04.08.2021 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Hans Böckler Stiftung.
Einerseits fürchteten im Juli 2021 weniger Menschen als im Winter 2020, wegen der Pandemie ihre Arbeit zu verlieren. Die Quote ist von 13 Prozent im November 2020 auf acht Prozent gesunken. Der Anteil derer, die die aktuelle Situation familiär, finanziell oder an ihrem Arbeitsplatz als belastend empfinden, ist ebenfalls in den vergangenen Monaten zurückgegangen und hat sich auf dem Niveau des Sommers 2020 eingependelt (detaillierte Daten unten). Andererseits ist die Unzufriedenheit mit dem Krisenmanagement der Politik stark gestiegen. 59 Prozent der im Juli Befragten äußerten sich unzufrieden über die aktuelle Anti-Krisenpolitik der Bundesregierung. Und fast unverändert jeweils knapp 90 Prozent der Befragten machen sich Sorgen um den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft und eine steigende soziale Ungleichheit.
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„Der erhoffte Sommer der Befreiung ist für viele ausgeblieben, die Gesellschaft verharrt im Zwiespalt“, fasst Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, die aktuellen Trends der Befragung zusammen. „Schaut man auf die allgemeinen Statistiken zur Wirtschaftsentwicklung oder zu Impfquoten, arbeitet sich Deutschland aus der Krise. Aber bei etlichen Menschen kommt dieser Fortschritt nicht voll an. Viele registrieren ganz offensichtlich genau, was im Land gut funktioniert, und was nicht. Sie sehen, dass jenseits der grundsätzlichen Stabilität, für die ein weitgehend funktionierendes Sozial- und Gesundheitssystem gesorgt haben, bekannte und sogar neue soziale Ungleichheiten in der Pandemie zu Tage treten. Das bestätigt unsere Befragung mit neuen Daten. So setzt sich etwa der Trend fort, dass Erwerbspersonen, die schon vor der Krise wirtschaftlich schlechter gestellt waren, während der Pandemie auch noch häufiger an Einkommen eingebüßt haben. Es zeigt sich, dass Menschen mit niedrigen Einkommen bei den Impfungen weiterhin etwas zurückliegen. Und die Unterschiede zwischen Müttern und Vätern bei Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit haben sogar wieder etwas zugenommen.“
Kohlrausch, die auch Soziologieprofessorin an der Universität Paderborn ist, und die Böckler-Datenexperten Dr. Helge Emmler und Dr. Andreas Hövermann stützen ihre neue Analyse auf die gerade abgeschlossene fünfte Welle der Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung. Dafür wurden von Ende Juni bis Mitte Juli 5047 Erwerbstätige und Arbeitsuchende von Kantar Deutschland online zu ihrer Lebenssituation während der Pandemie befragt. Dasselbe Sample war bereits im April, im Juni und im November 2020 sowie im Januar 2021 interviewt worden, allerdings teilweise nicht mit dem vollständigen Fragebogen. Die Befragten bilden die Erwerbspersonen in Deutschland im Hinblick auf die Merkmale Geschlecht, Alter, Bildung und Bundesland repräsentativ ab.
75 Prozent der befragten Erwerbspersonen sind erstmalig oder vollständig geimpft. Knapp 20 Prozent der Befragten gaben an, noch nicht geimpft zu sein und auch noch keinen Impftermin zu haben. Dies scheint oft Ergebnis einer bewussten Entscheidung zu sein, da rund 67 Prozent der Ungeimpften ohne Termin angaben, sich „eher nicht“ oder „auf gar keinen Fall“ impfen lassen zu wollen. Allerdings ergeben sich aus dem sonstigen Antwortverhalten spürbare Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen: Während etwa entschiedene Impfgegner oft die Meinung äußern, das Virus sei weniger gefährlich als von Fachleuten dargestellt, tun das Befragte, die sich „eher nicht“ impfen lassen wollen, deutlich seltener.
Betrachtet man die Zahl der Ungeimpften in Relation zur Gesamtzahl der Erwerbspersonen, kann davon ausgegangen werden, dass bisher etwa fünf Prozent der Erwerbspersonen noch nicht geimpft wurden, obwohl sie dazu bereit wären. Weitere sechs Prozent wollen sich „eher nicht“ impfen lassen und etwa sieben Prozent lehnen eine Impfung entschieden ab. Schaut man sich die Verteilung der Gruppen nach Einkommen an, so stellt sich heraus, dass bislang ungeimpfte Impfwillige häufiger in niedrigen Einkommensgruppen zu finden sind: Bei Befragten mit einem Haushaltseinkommen von unter 2.000 Euro möchten sich rund 37 Prozent impfen lassen („Ja, auf jeden Fall“ bzw. „eher ja“), während dies nur für 27 Prozent der Einkommensgruppe ab 4.500 Euro gilt. Dies ist nicht auf einen Alterseffekt zurückzuführen, da die Impfwilligen im Durchschnitt sogar etwas jünger sind als diejenigen, die dem Impfen kritisch gegenüberstehen.
Die Gruppe der Impfwilligen ist häufiger von Corona betroffen und stimmt der Aussage „ich glaube nicht, dass Corona so gefährlich ist, wie häufig behauptet wird“ ebenso wie der Aussage „Ich habe Zweifel an den offiziellen Corona-Zahlen“ deutlich seltener zu als die Personen, die eine Impfung ablehnen. „Diese Befunde sprechen dafür, niedrigschwellige Angebote und Impfanreize auszubauen“, sagt WSI-Direktorin Kohlrausch. „Darüber lässt sich neben den impfwilligen Menschen, die im bisherigen System noch nicht zum Zuge gekommen sind, wahrscheinlich auch ein Teil der Menschen erreichen, die bislang sagen, sie wollten sich ‚eher nicht‘ impfen lassen.“
Insgesamt sind die Belastungsgefühle seit dem Lockdown im Januar stark zurückgegangen. Diese Rückgänge betreffen insbesondere die familiäre Situation und die Gesamtsituation. Im Juli gaben 19 bzw. 28 Prozent der Befragten an, sich in diesen Dimensionen „äußerst“ oder „stark“ belastet zu fühlen – neun bzw. 12 Prozentpunkte weniger als im Januar (siehe auch Abbildung 1 in der pdf-Version dieser PM; Link unten). Dies ist nach Analyse des WSI darauf zurückzuführen, dass insbesondere Familien durch Lockdown und Homeschooling stark betroffen waren. Ganz generell fühlen sich aber Eltern und hier noch einmal Mütter häufiger als Väter in allen genannten Dimensionen weiterhin stärker belastet als Personen ohne Kinder. Die stärkste Belastung weisen Alleinerziehende auf.
Betrachtet man alle Erwerbstätigen, so zeigt sich als Trend, dass die finanziellen Sorgen ebenso wie die Sorgen wegen der Arbeitssituation seit der ersten Befragung im April 2020, die die Lage im ersten Lockdown unmittelbar nach Beginn der Pandemie erfasste, rückläufig sind. Auch die Angst vor Arbeitslosigkeit ist zurückgegangen: Während im Sommer 2020 noch 11 und im November sogar 13 Prozent der Befragten Sorge hatten, Pandemie-bedingt ihren Arbeitsplatz zu verlieren, waren es Anfang Juli 2021 acht Prozent.
Trotz abnehmender Sorgen ist auch die Zufriedenheit mit dem Krisenmanagement der Bundesregierung stark gesunken, unter den Befragten sind die Unzufriedenen mittlerweile deutlich in der Mehrheit. Im Juli 2021 äußerten sich 59 Prozent kritisch zur Krisenbewältigung durch die Politik – 15 Prozentpunkte mehr als im November und sogar 26 Prozentpunkte mehr als im Sommer 2020 (siehe Abbildung 2 in der pdf-Version). „Viele Menschen sind also mit dem aktuellen Krisenmanagement unzufrieden. Gleichzeitig scheinen sie aber das Gefühl zu haben, dass der Arbeitsmarkt und die sozialen Sicherungssysteme im Großen und Ganzen funktionieren. Dazu hat sicherlich auch beigetragen, dass Instrumente wie das Kurzarbeitergeld schnell an die aktuellen Herausforderungen angepasst wurden und viele Menschen vor der Arbeitslosigkeit bewahrt haben – Entscheidungen, die natürlich auch die Regierung getroffen hat“, sagt Kohlrausch. „Wir können diesen scheinbaren Widerspruch mit unseren Daten nicht auflösen. Eines wird aber ganz klar: Die bewährten Sicherungsmechanismen des Sozialstaats dürfen in Folge der Pandemie nicht geschwächt werden, etwa mit der Begründung, es sei kein Geld mehr da. Sie sollten im Gegenteil weiter gestärkt und auch für diejenigen zugänglich gemacht werden, die bislang nur lückenhaft geschützt sind“, betont die WSI-Direktorin.
Denn zur größeren Unzufriedenheit dürfte auch beigetragen haben, dass die Pandemie Lücken im sozialen Sicherungssystem offengelegt hat, nicht alle Menschen werden etwa gleichermaßen vor krisenbedingten Einkommenseinbußen geschützt. Insgesamt gaben rund 53 Prozent der Befragten bei dieser oder einer der vorherigen Befragungen an, Einbußen beim Haushaltseinkommen erlitten zu haben (siehe Abbildung 3). Dabei mussten Personen, die bereits vor der Krise über ein niedrigeres Einkommen verfügten, besonders häufig Verluste verzeichnen. So berichteten 60 Prozent der Befragten, die angaben, vor der Krise über ein Haushaltseinkommen unterhalb von 2.000 Euro netto monatlich zu verfügen, über Verluste beim Haushaltseinkommen. Dagegen waren es bei den Personen mit einem Haushaltseinkommen von mehr als 4.500 Euro 49 Prozent (siehe Abbildung 4).
Dazu passt, dass der Anteil der Befragten, die sich allgemein Sorgen um den Zusammenhalt der Gesellschaft und die Entwicklung der sozialen Ungleichheit in Deutschland machen, weiterhin sehr hoch ist. Jeweils knapp 90 Prozent äußern diesbezüglich „einige“ oder „große“ Sorgen (siehe auch Abbildung 5).
Trotz weitgehender Öffnung von Schulen und Kitas nach Ende des Lockdowns sind die geschlechtsspezifischen Differenzen bei der Kinderbetreuung weiter sehr groß. Der schon vor der Pandemie große Unterschied zwischen Frauen und Männern scheint sogar gewachsen zu sein. Im Juli gaben 69 Prozent der Frauen, aber nur sieben Prozent der Männer an, den überwiegenden Teil der Kinderbetreuung zu übernehmen. Das ist für die Frauen der höchste Wert, der im Rahmen der Erwerbspersonenbefragung seit Frühling 2020 erhoben wurde. Weniger als ein Drittel der befragten Eltern erklärten, sich die Betreuung zu etwa gleichen Teilen zu teilen. Frauen haben mit 13 Prozent auch mehr als doppelt so häufig wie Männer (fünf Prozent) ihre Arbeitszeit wegen der Kinder reduziert. „Offensichtlich war der im Frühling und Sommer letzten Jahres beobachtete Anstieg beim Anteil der Männer, die den überwiegenden Teil der Kinderbetreuung übernehmen, ein kurzfristiger Effekt, der vermutlich auf die Kurzarbeit zurückzuführen ist“, analysiert die Soziologin Kohlrausch. „Es zeichnet sich somit kein Trend ab, wonach Männer dauerhaft mehr Verantwortung für die Kinderbetreuung übernehmen. Die Hauptlast hier lag und liegt während der Krise bei den Frauen.“
Arbeitszeitreduzierungen aus familiären Gründen machen sich auch im Hinblick auf die durchschnittlichen realen Arbeitszeiten bemerkbar. Noch stärker dürfte sich aber die Kurzarbeit auswirken, von der Anfang Juli etwa vier Prozent der Befragten betroffen waren – hochgerechnet gut 1,5 Millionen Personen. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit pro Erwerbstätigem lag mit knapp 36 Stunden immer noch fast zwei Stunden unter dem Vorkrisenniveau.
Die Zahl der Personen, die im Homeoffice arbeiten, ist mit dem Auslaufen der Verpflichtung für Arbeitgeber, Homeoffice wo immer möglich anzubieten, deutlich zurückgegangen. Im Juli arbeiteten 15 Prozent der Befragten ausschließlich oder überwiegend in der eigenen Wohnung, neun Prozentpunkte weniger als bei der letzten Erhebung im Januar. 67 Prozent arbeiteten ausschließlich im Betrieb (Januar: 60 Prozent), 18 Prozent (Januar: 14 Prozent) hatten wechselnde Arbeitsorte. Damit liegen die Zahlen ungefähr auf dem Niveau des letzten Sommers. Gleichzeitig ist der Anteil derer gestiegen, die aktuell im Homeoffice arbeiten und dies auch weiterhin im gleichen Umfang tun wollen. Das sagen 62 Prozent, während es im Januar 49 Prozent waren. Dagegen wollen 11 Prozent der Befragten, die aktuell (auch) daheim arbeiten, künftig gar nicht mehr im Homeoffice sein, 27 Prozent wollen den Anteil reduzieren.
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