04.12.2023 — Rolf Becker. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Die Unterlassungsschuldnerin vertreibt u. a. das Produkt M.Gel. Wegen bestimmter Angaben auf der Verpackung und im Beipackzettel kam es zu einem Verfahren. In dessen Verlauf hatte das OLG Hamm ein Urteil des LG Hagen (Az. 21 O 123/18) – mit Urteil vom 12.01.2023 (Az. I-4 U 45/20) – dahingehend abgeändert, dass die Schuldnerin unter Androhung von Zwangsmitteln verurteilt wurde, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr für das Produkt „M.Gel II“ wie folgt zu werben und/oder werben zu lassen:
1. „Schnelle Wundheilung“,
jeweils sofern dies geschieht wie in den Anlagen ... wiedergegeben;
2. „Schnell. Effektiv. Für alle Wunden im Alltag.“,
sofern dies geschieht wie in der Anlage ... wiedergegeben
Als die Klägerin nach Prüfungen und Testkäufen noch Angebote mit der Werbung u. a. bei Versandapotheken fand, beantragte sie die Festsetzung eines Ordnungsgelds zu Lasten der Schuldnerin, also des werbenden Unternehmens, von mindestens 100.000 Euro.
Dazu behauptete sie, dass die Schuldnerin das vertriebene Produkt „M.Gel“ nicht ordnungsgemäß zurückgerufen habe. Die Schuldnerin habe nichts unternommen, um die bundesweit in Apotheken vorrätigen Produkte mit den untersagten Werbeaussagen zurückzuerhalten, damit eine weitere Verbreitung der von ihr zu unterlassenden Werbeaussagen unterbunden wird. Die Schuldnerin habe ohne weiteres die Möglichkeit, den Handel über das gegen sie ergangenen Unterlassungsurteil zu unterrichten und auf eine Rückgabe der betroffenen Packungen zu drängen.
Auch eine Überprüfung der Produktbewerbung der großen Versandhandelsapotheken ergäbe, dass die Schuldnerin keinerlei geeignete Maßnahmen ergriffen habe, die unzulässige Bewerbung abzustellen.
Entgegenstehender Vortrag der Schuldnerin sei unsubstantiiert und daher unbeachtlich.
Die Schuldnerin wehrte sich und trug vor, sie habe sehr wohl den Handel und Großhandel informiert, dass die Ware nicht weiterverkauft werden dürfe.
Die Kammer überzeugte der Vortrag der Schuldnerin nicht und verurteilte diese sogar zu 200.000 Euro Ordnungsgeld (LG Hagen - 21 O 123/18 - Beschl. v. 27.09.2023). Der gebotene Rückruf der Ware sei in unzureichender Form durchgeführt worden.
Das Gericht hielt fest, dass es zwar nicht feststellbar sei, ob die Schuldnerin das Produkt mit der beanstandeten Werbung noch weiter verkauft habe. Jedoch sei der unterlassene Rückruf genau so zu behandeln.
Dieses kann dahinstehen, da ein unzureichender Rückruf qualitativ einem unveränderten Inverkehrbringen gleichsteht. Denn das Verbot, für ein Arzneimittel zu werben, erschöpft sich nicht nur im Nichtstun, sondern auch in der Vornahme von Handlungen zur Beseitigung eines zuvor geschaffenen Störungszustandes. So hat ein Schuldner, dem gerichtlich untersagt worden ist, ein Produkt mit einer bestimmten Aufmachung zu vertreiben oder für ein Produkt mit bestimmten Angaben zu werben, grundsätzlich durch einen Rückruf des Produktes dafür zu sorgen, dass bereits ausgelieferte Produkte von seinen Abnehmern nicht weiter vertrieben werden (OLG Hamburg, Beschl. v. 30.01.2017 - 3 W 3/17 = BeckRS 2017, 114631, Rdnr. 13, unter Hinweis auf BGH, Beschl. v. 29.09.2016 - I ZB 34/15 = GRUR 2017, 208, Rdnr. 30).
Die Schuldnerin hatte vorgetragen, sie sei nur innerhalb der bestehenden Lieferkette zum Rückruf verpflichtet gewesen. Richtig ist dazu, dass nach der Rechtsprechung des BGH ein Schuldner nicht für das Handeln von selbständigen Dritten haften muss.
Er darf aber dem Treiben dort nicht einfach zusehen. Die Verhinderungspflichten gehen deutlich weiter. Die Kammer zu den Pflichten des Schuldners im Beschluss:
Er ist jedoch im Rahmen seiner Pflicht zur Verhinderung weiterer Verletzungen gehalten, auf Dritte, deren Handeln ihm wirtschaftlich zugutekommt, im Rahmen des Möglichen, Erforderlichen und Zumutbaren einzuwirken, wenn er mit - ggf. weiteren - Verstößen durch diese Dritten ernstlich rechnen muss und zudem rechtliche oder auch nur tatsächliche Einwirkungsmöglichkeiten auf das Verhalten der Dritten hat. Diesem Haftungsmodell liegt die Wertung zugrunde, dass ein Schuldner, der sich zur Erweiterung seiner Handlungsmöglichkeiten der Hilfe Dritter bedient, für das hierdurch gesteigerte Risiko von Störungen einstehen muss. Dies gilt etwa in der Vertriebskette. Wer rechtsverletzend gekennzeichnete oder aufgemachte Produkte an Weiterverkäufer vertrieben hat, hat zur Erfüllung seiner Unterlassungspflicht diese Produkte regelmäßig zurückzurufen, um einer Fortsetzung des Störungszustands in Form des weiteren Vertriebs vorzubeugen (BGH NJW 2019, 56, Rdnr. 18).
Zwar hatte die Schuldnerin zu ihren Informationen vorgetragen. Das war den Richtern aber nicht präzise genug. Aus Sicht des Gerichts fehlten konkrete Angaben, zu welchem Zeitpunkt eine entsprechende Information erfolgt sein sollte. Auch dazu, wie eine Überwachung der Versandhandelsapotheken stattgefunden haben sollte, war nach dem Beschlussinhalt nichts vorgetragen worden.
Das hohe Ordnungsgeld begründete das Gericht damit, dass in den Sommermonaten ein Umsatz von € 500.000,00 je Monat mit dem streitgegenständlichen Produkt erzielt werden könne. Dies habe der Gläubiger vorgetragen und es sei von der Schuldnerin nicht ausreichend bestritten worden.
Wer wegen einer unzulässigen Werbung verurteilt wird, den trifft nicht nur die Pflicht, die Werbung in Zukunft zu unterlassen. Er muss vielmehr dafür sorgen, dass z. B. auch Produkte oder Werbemittel mit der beanstandeten Werbung nicht weiter im Verkehr auftauchen. Das ist nicht uferlos, aber viel weitreichender, als mancher denkt. Sorgen Sie für klare Worte gegenüber denjenigen, die Werbemittel und Ware erhalten haben. Leider müssen Sie auch mit klaren Konsequenzen drohen. Es darf kein augenzwinkerndes Missverständnis geben über die weitere Nutzung bzw. den Verkauf. Dokumentieren Sie jede Aufforderung nach Inhalt und Zeitpunkt. Lassen Sie sich den Eingang bestätigen. Wenn die Empfänger sich nicht regen, wiederholen Sie Ihre Aufforderung. Grundsätzlich müssen Sie eventuell sogar klagen oder etwa angedrohte Liefersperren auch durchführen. Natürlich werden Kunden dann Kompensation verlangen. Entwickeln Sie ein funktionierendes Modell. Sorgen Sie auch dafür, dass ihre Eigenwerbung nicht mehr in den großen Suchmaschinen erscheint. Fordern Sie neue Indexierungen Ihrer Seiten im Internet an, wo das möglich ist. Auch Metatags und Ähnliches müssen bereinigt werden. Intern bei den Mitarbeitern muss eine dokumentierte Anweisung erfolgen, die auch arbeitsrechtliche Konsequenzen bei Verstoß androht. Sie müssen alles Erforderliche und Zumutbare tun. Nur dann fehlt es bei einer Fortsetzung der Werbung bei Abnehmern oder im eigenen Umfeld an einem Verschulden.
Damit nicht genug: Richten Sie für alle Maßnahmen ein System der Nachverfolgung und Kontrolle ein und dokumentieren Sie auch hier jede ihrer Bemühungen! Einmalige Aktionen, seien sie auch noch so klar, reichen nicht aus.
Die Entscheidung des Landgerichts Hagen zeigt, dass mit Unterlassungsgeboten nicht zu spaßen ist. Nicht immer wird es derart hohe Ordnungsgelder geben. Das kommt auf den Einzelfall an. Dennoch können auch Ordnungsgelder schmerzhaft hoch ausfallen.
Bild: Wesley Tingey (Unsplash, Unsplash Lizenz)
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