeitpunkt des Versterbens eines Ehegatten nach der gesetzlichen Erbfolge in der neuen Familie erheblich benachteiligt bzw. begünstigt werden, ohne dass dies gewollt oder überhaupt in Erwägung gezogen worden war“, warnt von Schwander. Ein Beispiel aus der Praxis verdeutlicht die Gefahr: Bringen zwei Ehegatten - ohne einen Ehevertrag errichtet zu haben - jeweils zwei Kinder aus ihren ersten Ehe in die neue Familie ein und verstirbt der erste Ehegatte, so erben im Wege der gesetzlichen Erbfolge der neue Ehegatte zur Hälfte und die „eigenen“ beiden Kinder nur jeweils ein Viertel. Konkret kann das bedeuten: Hatte der erste Ehegatte 50.000 EUR zu vererben, so gehen 25.000 EUR auf den überlebenden Ehegatten über und jeweils 12.500 EUR auf die beiden eigenen Kinder. Verstirbt nun auch noch der überlebende Ehegatte, so gehen diese vom ersten Ehegatten ererbten 25.000 EUR nach der gesetzlichen Erbfolge ausschließlich auf die beiden eigenen Kinder des überlebenden Ehegatten je zur Hälfte über. „Wäre der zweite Ehegatte zuerst verstorben, wären die Kinder des ersten Ehegatten dementsprechend durch das Vermögen des zweiten Ehegatten begünstigt worden. Diese rein zeitliche Zufälligkeit als entscheidenden Grund für die Verteilung des Nachlasses anzuerkennen, fällt vielen Erben in der Praxis erfahrungsgemäß sehr schwer. Dies führt oft zu Konflikten, da die benachteiligten Stiefgeschwister mehr für sich selbst erreichen wollen“, erläutert Bernd von Schwander.
Da das deutsche Recht Pflichtteilsansprüche für bestimmte Verwandte und den Ehegatten des Erblassers kennt, können auch dann Schwierigkeiten auftreten, wenn der überlebende Ehegatte zum alleinigen Erben eingesetzt wird. „Auch die alleinige Erbeinsetzung des überlebenden Ehegatten verhindert die Entstehung der Pflichtteilsansprüche der Kinder aus erster Ehe des Erblassers nicht“, erklärt von Schwander. „In solchen Fällen kann es zur Vermeidung einer übermäßigen Belastung des überlebenden Ehegatten mit Pflichtteilsansprüchen angebracht sein, Pflichtteilsverzichtserklärungen mit den jeweils Berechtigten abzuschließen“, gibt von Schwander zu Bedenken. Sonst kann gerade der Fall eintreten, der vermieden werden sollte. Der überlebende Ehegatte wurde zwar Alleinerbe und somit Alleineigentümer des Familienheims nach dem Erblasser, dieses Familienheim ist der überlebende Ehegatte aber gezwungen zu verkaufen, um die Pflichtteilsansprüche zu erfüllen. „Auch für Ehepartner vor der Scheidung kann ein solcher Pflichtteilsverzichtsvertrag ratsam sein. Pflichtteilsverzichtsverträge sind im Übrigen nur wirksam, wenn sie notariell beurkundet worden sind“, ergänzt der Fachmann. Zwar haben rechtskräftig geschiedene Ehepartner keine wechselseitigen gesetzlichen Erbrechte oder Pflichtteilsrechte, doch bestehen diese Rechte auch während eines Scheidungsverfahrens solange fort. Letztlich werden nach der Scheidung die Testamente, die während der Ehe errichtetet wurden, ungültig. Auch die während der Ehe geplanten Erbregelungen insbesondere mit Blick auf die eigenen Kinder sind hinfällig. In dem Fall kann sich der eigentlich gerade unter den eigenen Kindern zu vermeidende Streit ungewollt entzünden.
Das Fazit des Fachmanns ist eindeutig: „Es ist dringend ratsam, die jeweilige Ehe- und Familiensituation zu erörtern und zu prüfen, welche Erbfolgen bei bestimmten Todeszeitpunkten eintreten. Denn der 'Anzug von der Stange' in Gestalt der gesetzlichen Erbfolge wird dem individuellen Fall nicht gerecht.“ Auch von Testamenten in Gestalt von Mustertexten aus Internet oder aus Erbrechtsratgebern rät der Fachmann dringend ab. Die besten Ansprechpartner für alle Fragen zum Thema Erben sind die Notarinnen und Notare. Diese beurkunden nicht nur Testamente und Erbverträge, sondern beraten eingehend über die individuellen Möglichkeiten. Gut zu wissen ist, dass in den Kosten der Beurkundung die Beratungsleistung und der Entwurf des Testaments enthalten sind.
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