30.01.2023 — Rolf Becker. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Es ging um eine unzulässig in einen gebrauchten Tiguan (Dieselmotor der Baureihe EA 189 (Abgasnorm Euro 5)) eingebaute Abschalteinrichtung. Die Käuferin, eine Fahrzeughändlerin ging gegen eine Tochtergesellschaft der VW AG (also nicht die Fahrzeugherstellerin) vor. Beide Parteien sind Kaufleute und im Handelsregister eingetragen. Nach dem Kauf hatte die Beklagte nach Beanstandung durch das Kraftfahrt-Bundesamt ein Software-Update bereitgestellt (Schreiben an die Klägerin vom 14.10.2016). Einen Monat später am 15.11.2016 machte die Klägerin Ansprüche geltend. Nach erfolglosen Bemühungen klagte die Händlerin u. a. auf Rückzahlung des Kaufpreises und Ersatz von Anwaltskosten.
Während des Prozesses erhielt die Händlerin ein Schreiben von der Verkäuferin, die dort über eine weitere Update-Möglichkeit informierte und anbot, ggf. ein kostenloses Ersatzfahrzeug während des Update-Termins zur Verfügung zu stellen.
Bei einem beidseitigen Handelsgeschäft (§ 343 HGB) gelten eine Reihe von Sondervorschriften nach dem Handelsgesetzbuch. Auf beiden Seiten müssen Kaufleute agieren. Das ist bei einem Formkaufmann, der schon „kraft Rechtsform“ den Kaufmannsstatus erhält, der Fall. GmbH und Aktiengesellschaften sind z. B. immer Formkaufleute.
Nach § 377 Abs. 1 HGB hat der Käufer die Ware unverzüglich nach der Ablieferung durch den Verkäufer, soweit dies nach ordnungsmäßigem Geschäftsgang tunlich ist, zu untersuchen und, wenn sich ein Mangel zeigt, dem Verkäufer unverzüglich Anzeige zu machen.
Unterlässt er die Rüge, gilt die Ware gemäß § 377 Abs. 2 HGB als genehmigt, es sei denn, der Mangel war bei der Untersuchung nicht erkennbar. Es geht also um offensichtlich erkennbare Mängel.
Zeigt sich ein Mangel erst später, muss nach § 377 Abs. 3 HGB die Anzeige unverzüglich nach der Entdeckung gemacht werden; anderenfalls gilt die Ware jedenfalls mit diesem Mangel als genehmigt. Die Ware ist also fiktiv als vertragsgerecht anzusehen und ein Streit über den Mangel ist nicht mehr möglich. Es geht um schnelle Abwicklungen und Rechtssicherheit unter Kaufleuten. Dabei soll möglichst schnell Klarheit über die ordnungsgemäße Abwicklung eines Geschäfts geschaffen werden. Der vom Gesetz bevorzugte Verkäufer soll entsprechende Feststellungen und notwendige Dispositionen schnell treffen können, insbesondere um einen möglichen Schaden abwenden zu können, der sich aus Gewährleistungs-, Schadensersatz- oder Nachlieferungsansprüchen des Käufers ergeben könnte.
Die Rechtsprechung billigt dem Käufer nur wenige Tage zu, wenn er einen Mangel entdeckt hat oder hätte entdecken können. Die sog. Rügeobliegenheit setzt ein, wenn der Mangel entdeckt wird. Jedenfalls ist eine über zwei Wochen nach Entdeckung des Mangels erhobene Mängelrüge nicht mehr "unverzüglich" im Sinne des § 377 Abs. 3 HGB (vgl. BGH, Urteile vom 30. Januar 1985 - VIII ZR 238/83, aaO; vom 25. Juni 2002 - X ZR 150/00, juris Rn. 25).
Nach diesen Grundsätzen war die Rüge, die im Forderungsschreiben der Klägerin vom 15.11.2016 gesehen werden konnte, verspätet.
Der BGH dazu:
„Gezeigt hat sich der in der eingebauten unzulässigen Abschalteinrichtung liegende Mangel des Fahrzeugs für die Klägerin spätestens mit dem Zugang des Schreibens vom 14. Oktober 2016, mit dem sie durch die Fahrzeugherstellerin darüber informiert wurde, dass für ihr Fahrzeug nunmehr das erforderliche Software-Update zur Verfügung stehe…“
Damit bestand sichere Kenntnis über den Mangel am konkreten Fahrzeug. Man kann auch diskutieren, ob nicht die vorangegangene Presseberichterstattung einem sorgfältigen Kaufmann nicht Veranlassung zu einer Untersuchung gegeben hätte und damit schon früher eine Rügepflicht bestanden hätte, was der BGH nahelegt.
Eine rechtzeitige Rüge hatte die Klägerin also nicht ausgesprochen. Die Vorinstanz hatte aber angenommen, der Verkäufer könne auf den Einwand der Verspätung einer Mängelrüge auch stillschweigend verzichten, was insbesondere bejaht werde, wenn er vorbehaltlos Nachbesserung versprochen oder den Verspätungseinwand nicht erhoben habe. Aus einem Schreiben der Beklagten nach Klageerhebung mit einem weiteren Updateangebot gehe deutlich hervor, dass die Beseitigung des Mangels ohne Vorbehalt und Einschränkungen durchgeführt werden solle und somit auf eventuelle Rechte nach § 377 Abs. 3 HGB in schlüssiger Weise verzichtet worden sei.
Der BGH bestätigte seine Rechtsprechung zum jederzeit möglichen und auch stillschweigend ohne ausdrückliche Erklärung denkbaren Rügeverzicht. Ein solcher Rügeverzicht kann angenommen werden, wenn ein Verkäufer eine Ware vorbehaltlos zurücknimmt oder vorbehaltlos Nachbesserung verspricht und den Einwand nicht erhebt. Allerdings, so der BGH, müssen eindeutige Anhaltspunkte für die Aufgabe des Rechts vorliegen. Die sahen die Richter aber nicht gegeben. Das Schreiben habe nur der Unterrichtung gedient und sei für eine Vielzahl von Fällen formuliert gewesen ohne Bezug auf den konkreten Einzelfall.
Zudem verweist das Urteil auf das bereits länger geführte Klageverfahren. Das Schreiben lasse nicht einmal auf die Bereitschaft der Beklagten zur Aufnahme von Verhandlungen über die gerügten Mängel schließen. Auch ein solches Verhalten kann im Einzelfall einen Verzicht bedeuten (BGH, Urt. v. 19. Juni 1991 - VIII ZR 149/90 u. v. 25. November 1998 - VIII ZR 259/97).
Der BGH sah auch keine Anhaltspunkte für ein arglistiges Verschweigen (§ 377 Abs. 5 HGB).
Untersuchungs- und Rügepflichten müssen Einkäufer im B2B kennen, beherrschen und in ihre Arbeitsprozesse einbauen. Das BGH Urteil macht darauf aufmerksam, dass schon eine Berichterstattung Nachuntersuchungen auslösen kann und es um Schnelligkeit geht. Verkäufer sind gut beraten, wenn sie bei dem Angebot von Maßnahmen klare Vorbehalte hinsichtlich der Anerkennung von Rechtspflichten aussprechen. Das kann auch darin bestehen, Maßnahmen als Kulanz auszuweisen.
Bild: Pavel Danilyuk (Pexels, Pexels Lizenz)
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