11.12.2023 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Hans Böckler Stiftung.
Das lässt sich auch an Nachhaltigkeits-Indizes ablesen, die so genannte ESG-Scores verwenden. So hat ein durchschnittliches Unternehmen mit starker Mitbestimmung der Beschäftigten im Aufsichtsrat einen im Mittel um 18,9 Prozentpunkte höheren Nachhaltigkeits-Score als ein durchschnittliches Unternehmen ohne Mitbestimmung. Das entspricht in einem standardisierten Modell einem Vorsprung von mehr als einem Fünftel in Hinblick auf die ESG-Bewertung. Zu diesen Ergebnissen kommt eine neue Studie, in der Dr. Robert Scholz vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) die ESG-Scores von mehr als 200 im deutschen Börsenindex CDAX notierten Unternehmen auswertet. Dieser Vorsprung in Sachen Nachhaltigkeit besteht unabhängig von ebenfalls relevanten Faktoren wie Unternehmensgröße oder Eigentümerstruktur.
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„Die Mitbestimmung ist damit Teil der Transformation der Unternehmen in Richtung eines sozial-ökologischen Wirtschaftens“, resümiert der WZB-Forscher in seiner Studie, die vom Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.) der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wurde. Dass Unternehmen mit starker Mitbestimmung dabei in fast allen Nachhaltigkeits-Kategorien durchschnittlich ein besseres Ergebnis erreichen, „ist ein Beleg dafür, dass die ökologische Transformation einer sozial nachhaltig ausgerichteten Unternehmenspolitik nicht widerspricht“, konstatiert der Wissenschaftler.
ESG steht für Environment, Social und Governance als drei zentrale Dimensionen unternehmerischer Nachhaltigkeit. In ESG-Scores wird über verschiedene Kennziffern erfasst, wie sich Unternehmen mit Blick auf die Bereiche Umwelt, Soziales sowie effektive und transparente Unternehmenssteuerung verhalten. Sowohl staatliche Stellen als auch private Fonds, Banken, Versicherungen oder Ratingagenturen legen zunehmend Wert darauf, dass Unternehmen möglichst nachhaltig wirtschaften und systematisch berichten, was sie dafür tun. Dazu greifen sie auch auf solche Scores zurück. Zwar ist die Operationalisierung von ESG-Kriterien längst nicht immer einheitlich und erregt bisweilen Kritik. Trotzdem haben sie erhebliche Bedeutung: „Fast alle relevanten global agierenden Finanzmarktakteure beziehen Nachhaltigkeitskriterien in ihre Investitionsentscheidungen mit ein“, schreibt Scholz.
Zwischen ESG-Konzept und Mitbestimmung beobachtet der WZB-Experte grundsätzliche „inhaltliche Schnittmengen“. Denn die Beschäftigten hätten ein zentrales Interesse an einer nachhaltigen Entwicklung „ihres“ Unternehmens. Unter anderem, weil sie meist eine längerfristige Beschäftigung anstreben, die weit über Quartalsgewinne oder Jahresumsätze hinausgeht, an denen sich Investor*innen und Manager*innen stark orientieren. „Nicht nur die wirtschaftliche Prosperität steht im Mittelpunkt, sondern auch die soziale Verantwortung von Unternehmen wie Beschäftigungsbedingungen, faire Entlohnung und Ähnliches. Schließlich spielt auch das langfristige Agieren der Unternehmen eine wesentliche Rolle“, beschreibt Scholz die Perspektive der Arbeitnehmer*innen.
In einer Untersuchung von 2019 fanden Scholz und ein WZB-Koautor bereits empirische Hinweise drauf, dass sich Unternehmen mit starker Mitbestimmung häufiger zu substanziellen Nachhaltigkeitsmaßnahmen verpflichten, etwa indem sie konkrete Ziele zur Verschmutzungsreduktion festlegen (siehe auch den Forschungsüberblick; Link unten). In der neuen Studie beleuchtet der Wissenschaftler nun vertieft und mit einer weitaus größeren Stichprobe, ob Unternehmen je nach Grad der Mitbestimmung bei der Nachhaltigkeit unterschiedlich abschneiden.
Basis sind die Daten von 224 Unternehmen, die im übergreifenden deutschen Börsenindex Composite DAX (CDAX) gelistet sind, und für die ein ESG-Score der spezialisierten Ratingagentur Refinitiv vorliegt. Refinitiv hat im Vergleich zu anderen Agenturen die größte frei verfügbare Anzahl aktueller CDAX-Nachhaltigkeitsbewertungen vorgenommen. Sie beziehen sich auf die Jahre 2021 und 2022 und umfassen mehr als 600 Kennzahlen pro Unternehmen, die zehn Kategorien zugeordnet werden, so genannten „Subscores“. Dazu zählen beispielsweise die unternehmensspezifische Entwicklung von Emissionen und Ressourcenverbrauch, der Umgang mit Beschäftigten, die Einhaltung von Menschenrechten oder die Existenz einer Strategie zur „Corporate Social Responsibility“ (CSR). Aus den Ergebnissen für die zehn Subscores errechnet Refinitiv einen ESG-Gesamtscore für jedes Unternehmen. Je höher der ist, desto überzeugender steht ein Unternehmen in Sachen Nachhaltigkeit da.
Ob und wie stark Mitbestimmung in den untersuchten Unternehmen verankert ist, bestimmt der Forscher über den am WZB entwickelten Mitbestimmungsindex (MB-ix). Dieser verzeichnet unter anderem, wie viele Arbeitnehmervertreter*innen im Aufsichtsrat und dessen Ausschüssen sitzen, wie stark die formellen Einflussmöglichkeiten des Kontrollorgans sind oder ob es einen Europäischen Betriebsrat gibt. Der MB-ix reicht von 0 (keine Mitbestimmung) bis 100 (zahlenmäßig paritätisch im Aufsichtsrat mitbestimmt und auch alle weiteren definierten Merkmale einer institutionellen Verankerung der Mitbestimmung sind vollständig erfüllt). Grundsätzlich ist dabei natürlich zu beachten, dass nach der geltenden Gesetzeslage auch in Unternehmen mit 100 MB-ix-Punkten die Arbeitnehmervertreter*innen im Aufsichtsrat von den Vertreter*innen der Kapitalseite im Konfliktfall überstimmt werden können, weil diese das sogenannte Doppelstimmrecht haben.
Die Datenanalyse zeigt deutliche Zusammenhänge zwischen Stärke der Mitbestimmung und Nachhaltigkeits-Score. So haben beispielsweise 33 Unternehmen im Untersuchungs-Sample ein sehr hohes Niveau der Mitbestimmung nach dem MB-ix. 29 davon weisen auch einen hohen oder sehr hohen ESG-Score auf. Unter den 95 Unternehmen ohne Mitbestimmung in der Stichprobe gilt das dagegen gerade einmal für 19.
Auch bei einer verfeinerten statistischen Analyse bleibt der signifikant positive Effekt der Mitbestimmung in Sachen ESG erhalten. In so genannten Regressionsrechnungen quantifiziert WZB-Experte Scholz dazu die Beziehung weiterer Parameter zum ESG-Gesamtscore. Das ist nötig, um Zusammenhänge im Hintergrund statistisch kontrollieren zu können. So ist beispielsweise bekannt, dass größere Unternehmen generell meist höhere ESG-Scores haben als kleine, weil sie beispielsweise über mehr Personal und Ressourcen für Nachhaltigkeitsprogramme verfügen und zudem strengeren institutionellen Regeln unterliegen. Gleichzeitig steigt das Niveau der Mitbestimmung nach den deutschen Gesetzen mit der Zahl der Beschäftigten. Daher bezieht Scholz die Unternehmensgröße, gemessen an der Marktkapitalisierung, in die Regression ein. Außerdem prüft er, welche Wirkung der Anteil des Streubesitzes hat sowie die Branche, in der ein Unternehmen aktiv ist.
Ergebnis der Berechnungen: Der mit Abstand stärkste Einzel-Zusammenhang besteht, wenig überraschend, zwischen Unternehmensgröße und ESG-Score. Den zweitstärksten Einfluss hat die Mitbestimmung: Ein durchschnittliches Unternehmen mit starker Mitbestimmung, also 100 MB-ix-Punkten, weist einen im Mittel um 18,9 Prozentpunkte höheren ESG-Gesamtscore auf als ein durchschnittliches Unternehmen mit MB-ix null. Da die Bandbreite der ESG-Gesamtscores in der Stichprobe zwischen 16 Punkten (unteres Ende von „sehr geringe Nachhaltigkeit“) und 94 Punkten (oberes Ende von „sehr hohe Nachhaltigkeit“) liegt, ist das ein erheblicher Vorsprung von mehr als einem Fünftel. Und er ist zusätzlich zum Größeneffekt, der dabei ja bereits berücksichtigt wurde. Die Mitbestimmung ist für die Nachhaltigkeit doppelt so wichtig wie die Quote des Streubesitzes, die ebenfalls einen – deutlich kleineren – eigenständigen Effekt hat. WZB-Forscher Scholz sieht eine mögliche Erklärung darin, dass bei einer höheren Zahl an kleineren Aktionär*innen das Gewicht von Investoren wie Fonds größer ist, die ihre Kaufentscheidungen stark an ESG-Scores orientieren.
In einem dritten Schritt untersucht Scholz den Zusammenhang zwischen Mitbestimmungsstärke und den verschiedenen ESG-Subscores. Es zeigen sich positive Einflüsse in allen drei Nachhaltigkeitsbereichen „E“, „S“ und „G“ sowie bei den meisten Einzelwerten. So schneiden Unternehmen in sämtlichen unter „E“ operationalisierten Umweltdimensionen besser ab, wenn sie mitbestimmt sind. Positiv sind auch die Zusammenhänge im Bereich „S“: Nicht nur die Einhaltung der Menschenrechte und die Kategorie Arbeitskräfte (Workforce) werden durch die Mitbestimmung positiv beeinflusst, sondern auch die Produktverantwortung und die Wirkung auf das Gemeinwesen (Community). Schließlich besteht auch ein deutlich signifikanter Zusammenhang zwischen Mitbestimmung und CSR-Strategie (in „G“).
Aus der Datenanalyse leitet der WZB-Forscher erste Hypothesen darüber ab, wie Mitbestimmung zu nachhaltigerem Wirtschaften führt: „Über die Arbeitnehmervertretungen wird die soziale Organisation der Unternehmen beeinflusst, sodass in diesem Bereich höhere ESG-Scores zu erwarten sind. Zudem bezieht die Mitbestimmung aber auch weitere Stakeholder mit ein, da der Fokus nicht nur auf der wirtschaftlichen Effizienz der Unternehmen liegt“, analysiert der Wissenschaftler. Insbesondere viele Unternehmen aus der Industrie, die vielfach stark mitbestimmt sind, seien aktuell gezwungen, ihre Geschäftsmodelle nachhaltiger auszurichten. „Arbeitnehmervertretungen gestalten diesen Wandel aktiv mit, weil nur dadurch die langfristige Perspektive für Standorte gesichert werden kann.“
Robert Scholz: Unternehmensmitbestimmung und die sozialökologische Transformation. Zusammenhang zwischen Mitbestimmungsindex und ESG-Kriterien in börsennotierten Unternehmen. Mitbestimmungsreport Nr. 79 der Hans-Böckler-Stiftung, Dezember 2023.
Studien zeigen: Mitbestimmte Unternehmen verfolgen häufiger eine innovations- und forschungsorientierte Differenzierungsstrategie als Firmen mit schwacher oder ohne Mitbestimmung. Zudem schneiden stärker mitbestimmte Unternehmen über alle strategischen Ausrichtungen hinweg bei wichtigen wirtschaftlichen Kennziffern meist überdurchschnittlich ab. Und sie kommen besser durch Krisen- und Umbruchphasen. Diese und weitere Befunde im Forschungsüberblick.
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