21.01.2014 — Udo Cremer. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Die Kläger sind Eheleute, die in den Streitjahren 1998 bis 2002 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden. Der Kläger betrieb ursprünglich eine Bäckerei als Einzelunternehmen. Mit Kaufvertrag vom 1.10.1993 erwarb er von seinem Vater (V) Anlagevermögen zu einem Preis von 94.100 DM netto (im Urteil des FG ist ein Betrag von 91.100 DM genannt) zzgl. 14.115 DM Umsatzsteuer (brutto 108.215 DM). Ebenfalls am 1.10.1993 schlossen V und der Kläger einen schriftlichen Darlehensvertrag mit dem folgenden Wortlaut: "§ 1 Der Darlehnsgeber gewährt dem Darlehnsnehmer die aus dem Kaufvertrag vom 01.10.1993 (Verkauf des Bäckerei-Inventars gemäß Schätzgutachten der ...) resultierende Kaufpreisforderung in Höhe von DM 108.215,- als Darlehn. § 2 Das Darlehn ist mit 8 % beginnend ab 01.10.1993 zu verzinsen. Verzinst wird jeweils der Restsaldo zum 31.12. eines jeden Jahres. Die Zinsen werden dem Darlehn zum Ende des Jahres zugeschlagen. § 3 Das Darlehn ist von beiden Seiten mit einer Frist von sechs Monaten kündbar. § 4 Kündigungen können auch in Teilbeträgen erfolgen." Noch am selben Tage gab V gegenüber den in den Jahren 1985 bzw. 1987 geborenen Kindern der Kläger - seinen Enkelkindern - das folgende privatschriftliche Schenkungsversprechen ab: "Aus dem Kaufvertrag vom 01.10.1993 ergibt sich eine Forderung in Höhe von 94.100,- DM an meinen Sohn ...
Seit dem 1.1.1995 (im FG-Urteil ist das Datum 1.10.1995 genannt) verpachtete der Kläger seinen Betrieb im Ganzen an eine GmbH, deren Gesellschafter die Kläger zu je 50 % waren. Die Beteiligten werteten dies übereinstimmend als Betriebsverpachtung im Ganzen. Der Kläger erklärte aus dem Verpachtungsbetrieb weiterhin gewerbliche Einkünfte. Die Verbindlichkeiten gegenüber den Kindern blieben im Verpachtungsbetrieb passiviert.
Das FA zog den eingebuchten Zinsaufwand bereits für die Veranlagungszeiträume 1995 und 1996 nicht als Betriebsausgaben ab. Eine hiergegen gerichtete Klage wies das FG im Jahr 2001 ab. Die Nichtzulassungsbeschwerde blieb ohne Erfolg (Senatsbeschluss vom 20. Februar 2002 X B 157/01, BFH/NV 2002, 803). Unter dem 17.12.2002 erließ das FA gegen die Kläger eine Prüfungsanordnung für die Veranlagungszeiträume 1997 bis 1999, in der der Prüfungsbeginn auf den 30.12.2002 festgelegt wurde. Tatsächlich begann die Prüfung erst am 2.3.2005. Das FG hat hierzu - ohne Einzelheiten festzustellen - ausgeführt, der Prüfungsbeginn sei "auf Antrag der steuerlichen Berater der Kläger mehrfach verschoben" worden. Im Anschluss an die Außenprüfung änderte das FA mit den angefochtenen Bescheiden vom 7.11.2005 die Einkommensteuerfestsetzungen u.a. für die Streitjahre 1998 bis 2002 und ließ den bisher erklärungsgemäß berücksichtigten Zinsaufwand nicht mehr zum Betriebsausgabenabzug zu. Dabei setzte es für das Jahr 2000 statt des vom Kläger gebuchten Zinsaufwands von 14.012,64 DM einen Betrag von 14.102,64 DM an. Verfahrensrechtlich stützte das FA die Änderungsbescheide auf § 164 Abs. 2 AO. Einspruch und Klage hatten hinsichtlich der Zinsaufwendungen keinen Erfolg.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Urteile, soweit diese zu den Streitjahren 1998 bis 2002 ergangen und darin die Klagen abgewiesen worden sind, und zur Zurückverweisung der Sachen zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (BFH-Urteil vom 22.10.2013, X R 26/11). Die vom FG getroffenen Feststellungen ermöglichen nicht die Beurteilung, ob für die Jahre 1998 und 1999 Festsetzungsverjährung eingetreten ist. Zudem können die gebuchten Zinsaufwendungen jedenfalls nicht mit der vom FG gegebenen Begründung vom Betriebsausgabenabzug ausgeschlossen werden. Das FG hat keine Feststellungen getroffen, die dem Senat die Beurteilung ermöglichen, ob für die Streitjahre 1998 und 1999 im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Bescheide bereits Festsetzungsverjährung eingetreten war. Außerdem hat das FG nicht beachtet, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung bei der Anwendung des Fremdvergleichs auf Darlehensverträge zwischen nahen Angehörigen nach dem Anlass der Darlehensgewährung differenziert. Es hat daher Erwägungen zu Sachverhalten und Fallgruppen, die mit dem Streitfall nicht vergleichbar sind, für die Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts herangezogen. Maßgebend für die Beurteilung, ob Verträge zwischen nahen Angehörigen durch die Einkunftserzielung (§ 4 Abs. 4, § 9 Abs. 1 EStG) veranlasst oder aber durch private Zuwendungs- oder Unterhaltsüberlegungen (§ 12 Nr. 1 und 2 EStG) motiviert sind, ist seit der Neuausrichtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Anschluss an den Beschluss des BVerfG vom 7. November 1995 2 BvR 802/90 (BStBl II 1996, 34, unter B.I.2.) die Gesamtheit der objektiven Gegebenheiten. Zwar ist weiterhin Voraussetzung, dass die vertraglichen Hauptpflichten klar und eindeutig vereinbart sowie entsprechend dem Vereinbarten durchgeführt werden. Jedoch schließt nicht mehr jede geringfügige Abweichung einzelner Sachverhaltsmerkmale vom Üblichen die steuerrechtliche Anerkennung des Vertragsverhältnisses aus. Vielmehr sind einzelne Kriterien des Fremdvergleichs im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung unter dem Gesichtspunkt zu würdigen, ob sie den Rückschluss auf eine privat veranlasste Vereinbarung zulassen. Im Rahmen dieser Gesamtwürdigung erlangt auch der Umstand, ob die Vertragschancen und -risiken in fremdüblicher Weise verteilt sind, wesentliche Bedeutung.
In Anwendung dieser Grundsätze differenziert die höchstrichterliche Rechtsprechung bei der Prüfung, ob zwischen nahen Angehörigen abgeschlossene Darlehensverträge der Einkünfteermittlung zugrunde zu legen sind, nach dem Anlass der Darlehensgewährung. Wird das Darlehen aus Mitteln gewährt, die dem Darlehensgeber - in den bisher durch die höchstrichterliche Rechtsprechung beurteilten, zu dieser Fallgruppe gehörenden Sachverhalten meist ein minderjähriges Kind des Darlehensnehmers - zuvor vom Darlehensnehmer geschenkt worden waren, wird der Fremdvergleich strikt durchgeführt. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats werden Darlehensverträge zwischen nahen Angehörigen in dieser Fallgruppe ("Umwandlungsfälle") selbst dann nicht anerkannt, wenn die Darlehensmodalitäten zwar einem Fremdvergleich standhalten, im Verhältnis zwischen dem Schenker und dem Beschenkten aber noch keine endgültige Vermögensverschiebung bewirkt worden ist. Eine zweite Fallgruppe ist dadurch gekennzeichnet, dass in einem Rechtsverhältnis, für das die laufende Auszahlung der geschuldeten Vergütung charakteristisch ist (z.B. Arbeits-, Miet- oder Pachtvertrag), die tatsächliche Auszahlung durch eine Darlehensvereinbarung ersetzt wird. Hier kommt es nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung entscheidend darauf an, ob die Vergütung lediglich "stehengelassen" oder aber im Einzelfall tatsächlich zur Auszahlung angeboten, danach indes in ein Darlehen umgewandelt wird. Bei einem "Stehenlassen" der Vergütung verlangt der BFH ausdrückliche Vereinbarungen zur Rückzahlung und Kündigung dieses Betrags.
Erheblich großzügiger ist die Rechtsprechung demgegenüber bei Darlehen, die der Finanzierung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten von Wirtschaftsgütern dienen. Da die Darlehensaufnahme hier eindeutig betrieblich bzw. durch die Erzielung von Überschusseinkünften veranlasst ist, beanstandete es die Rechtsprechung bereits vor der Entscheidung des BVerfG in BStBl II 1996, 34 nicht, wenn das Darlehen unter im Einzelnen anderen Bedingungen als unter Fremden überlassen wird. Zwar bleibt auch in diesen Fällen eine Gesamtwürdigung der schuldrechtlichen Darlehensvereinbarungen erforderlich; von entscheidender Bedeutung für die ertragsteuerrechtliche Anerkennung ist aber weniger der Fremdvergleich hinsichtlich der einzelnen Klauseln des Darlehensvertrags als vielmehr die tatsächliche Durchführung der Zinsvereinbarung: Wenn laufende Zinsen vereinbart sind, müssen diese vertragsgemäß gezahlt werden. Treten minderjährige Kinder als Darlehensgeber gegenüber ihren Eltern auf, müssen die Zinszahlungen zum einen hinreichend von sonstigen Leistungen der Eltern an ihre Kinder zu unterscheiden sein; zum anderen wird eine zivilrechtlich unter den Voraussetzungen des § 1649 BGB zulässige Verwendung der Zinseinnahmen für den laufenden Unterhalt des Kindes oder sogar für den eigenen Unterhalt der Eltern aufgrund des Vorrangs der in § 12 Nr. 1 und 2 EStG angeordneten Abzugsverbote in aller Regel zur Versagung des einkommensteuerrechtlichen Abzugs dieser Aufwendungen führen.
Weitere Grenzen hat die Rechtsprechung für Sachverhalte, die unter diese Fallgruppe zu subsumieren sind, insofern aufgestellt, als es sich nicht um eine verschleierte Schenkung, einen Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten oder ein Scheingeschäft handeln darf. Eine verschleierte Schenkung ist beispielsweise angenommen worden, wenn die feste Laufzeit des tilgungsfreien Darlehens die durchschnittliche statistische Lebenserwartung des Darlehensgebers deutlich übersteigt, die Verzinsung des Darlehens (insbesondere bei partiarischen Darlehen) so hoch ist, dass dem Darlehensgeber die begründete Aussicht vermittelt wird, innerhalb der vereinbarten Darlehenslaufzeit einen zur Refinanzierung aufgenommenen Kredit allein durch die vereinnahmten Zinsen ohne Einsatz eigener Mittel in voller Höhe tilgen zu können, oder die angeblichen Darlehensmittel nach außen hin als Eigenkapital dargestellt werden und eine Rückzahlungsvereinbarung fehlt. Ein Scheingeschäft wird vor allem dann angenommen, wenn der Darlehensnehmer wirtschaftlich nur schwer in der Lage ist, die vertraglich vereinbarten Zins- und Tilgungsleistungen aufzubringen.
Die Finanzverwaltung hat diese von der Rechtsprechung entwickelte Fallgruppe und damit die grundlegende Differenzierung nach dem Anlass der Darlehensgewährung grundsätzlich aufgegriffen, geht allerdings hinsichtlich der Rechtsfolgen noch über die Rechtsprechungsgrundsätze hinaus, da in diesen Fällen die Modalitäten der Darlehenstilgung und -besicherung gar nicht mehr zu prüfen sein sollen (BMF-Schreiben vom 23.12.2010, BStBl I 2011, 37, Rz 8; demgegenüber bezieht die Rechtsprechung unübliche oder fehlende Regelungen zur Darlehenstilgung oder -besicherung in die stets durchzuführende Gesamtwürdigung ein). Dafür enthält das BMF-Schreiben im Vergleich zur höchstrichterlichen Rechtsprechung insoweit eine zusätzliche Voraussetzung, als es sich bei den Parteien des Darlehensvertrags um volljährige, voneinander wirtschaftlich unabhängige Angehörige handeln muss.