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Tarifvertragliche Öffnung für betriebliche Bündnisse für Arbeit

10.11.2010  — Marc André Gimmy.  Quelle: Taylor Wessing Deutschland.

Aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 20. Oktober 2010 – Aktenzeichen 4 AZR 105/09 – zur Frage der Zustimmungsverpflichtung einer Gewerkschaft zu einer von einem Tarifvertrag abweichenden Betriebsvereinbarung bei Vorliegen einer tarifvertraglichen Öffnungsklausel für betriebliche Bündnisse für Arbeit

Einleitung

Kennzeichnend für betriebliche Bündnisse für Arbeit ist, dass zwischen Arbeitgeber und Belegschaft, beziehungsweise für diese durch den Betriebsrat oder die Gewerkschaft ein Austausch vereinbart wird, Personalkosteneinsparungen und Flexibilisierungen gegen Beschäftigungsgarantien und sonstige Arbeitgeberzusagen. Rechtlich problematisch kann die Umsetzung derartiger betrieblicher Bündnisse für Arbeit sein, wenn der Arbeitgeber tarifgebunden ist und eine abweichende tarifvertragliche Regelung besteht. Denn bei Tarifgebundenheit können nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Diese betriebliche Regelungssperre schirmt dann den Flächentarifvertrag grundsätzlich vor kollektiven Regelungen im Rahmen von betrieblichen Bündnissen für Arbeit ab. Etwas Abweichendes kommt nach § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG in Betracht, wenn der Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt (sog. Öffnungsklausel). In der Praxis der – öffentlich bekannt werdenden – betrieblichen Bündnisse für Arbeit stellen derartige Öffnungsklauseln die regelmäßige Rechtsgrundlage dar. Sie sind im Zweifel eng am Wortlaut auszulegen, nicht zuletzt weil sie die Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages aufheben. Mit der Auslegung einer solchen tariflichen Öffnungsklausel für betriebliche Bündnisse für Arbeit beschäftigt sich die aktuelle Entscheidung des BAG vom 20. Oktober 2010 bezüglich derer bislang jedoch lediglich die Pressemitteilung vorliegt.


Sachverhalt

Der Entscheidung des BAG lag folgender Sachverhalt zugrunde: In einem regionalen Rahmentarifvertrag hatten die Tarifvertragsparteien unter anderem der Beton- und Fertigteilindustrie eine Öffnungsklausel für betriebliche Regelungen vereinbart. Danach sollte es unter anderem möglich sein, mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien durch eine Betriebsvereinbarung eine Veränderung der ansonsten festgelegten tariflichen Leistungen um insgesamt bis zu einem Bruttomonatsentgelt herbeizuführen. Für den Fall, dass dabei die hierzu weiter ergangenen tariflichen Bestimmungen eingehalten werden (unter anderem Begründung der Notwendigkeit anhand nachvollziehbarer Kriterien, beschäftigungssichernder und wettbewerbsverbessernder Zweck der Veränderung), bestimmte der Tarifvertrag, dass die Zustimmung erteilt werden „soll“. In dem durch das BAG zu entscheidenden Fall hatte die Gewerkschaft einer solchen abweichenden Betriebsvereinbarung ihre Zustimmung versagt, und sich darauf berufen, dass ihr insoweit ein großer Ermessensspielraum zur Verfügung stehe, der von den Arbeitsgerichten nicht überprüft werden könne. Der Arbeitgeberverband hatte die Erteilung der Zustimmung vor den Gerichten für Arbeitssachen eingeklagt. Das Arbeitgericht hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat der hiergegen gerichteten Berufung des Arbeitgeberverbandes stattgegeben und die Verpflichtung der Gewerkschaft zur Erteilung der Zustimmung festgestellt.


Die Entscheidung

In seiner Entscheidung vom 20. Oktober 2010 hat auch der vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts dem Arbeitgeberverband Recht gegeben und die Gewerkschaft verurteilt, der abweichenden Betriebsvereinbarung ihre Zustimmung zu erteilen. Ausweislich der bislang lediglich vorliegenden Pressemitteilung des BAG hat das Gericht seine Entscheidung damit begründet, dass die „Soll“-Bestimmung in der tariflichen Öffnungsklausel zu einer Zustimmungspflicht der Gewerkschaft führt, wenn die Kriterien für die Betriebsvereinbarung eingehalten sind und der die Zustimmung verweigernden Tarifvertragspartei keine gewichtigen Gründe für ihre Weigerung zur Verfügung stehen. Das BAG hat damit offenbar die von der Gewerkschaft vertretene Auffassung, ihr stehe auch insoweit ein großer Ermessensspielraum zur Verfügung, der von den Arbeitsgerichten nicht überprüft werden könne, nicht geteilt.


Praxishinweis

Mit seiner Entscheidung hat das BAG nunmehr klargestellt, dass den Gewerkschaften, sofern in einem Flächentarifvertrag mit dem Arbeitgeberverband in einer Öffnungsklausel für betriebliche Bündnisse für Arbeit ein Zustimmungsvorbehalt der Gewerkschaft vorgesehen ist, kein von den Gerichten für Arbeitssachen unüberprüfbarer Ermessensspielraum zusteht. Die Gewerkschaften sind in diesen Fällen vielmehr verpflichtet, ihre Zustimmung zu einer von dem Tarifvertrag abweichenden betrieblichen Regelung zu erteilen, sofern die in der Tariföffnungsklausel vereinbarten Voraussetzungen vorliegen und der Gewerkschaft auch keine sonstigen gewichtigen Gründe zur Verweigerung der Zustimmung zustehen. Einen weiteren Ermessensspielraum lehnt das BAG ab. Das BAG hat mit seiner Entscheidung zudem klargestellt, dass dem Arbeitgeberverband bei Vorliegen der tarifvertraglich vereinbarten Voraussetzungen ein Anspruch gegen die Gewerkschaft auf Erteilung der Zustimmung besteht, der gerichtlich einklagbar ist.
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