14.06.2016 — Udo Cremer. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Die Kläger betrieben einen Gewerbebetrieb. Wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten wurde am … November 2011 das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet. Das FA meldete Steuerforderungen von 42.710,76 € (Kläger) und 1.741,31 € (Klägerin) an. Das Verfahren wurde am 12.9.2012 bzw. am 11.12.2012 aufgehoben. Während des dritten Jahres der Wohlverhaltensphase wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 22.8.2014 bzw. die Klägerin mit Schreiben vom 17.9.2014 an das FA und beantragten einen Steuererlass. Der Kläger erhalte eine Altersrente von nur 1.166,38 € und die Klägerin von 192,96 €. Der Insolvenzantrag belaste die Kläger wirtschaftlich und gesundheitlich schwer. Um das Verfahren zu beenden, hätten sich die Kinder der Kläger bereitgefunden, einen Betrag von 40.000 € den Gläubigern zur Verfügung zu stellen, der entsprechend der Konkursquote auf die Gläubiger aufgeteilt werden könne. Nach Zahlung der auf das FA entfallenden Beträge von 5.880 € (14,7 %) bzw. von 233,78 € (3,6 %) müsse das FA als Gegenleistung erklären, dass sich die Steuerforderungen damit erledigt hätten. Das FA nahm das Angebot an und erklärte am 22.9.2014 bzw. 29.9.2014 den Erlass der restlichen Steuerschulden.
Nachdem das FA aufgrund einer Grunderwerbsteuermitteilung über den Kauf eines Hauses in der Wohlverhaltensphase erfahren hatte, dass die Kläger im Juli 2014 einen Lottogewinn über 1.010.057 € erhalten hatten, nahm es den gewährten Erlass am 15.12.2014 nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO zurück. Mit Beschlüssen vom 23.2.2015 bzw. 16.3.2015 erteilte das Amtsgericht den Klägern vorzeitig die Restschuldbefreiung. Im Einspruchsverfahren machten die Kläger geltend, dass sie dem Insolvenzverwalter von dem Lottogewinn Mitteilung gemacht hätten, dieser aber darauf hingewiesen hätte, dass der Lottogewinn aus Juli 2014 nicht in die Insolvenzmasse des 2011 eröffneten Insolvenzverfahrens gehöre. Die Kläger seien nicht verpflichtet gewesen, bei dem freiwilligen Angebot den Lottogewinn zu erwähnen.
Das FG wies die Klage ab. Der Erlass wegen persönlicher Unbilligkeit sei durch unrichtige Angaben zur wirtschaftlichen Situation der Kläger i.S. des § 130 AO erschlichen worden. Unter anderem sei angegeben worden, die Kinder hätten den freiwillig bereitgestellten Betrag angeboten "aus Sorge um den Gesundheitszustand der Eltern", obwohl diese mit einem Schlage die Insolvenzforderungen hätten begleichen können. Der Einwand der Kläger, dass der Lottogewinn nicht in die Insolvenzmasse falle, sei zwar zutreffend, für die Frage der Rechtmäßigkeit der Erlassgewährung jedoch unerheblich. Denn für den Billigkeitserlass des FA sei auch die Realisierungsmöglichkeit der Restschuld maßgebend gewesen. Bei Kenntnis des Lottogewinns hätte das FA zumindest die aus dem Lottogewinn resultierenden Erträge beanspruchen können. Daher hätten die Kläger auch die Rechtspflicht gehabt, den Lottogewinn im Erlassverfahren anzugeben.
Die Revision ist nicht wegen Verfahrensfehlern zuzulassen (BFH Beschluss vom 9.3.2016, V B 82/15). Verfahrensmängel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO sind Verstöße gegen das Gerichtsverfahrensrecht, die das FG bei der Handhabung seines Verfahrens begeht und die zur Folge haben, dass eine ordnungsgemäße Grundlage für die Entscheidung im Urteil fehlt. So kann ein Verfahrensfehler dann vorliegen, wenn das FG gegen den Grundsatz der Gewährung des rechtlichen Gehörs verstößt, weil es sich mit dem Kern des Vorbringens eines Beteiligten nicht auseinandersetzt. Kein Verfahrensfehler, sondern allenfalls ein materiell-rechtlicher Fehler, der nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 FGO zur Revisionszulassung führt, ist hingegen dann gegeben, wenn das Gericht dem Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs genügt hat, weil es die Ausführungen der Beteiligten bei der Urteilsfindung in Erwägung zieht und sich mit dem entscheidungserheblichen Kern der Klagebegründung auseinandersetzt. Ob das Gericht dann bei seiner Auseinandersetzung mit dem Klägervorbringen zu dem vom Kläger gewünschten Ergebnis kommt, stellt eine Frage der richtigen Rechtsanwendung und nicht eines Verfahrensfehlers dar.
So liegt es im Streitfall. Das FG hat das wesentliche Vorbringen des Klägers, wonach der erhebliche Lottogewinn nicht zum Insolvenzvermögen nach § 35 InsO gehört, weil er weder im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch im Zeitraum bis zum Abschluss als Neuvermögen angefallen ist, und er deshalb nicht verpflichtet sei, dem FA hiervon Mitteilung zu machen, im Tatbestand ausführlich wiedergegeben und sich in seinen Gründen damit auseinandergesetzt. Es hat ausgeführt, dass dieser Umstand zwar nicht bei der Feststellung des Insolvenzvermögens, wohl aber bei der Frage der Gewährung eines Billigkeitserlasses für den Erlass der restlichen Steuerschulden zu berücksichtigen sei. Die Kläger haben somit nicht schlüssig einen Verfahrensfehler in Form der Verletzung des rechtlichen Gehörs dargelegt.
Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, da die Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht hinreichend dargelegt haben. Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache verlangt substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten, abstrakt beantwortbaren Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich klärungsfähig ist, deren Beurteilung zweifelhaft oder umstritten ist und das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Kläger haben bereits keine abstrakte Rechtsfrage dargelegt, sondern eine Sachverhaltsschilderung, verbunden mit einer Rechtsansicht, vorgetragen, wenn sie zur Bezeichnung der zu klärenden Rechtsfrage ausführen: "Die Finanzverwaltung muss bei der Frage der Rücknahme eines gewährten Erlasses in der Wohlverhaltensperiode der Privatinsolvenz und bei Zufluss von finanziellen Mitteln, die nicht zur Masse gezogen werden können, und ein Zahlungsangebot in Aussicht gestellt wird, eine Überprüfung dahingehend vornehmen, ob der kurzfristige Mittelzufluss höher oder niedriger ist, als die zu erwartenden Einnahmen durch Pfändungen über den Treuhänder bis zum Ende der Privatinsolvenz".
Im Übrigen bedarf es keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, dass das FA bei der Gewährung eines Billigkeitserlasses aus persönlichen Gründen nicht auf bestimmte Erwägungen beschränkt ist, sondern allgemein berücksichtigen kann, dass es nicht der Billigkeit entspricht, Steuerschulden zu erlassen, wenn ein Steuerschuldner sich nicht (wie nach § 227 AO vorausgesetzt) in einer wirtschaftlichen Notlage befindet, sondern aufgrund eines beträchtlichen Lottogewinns die Steuerschulden in einem Schlage hätte tilgen können und dass ein bereits gewährter Erlass nach § 130 AO zurückgenommen werden kann, wenn im Erlassantrag der Lottogewinn verheimlicht und wahrheitswidrig auf eine angeblich wegen der Steuerschulden bestehende schwere Gesundheitsgefährdung hingewiesen wurde.
Es erscheint auch insolvenzrechtlich nicht ausgeschlossen, dass eine Restschuldbefreiung, mit der nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes dem Schuldner ein lebenslänglicher "Schuldturm" erspart werden sollte, dann nicht mehr erforderlich ist und mit den Grundsätzen der Billigkeit nicht mehr zu vereinbaren ist, wenn dies wegen der durch überraschende Umstände völlig geänderten Vermögensverhältnisse nicht mehr erforderlich erscheint. Der mit der Erteilung der Restschuldbefreiung verbundene Eingriff in die Gläubigerrechte ist dann durch sachliche Gründe nicht mehr zu rechtfertigen. Auch in § 295 InsO ist geregelt, dass ein (wie beim Lottogewinn) nicht erwirtschafteter Erbschaftanfall während der Wohlverhaltensphase wegen des Risikos der Ausschlagung immerhin zur Hälfte an die Gläubiger auszukehren ist. Denn (so die amtliche Begründung) "in diesem Falle wäre es unbillig, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu gewähren, ohne dass er dieses Vermögen antasten muss". Da bereits keine Gründe für die Zulassung der Revision schlüssig vorgetragen sind, kann dahinstehen, ob der Beschwerde wegen des Erlasswiderrufes der restlichen Steuerschulden bereits das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn feststeht, dass eine Restschuldbefreiung erteilt ist und auch ein Widerruf der Befreiung (§ 303 InsO) ausgeschlossen ist.Der Autor:
Udo Cremer ist geprüfter Bilanzbuchhalter (IHK) und hat die Steuerberaterprüfung mit Erfolg abgelegt. Er ist als Dozent für Steuer- und Wirtschaftsrecht tätig und veröffentlicht seit mehreren Jahren praxisorientierte Fachbücher zu den Themen Buchführung, Kostenrechnung, Preiskalkulation, Kennzahlen, Jahresabschluss und Steuerrecht. Daneben wirkt er als Autor an zahlreichen Fachzeitschriften und Loseblattsammlungen im Bereich der Buchhaltung und des Steuerrechts mit.
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