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Entsendebescheinigung und Bindungswirkung im Arbeitsrecht?

28.09.2016  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Taylor Wessing Deutschland.

In einer aktuellen Entscheidung hatte das Oberlandesgericht Bamberg zu prüfen, ob eine unionsrechtlich erteilte A 1-Entsendebescheinigung ausschließt, eine unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) bußgeldrechtlich zu ahnden.

I. Einleitung

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Nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 AÜG handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 1 AÜG einen Leih­arbeit­nehmer einem Dritten ohne Erlaubnis überlässt. Eine solche Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu 30.000,00 € geahndet werden (§ 16 Abs. 2 AÜG). Gemäß § 9 Nr. 1 AÜG sind Verträge zwischen Verleihern und Entleihern sowie zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern unwirksam, wenn der Verleiher nicht die nach § 1 AÜG erforderliche Erlaubnis hat. Es wird dann ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer fingiert mit der Folge, dass der Entleiher wie ein Arbeitgeber für Sozialversicherungs­beiträge, die nach dem Sozialversicherungsrecht des Einsatzgebietes zu bestimmen sind, haftet. Wird ein Arbeitnehmer wie z.B. im vorliegenden Fall aus Polen nach Deutschland zur Arbeit entsandt, gelten nach europäischem Recht für die Dauer der Tätigkeit in Deutschland zum sozial­versicherungsrechtlichen Status weiterhin die Rechtsvorschriften des Herkunftslandes. Über die dann anzuwendenden Rechtsvorschriften des Herkunftslandes stellt der dort zuständige Sozialversicherungsträger auf Antrag eine sogenannte A 1-Bescheinigung/Entsendebescheinigung aus.

II. Sachverhalt

So auch hier. Eine Gesellschaft nach polnischem Recht hatte Arbeitnehmer zur Arbeit für ein deutsches Unternehmen nach Deutschland entsandt. Entsprechende Entsendebescheinigungen lagen vor. Eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis nach deutschem Recht besaß das polnische Unternehmen jedoch nicht. Sowohl deutsches Unternehmen als auch polnisches Unternehmen hatten sich wohl auf das Vorliegen der Entsendebescheinigungen als quasi „Einsatzerlaubnis“ verlassen. Die Ordnungsbehörden waren anderer Ansicht und belegten den Geschäftsführer des Einsatzunternehmens wie auch das polnische Arbeitgeber­unternehmen mit Bußgeldern. Hiergegen gingen sowohl deutsches als auch polnisches Unternehmen vor. Nachdem das erstinstanzliche Gericht den Geschäftsführer des betreffenden deutschen Unternehmens sowie das polnische Unternehmens (als Nebenbeteiligte) von dem Vorwurf der Ordnungswidrigkeit freigesprochen hatte, legte die Staatsanwaltschaft gegen den freisprechenden Beschluss Rechtsbeschwerde zum Oberlandesgericht Bamberg ein.

III. Entscheidung

Das Oberlandesgericht Bamberg hielt den Freispruch nicht aufrecht und verwies die Sache an das erst­instanzliche Gericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück. Es führte aus, dass die erstinstanzliche Entscheidung den inhaltlichen Anforderungen an einen Freispruch nicht genüge, da die den Freispruch begründenden Tatsachen nicht ausreichend bezeichnet werden. Interessant ist die Entscheidung gleichwohl, denn in ihr erläutert das Gericht ausführlich, welche Bindungswirkung einer A 1-Bescheinigung zukommt. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs wird mit der sogenannten Entsende­bescheinigung mit bindender Wirkung für deutsche Behörden und Gerichte der sozialversicherungsrechtliche Status festgestellt. Dies ist mittlerweile auch positivrechtlich in Artikel 5 Abs. 1 VO (EG) 987/2009 normiert. Das heißt, die inhaltliche Richtigkeit der Bescheinigung unterliegt keiner Prüfung durch andere Mitgliedsstaaten. Diese Bindungswirkung erstreckt sich zusätzlich auf Tatsachen, auf deren Grundlage die Bescheinigung ausgestellt wurde. So auch das Oberlandesgericht Bamberg. Allerdings, so weiter wörtlich: “[…] verfolge die Entsende­bescheinigung nur den Zweck, die Träger der Mitgliedsstaaten, auf deren Gebiet Arbeitnehmer von einem in einem anderen Mitgliedsstaat ansässigen Arbeitgeber entsandt werden, von der Verpflichtung und der Berechtigung zu entheben, die Frage nach dem anwendbaren Recht der „sozialen Sicherheit“ zu beantworten“. Ist der Rechtsschein der A 1-Bescheinigung also nicht beseitigt, können die zuständigen Träger der Sozialversicherungen in Deutschland keine Beiträge zur deutschen Sozialversicherung für den Einsatz ausländischer Arbeitnehmer in Deutschland einziehen. Nach Ansicht des Oberlandesgerichts Bamberg hat aber diese Bindungswirkung dann keinen Vorrang mehr, wenn es etwa um die Anwendbarkeit der für die unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung vorgesehenen Bußgeldbestimmungen geht. Liegt also eine Ordnungswidrigkeit im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 AÜG vor, d. h. hat der entsendende Arbeitgeber, der Verleiher ist, keine entsprechende Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis, so hilft ihm und vor allem dem Entleiher auch die A 1-Bescheinigung nicht.

IV. Konsequenzen

Eine Entsendebescheinigung hat keine Bindungswirkung für das Arbeitsrecht. Trotz Vorliegens einer solchen Bescheinigung entsteht aufgrund der Fiktion des § 10 AÜG bei Fehlen einer entsprechenden Arbeitnehmer­überlassungserlaubnis ein Arbeitsverhältnis des ausländischen Leiharbeitnehmers mit dem deutschen Entleiher. Ordnungswidrigkeiten in diesem Bereich können mit Bußgeldern bis zu 30.000 € geahndet werden.

Vorstöße, die Frage der Bindungswirkung von Entsendebescheinigungen einheitlich für alle Rechtsbereiche zu klären, gab es. Es wird abzuwarten sein, wie der Europäische Gerichtshof diese Situation möglicherweise in Zukunft lösen wird. Unternehmen, die Arbeitskräfte aus dem europäischen Ausland beziehen, sollten sich bis dahin nicht auf eine vorliegende A1-Bescheinigung verlassen, sondern den ausländischen Auftragnehmer um die Vorlage einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AÜG bitten.

Oberlandesgericht Bamberg, Urteil vom 9. August 2016 (3 Ss OWi 494/16)


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