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Durchschnittliche Bruttolöhne im Osten 17 Prozent niedriger als im Westen

17.10.2013  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Hans-Böckler-Stiftung.

Bei Tariflöhnen deutlich geringere Unterschiede.

23 Jahre nach der deutschen Vereinigung haben sich die durchschnittlichen Tariflöhne in Ostdeutschland stark an die im Westen angenähert. Die tariflichen Grundvergütungen in den neuen Ländern erreichen nach den aktuellsten vorliegenden Daten von 2012 rund 97 Prozent des West-Niveaus. Unterschiede gibt es vor allem noch bei den tariflichen Arbeitszeiten und bei Sonderzahlungen wie dem Weihnachtsgeld. Weitaus größer ist der Einkommensrückstand bei ostdeutschen Beschäftigten, die nicht nach Tarif bezahlt werden. Insgesamt fallen die effektiven Bruttoverdienste daher im Osten um 17 Prozent niedriger aus als im Westen. Der Angleichungsprozess stagniert allerdings seit Jahren. Darauf weist Dr. Reinhard Bispinck hin, der Tarifexperte des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung.

Ein Blick auf die Entwicklung der wichtigsten Tarifregelungen und -leistungen zeigt:

  • Das Tarifniveau Ost/West, also das Verhältnis der tariflichen Grundvergütungen, betrug 1991 rund 60 Prozent und Ende 2012 97 Prozent (siehe Abbildung in der pdf-Version dieser PM; Link unten).
  • Die tarifliche Wochenarbeitszeit lag im Osten 1991 mit 40,2 gut 2 Stunden höher als im Westen mit 38,1 Stunden. Ende 2012 belief sich die Wochenarbeitszeit auf 38,6 Stunden im Osten und 37,5 Stunden im Westen.
  • Der tarifliche Grundurlaub beträgt zurzeit im Osten 27,4 Arbeitstage (West: 28,7), der Endurlaub, also die maximal erreichbare Zahl von Urlaubstagen, erreicht 29,5 Arbeitstage (West: 30,0).
  • Das tarifliche Urlaubsgeld, festgelegt als Prozentsatz des Monats- bzw. Urlaubsentgeltes, hat in vielen Tarifbereichen Westniveau erreicht. Da, wo es als fester Euro-Betrag vereinbart ist, ist es teilweise noch deutlich niedriger.
  • Die tarifliche Jahressonderzahlung (Weihnachtsgeld) hat in einigen Bereichen ebenfalls Westniveau erreicht, aber auch in größeren Branchen (Metall, Chemie, Einzelhandel, öffentlicher Dienst) bestehen noch Unterschiede.

Dass sich der erreichte tarifliche Angleichungsstand in der Realität nicht 1:1 niederschlägt, hängt nach Analyse des WSI-Tarifexperten Reinhard Bispinck damit zusammen, dass die Prägekraft der Tarifverträge in Ostdeutschland zu schwach ist und im Laufe der Jahre noch abgenommen hat. "Das ist eine Folge der deutlich geringeren Tarifbindung, aber in Ostdeutschland fehlt auch die im Westen über Jahrzehnte gewachsene Tarifkultur" so der Experte. Die große Kluft zwischen höheren tariflichen und niedrigeren effektiven Standards von Löhnen, Gehältern und Arbeitszeiten untergrabe die Verbindlichkeit der Tarifnormen. Weniger Bindekraft, mehr unverbindliche Orientierungsfunktion - so lasse sich der Funktionswandel der Tarifverträge in den neuen Ländern umschreiben.

Die weitere Angleichung der ostdeutschen tariflichen Arbeits- und Einkommensbedingungen an das West-Niveau und ihre praktische Umsetzung setzen nach Auffassung des WSI zwingend eine Revitalisierung des Tarifvertrages und des gesamten Tarifsystems voraus. Nur wenn es gelinge, die formale Tarifbindung zu erweitern und die inhaltliche Verbindlichkeit von Tarifnormen zu verbessern, bestehe eine echte Chance, die noch bestehende Einkommenskluft zwischen Ost und West zu verringern.

"Das ist zweifellos eine Aufgabe, der sich in erster Linie die Tarifvertragsparteien stellen müssen", sagt Bispinck. "Aber es bleibt auch eine Herausforderung an die Politik." Zum einen würde ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn helfen, das Einkommensniveau am unteren Rand zu stabilisieren und Spielraum für darauf aufbauende Tarifpolitik zu schaffen. Zum anderen könne die Politik die Reichweite der Tarifverträge selbst verbessern, zum Beispiel durch branchenspezifische Mindestlöhne auf Basis des Entsendegesetzes und durch ein erleichtertes Verfahren zur Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen. Solche Maßnahmen hätten bundesweit positive Auswirkungen, so der Wissenschaftler, in Ostdeutschland wären sie aber von besonderer Dringlichkeit.

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