21.11.2022 — Rolf Becker. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Im Rechtsstreit ging um einen Restbetrag für eine Werklohnforderung für die Erbringung von Metallbau- und Fassadenbegrünungsarbeiten an einem Bauvorhaben. Zu der Werklohnforderung hatte die Beklagte Kürzungen vorgenommen. Dazu entspann sich ein Schriftwechsel, der u. a. auch per E-Mail geführt wurde.
In einer der E-Mails sahen die Instanzgerichte später ein Vergleichsangebot zu einer bestimmten Zahlung, welches die Beklagte durch die Anweisung des darin geforderten Betrags sozusagen wortlos durch bestätigende Handlung (konkludent) angenommen habe. Die Klägerin hatte allerdings 27 Minuten nach Absenden der E-Mail über Ihre Anwälte erklärt, dass eine abschließende Prüfung der Forderungshöhe durch die Klägerin noch nicht erfolgt sei; die vorangegangene E-Mail müsse daher unberücksichtigt bleiben. Später verlangte die Klägerin mehr Geld, als in der ersten E-Mail angegeben. Die Beklagte wollte nicht zahlen, da sie auf das Vergleichsangebot durch die Zahlung eingegangen war.
Das wirft spannende Fragen auf, mit denen sich Studierende der Rechtswissenschaften in den ersten Studiensemestern befassen müssen, die aber auch in der täglichen Unternehmenspraxis eine Rolle spielen.
Durch einen Vergleich können zwei Parteien die Ungewissheit eines Rechtsverhältnis beseitigen. Man einigt sich eben. Es wird ein Angebot gemacht, welches die andere Seite annimmt. Hier gelten die gleichen Voraussetzungen, wie für jeden rechtlich bindenden Vertrag
Die erste E-Mail enthielt nach den Feststellungen der Gerichte ein Angebot auf Zahlung einer bestimmten Restsumme des Werklohns. In § 145 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) heißt es:
Wer einem anderen die Schließung eines Vertrags anträgt, ist an den Antrag gebunden, es sei denn, dass er die Gebundenheit ausgeschlossen hat.
In § 130 Abs. 1 BGB heißt es aber:
Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wird, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht. Sie wird nicht wirksam, wenn dem anderen vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht.
In rechtlicher Hinsicht könnte man in der zweiten E-Mail eine Anfechtung oder einen Widerruf des vorangegangenen Angebots sehen. Wäre dieser Widerruf oder die Anfechtung wirksam, hätte der Beklagte das Angebot nicht durch seine Zahlung annehmen können. In Zeiten berittener Boten, die mit Angeboten durch die Landschaft jagen, aber manchmal auch noch bei der guten alten Post kann es Situationen geben, wo Angebote über § 130 BGB noch wirksam vor einer Annahme wieder zurückgezogen werden können. Aber geht das auch bei der elektronischen Post? Wann geht hier die Willenserklärung zu im Sinne von § 130 BGB? Darüber kann man trefflich streiten und das machen die Juristen auch untereinander.
Nach einer Ansicht geht eine E-Mail dem Empfänger, wenn ein Abruf im geschäftlichen Verkehr erwartet werden kann, an dem Tag zu, an dem sie abrufbereit im Postfach liegt. Maßgeblich ist danach, wann der Absender mit einer Kenntnisnahme der E-Mail nach dem üblichen Geschäftsablauf rechnen kann. Insoweit wird angenommen, dass ein Abruf der E-Mail spätestens bis zum Ende der Geschäftszeit zu erwarten ist. Danach kann je nach Zeitpunkt noch Raum für einen Widerruf bleiben. Nach anderer Ansicht gilt, dass eine E-Mail-Erklärung dann zugeht und die Partei, die eine solche Erklärung abgibt bindet, wenn die E-Mail abrufbereit auf dem Mailserver des Empfängers eingeht.
Der Bundesgerichtshof (BGH) war in letzter Instanz zur Entscheidung angerufen worden. Der wollte für den aktuellen Fall sich nicht zwischen den Ansichten entscheiden müssen. Schließlich war nach den Feststellungen der Instanzgerichte die E-Mail während der normalen Geschäftszeiten eingetroffen. In dem Fall sei die Mail mit dem abrufbereiten Eingang auf dem Mailserver zugegangen. Der BGH (Urt. v. 06.10.2022, Az. VII ZR 895/21):
Denn damit ist die E-Mail so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass er sie unter gewöhnlichen Umständen zur Kenntnis nehmen kann. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang nicht erforderlich….
Der von einem Empfänger für den Empfang von E-Mail-Nachrichten genutzte Mailserver ist jedenfalls dann, wenn der Empfänger durch Veröffentlichung der E-Mail-Adresse oder sonstige Erklärungen im Geschäftsverkehr zum Ausdruck bringt, Rechtsgeschäfte mittels elektronischer Erklärungen in Form von E-Mails abzuschließen, als sein Machtbereich anzusehen, in dem ihm Willenserklärungen in elektronischer Form zugehen können. Elektronische Willenserklärungen in Form von E-Mails werden als Datei gespeichert von dem Mailserver des Absenders an den Mailserver des Empfängers weitergeleitet. Dieser wird über den Eingang der E-Mail unterrichtet. In diesem Zeitpunkt ist der Empfänger in der Lage, die E-Mail-Nachricht abzurufen und auf seinem Endgerät anzeigen zu lassen.“
Damit war der in der zweiten E-Mail erklärte Widerruf 27 Minuten später verspätet.
Allerdings bleibt ein Angebot nicht beliebig lange offen. Gemäß § 147 Abs. 2 BGB können rechtliche Angebote unter Abwesenden bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, in dem der Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen zu erwarten ist. Tauschen sich zwei Parteien in einem Schriftwechsel aus, dann geht es um Rechtserklärungen „unter Abwesenden“. Die Frist für die Annahme eines Angebots unter Abwesenden setzt sich zusammen aus der Zeit für die Übermittlung des Antrags an den Empfänger, dessen Bearbeitungs- und Überlegungszeit sowie aus der Zeit für die Übermittlung der Antwort an denjenigen, der ein Angebot abgegeben hat. Die übliche Frist für die Annahme eines Angebots beträgt zwei bis drei Wochen. Die Beklagte hatte innerhalb von 7 Tagen bezahlt und damit jedenfalls rechtzeitig angenommen. Damit kam es nicht auf die genaue Länge der Annahmefrist an.
Wer diese Ungewissheit in der Praxis nicht will, dem ist zu raten, regelmäßig eine Annahmefrist in seine Angebote aufzunehmen. Dazu sieht § 148 BGB vor:
Hat der Antragende für die Annahme des Antrags eine Frist bestimmt, so kann die Annahme nur innerhalb der Frist erfolgen.
Obwohl also dem Beklagten bekannt war, dass die Klägerin ihr Angebot eigentlich widerrufen wollte, war dies unschädlich. Das Angebot war nun mal nach allen Regeln der Rechtskunst wirksam zugegangen und damit bindend.
Der Fall lässt sich vielfach in die tägliche Praxis übertragen. Verträge werden allgemein wirksam, wenn zwei übereinstimmende Willenserklärungen jeweils zugegangen sind. In Geschäften zwischen Unternehmern und Verbrauchern (B2C) stehen Verbrauchern vielfach Rechte zu, einen wirksamen Vertrag zu widerrufen (z. B. das bekannte Widerrufsrecht im Fernabsatz). In Rechtsverhältnissen zwischen Unternehmen (B2B) gibt es das nicht. Wer also Angebote versendet, der muss sich klar darüber sein, dass der Partner auf der anderen Seite annehmen kann und dann sind beide Parteien gebunden. Der BGH hat jetzt noch einmal klargestellt, dass der Zugang der E-Mail während der üblichen Geschäftszeiten praktisch sofort eine rechtliche Bindung bewirkt. Um hier nicht überrascht zu werden empfiehlt es sich natürlich, die eigenen Angebote sorgfältig zu prüfen und immer mit einer Annahmefrist zu versehen. „Wir halten uns xTage/bis zum DATUM an unser Angebot gebunden“ sind typische Formulierungen.
Bild: Torsten Dettlaff (Pexels, Pexels Lizenz)
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