23.02.2021 — Moira Frank. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Heimische Kleiderschränke, Geschäfte auf der ganzen Welt, Deponien oft in armen Ländern: Die Welt quillt über von Textilien. Daran wird sich so schnell auch nichts ändern. Gut auszusehen, sich modisch zu inszenieren und Neues auszuprobieren, war Menschen schon immer wichtig. Die Textilrevolution ist längst Geschichte, Kleidung heute günstig wie nie. Gleichzeitig ist jeder Tag digitaler als der davor. Influencer*innen mit Millionen-Reichweite setzen neue Trends schneller als Filmstars. In Social Media wollen sich längst nicht nur junge Menschen von ihrer besten Seite zeigen. Modetrends kommen und gehen weiterhin nach Lust und Laune. Fast Fashion bringt entsprechend laufend neue Kollektionen an die Kundschaft und macht die Designertrends auch für den kleinen Geldbeutel erschwinglich. Zahlreiche Versandhäuser liefern auch, wenn die Geschäfte in den Innenstädten und die Outlets im Industriegebiet geschlossen haben, neue Kleidungsstücke direkt vor die Tür. Denn obwohl viele Menschen gerade vor allem Zeit zu Hause verbringen und weniger Geld für Kleidung ausgeben als vor der Pandemie, möchte man doch ab und an etwas Neues tragen. Altes landet dann im Container – und samt giftiger Stoffe auf Deponien. Raus aus diesem Kreislauf kommt man höchstens im privaten Rahmen, indem man flickt, wiederverwertet und Secondhand kauft. Oder gibt es noch andere Möglichkeiten?
Was, wenn man zukünftig den Wunsch nach schneller, neuer und vor allem extravaganter Mode auch digital erfüllen und sich analog auf das Wesentliche konzentrieren könnte? Tatsächlich ist bereits 2019 das erste digitale Couture-Kleid versteigert worden – für ganze 9500 US-Dollar. Die Kreation des Amsterdamer Mode-Start-ups The Fabricant existiert statt zum physischen Anfassen und Anziehen nur als virtuelle Kreation. Sie ist längst nicht die einzige. Statt noch einen Anzug im Schutzanzug einstauben zu lassen, kann man sich heute einen solchen Anzug digital anfertigen lassen. Ein paar hochaufgelöste Fotografien in eng anliegender Kleidung reichen für eine dreidimensionale Maßfertigung durch eine*n E-Designer*in. Schon wird das neue Kleidungsstück auf den virtuellen Leib geschneidert – ohne, dass ein Zentimeter echter Stoff verbraucht wird. Der fertige Anzug wird dann als Datei bereitgestellt und kann an der eigenen Person bewundert, bei etwas größeren Budget auch in einem 3D-Programm animiert getragen werden. Posten kann man sein neues Outfit dann etwa auf Instagram. So unsinnig ist das gar nicht, sagen die Pionier*innen und Fans von virtueller Mode: Schließlich kaufen viele Menschen Kleidung, in der sie sich nur einmal für Social Media ablichten lassen und die danach im Schrank verschwindet.
Auch, wenn natürlich trotzdem etwa Server-Leistungen anfallen, ist der ökologische und ethische Fußabdruck dieses virtuellen Kleidungsstücks wesentlich geringer, schließlich gibt es keinen Anbau von Baumwolle oder Seide, keine Ausbeutung beim Nähen und keinen Versand per Container. Dem digitalen „Stoff“ sind auch keine physischen Grenzen gesetzt. Warum sollte ein kunstvolles wallendes Kleid nicht brennen können, seine holographisch schillernden Farben ändern oder in der Drehung unsichtbar machen wie ein verwunschener Umhang? Spannende Effekte, an denen Designer*innen für Modeschauen lange tüfteln müssen und die für Endkund*innen kaum tragbar sind, sind in der virtuellen Realität nur etwas Fantasie und ein paar Klicks entfernt. Avantgarde war wohl noch nie so einfach! Zum Glück fällt die alltäglichere virtuelle Mode weitaus erschwinglicher aus und startet bei etwa 30 Euro.
Werden Menschen wirklich für Kleidungsstücke Geld ausgeben, die sie nur online tragen können? Sie tun es bereits! In zahlreichen Online-Games lassen sich mit echtem Geld sogenannte Skins kaufen, die man seinem Game-Avatar anziehen kann, damit er sich von der breiten Masse abhebt. Das funktioniert ganz ähnlich wie die Charaktererstellung in vielen klassischen Videospielen auch: Indem Spieler*innen selbst etwa Frisur, Tätowierungen, Hautfarbe und vieles weitere festlegen, können sie eine Version von sich selbst in den virtuellen Raum schicken. Schon steigt die Selbstidentifikation und damit bei Games mit Bezahl-Inhalten auch die Kund*innenbindung. Das klappt natürlich und gerade auch mit Kleidung. Ob eine coole Pose und neue Turnschuhe in Pokémon Go oder einen Event-Skin und eine seltene Waffe in Fortnite: Auch online wollen und können besonderes die jüngeren Generationen Stil beweisen. Virtuelle „Selbstverbesserung“ anhand von Filtern, die Gesicht und Stimme verändern, ist auf Plattformen wie TikTok und Co. schon Alltag – warum nicht auch virtuelle Mode zur Selbstdarstellung nutzen?
Tatsächlich gibt es die Technologien, die virtuelle Mode nutzt, bereits jetzt in einigen großen Modelabels. Dort kann man in Ankleideräumen anhand von Fotografien zum Beispiel prüfen, ob einem das Kleid wirklich gut steht, bevor man es tatsächlich „in echt“ bestellt. Auch Brillengestelle können so online auf die Gesichtsform abgestimmt werden.
Noch ist virtuelle Mode zwar nicht groß in Mode, doch dafür wirft sie schon jetzt sehr spannende Fragen auf: Werden wir mit virtueller Fashion Ressourcen schonen und Verschwendung minimalisieren können? Wird in unseren analogen Kleiderschränken zukünftig vor allem Kleidung lagern, während wir digital Mode in der Cloud aufbewahren? Was bedeutet eigentlich Mode? Und wie kann eigentlich mein Stil in der Zukunft aussehen, wenn ein Anzug wie aus einem verrückten Science-Fiction-Film plötzlich zumindest digital erschwinglich ist?
Wer möchte, kann sich den Trend Virtual Fashion jetzt schon anschauen und mit ausgewählten virtuellen Kleidungsstücken experimentieren – sie anziehen und sogar verändern. Die sogenannten Free-File-Drops von The Fabricant stehen allen offen, die eine 3D-Software besitzen und ein wenig mit ihr umgehen können.
Quellen und Hintergründe:
Bild: Marcus Vinícius A. Ribeiro (Pexels, Pexels Lizenz)
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