25.01.2017 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung e.V. (DIW Berlin).
Die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte in Deutschland sind von 1991 bis 2014 real, also unter Berücksichtigung der Preisentwicklung, um zwölf Prozent gestiegen. Das war jedoch deutlich weniger als der Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts in diesem Zeitraum, das real um 22 Prozent zulegte. Gleichzeitig hat die Einkommensungleichheit zugenommen: Während die mittleren verfügbaren Einkommen um mehr als acht Prozent stiegen und die höchsten Einkommen sogar um knapp 27 Prozent, mussten die zehn Prozent der Haushalte mit den geringsten Einkommen nach Abzug der Inflation sogar Verluste hinnehmen. Insgesamt blieben die unteren 40 Prozent der Einkommensskala deutlich hinter den Einkommenszuwächsen der oberen 60 Prozent zurück. Das sind zentrale Ergebnisse einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) auf Basis von Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP), für die die DIW-Verteilungsforscher Markus Grabka und Jan Goebel frühere Studien um die aktuellsten verfügbaren Zahlen für das Jahr 2014 ergänzt haben. Dabei ergaben sich auch erste Anzeichen für eine wieder steigende Einkommensungleichheit. Diese war zunächst zwischen 1991 und 2005 gestiegen und stagnierte in den Jahren 2005 bis 2013 auf diesem Niveau. Auch das Armutsrisiko nimmt der Untersuchung zufolge wieder zu, wenngleich der Anstieg zumindest im Vorjahresvergleich zwischen 2013 und 2014 nicht im statistischen Sinne signifikant ist.
Bestimmend für diese Entwicklungen ist nach Ansicht der Autoren der Arbeitsmarkt: Niedriglohnsektor und atypische Beschäftigungsverhältnisse haben über die vergangenen 20 Jahre an Bedeutung gewonnen. „Eine Erwerbstätigkeit schützt zwar nach wie vor am effektivsten gegen Einkommensarmut, allerdings sind auch immer mehr erwerbstätige Personen armutsgefährdet“, so Grabka. Dem entgegenwirken könne eine Eindämmung des Niedriglohnsektors, etwa indem die Privilegierung von Minijobs mit Blick auf Steuern und Sozialabgaben aufgegeben wird. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf müsse weiter verbessert werden. Zudem sollten Alleinerziehende nicht länger steuerlich – insbesondere gegenüber kinderlosen Paarhaushalten – benachteiligt werden. Dies könnte auch das Armutsrisiko von Kindern reduzieren.
Die Ungleichheit der verfügbaren Einkommen – also die Erwerbs- und Kapitaleinkommen, gesetzliche Renten und Pensionen sowie staatliche Transfers wie Kindergeld und Arbeitslosengeld, abzüglich Steuern und Sozialabgaben – nimmt tendenziell wieder zu. Nachdem sie gemessen am Gini-Koeffizienten von 1991 bis 2005 von 0,25 auf 0,29 gestiegen und von 2005 bis 2009 leicht auf 0,28 gesunken war, hat die Ungleichheit 2014 wieder den Stand von 2005 (0,29) erreicht. Je höher der Wert zwischen Null und Eins liegt, desto ungleicher sind die verfügbaren Einkommen verteilt. Dass die Ungleichheit statistisch signifikant steigt, zeigt ein alternativer Indikator, das sogenannte 90:10-Perzentilverhältnis: Dieses setzt das Einkommen der ärmsten Person aus der obersten Einkommensgruppe (zehntes Dezil) ins Verhältnis zum Einkommen der reichsten Person aus der untersten Einkommensgruppe (erstes Dezil). Verfügte die reichere Person in den 1990er Jahren noch über das dreifache Einkommen der ärmeren Person, lag das Verhältnis 2005 bereits bei 3,5. Seit 2011 ist die Lücke abermals gewachsen – bis auf 3,65 im Jahr 2014.
Unterdessen sind auch mehr Menschen von Armut bedroht. Dazu zählen Personen in Haushalten, die weniger als 60 Prozent des mittleren Haushaltsnettoeinkommens der Gesamtbevölkerung zur Verfügung haben. Im Jahr 2014 traf dies den SOEP-Daten zufolge auf 12,7 Millionen Menschen in Deutschland zu – knapp 16 Prozent der Bevölkerung. Besonders betroffen sind Kinder und Jugendliche: 20 Prozent von ihnen sind von Armut bedroht. Ein Vergleich verschiedener Alterskohorten (jeweils zehn Geburtsjahrgänge) seit 1930 zeigt, dass die Armutsrisikoquote umso höher ist, je jünger die Geburtsjahrgänge sind.
Am stärksten ist der Anteil der durch Armut Gefährdeten in der Gruppe der 25- bis unter 35-Jährigen gestiegen: in den Jahren 1994 bis 2014 um fast neun Prozentpunkte bis auf knapp 21 Prozent. Zwar muss man berücksichtigen, dass sich das Bildungsverhalten mit der Zeit verändert hat und immer mehr junge Menschen in dieser Altersgruppe studieren. Allerdings sind auch jene Personen in diesem Alter, die ein Erwerbseinkommen beziehen, zu einem um sieben Prozentpunkte höheren Anteil von Einkommensarmut betroffen als 20 Jahre zuvor.
Auffallend ist auch der Anstieg des Armutsrisikos von Menschen im Rentenalter in Ostdeutschland. Von 2002 bis 2014 hat es sich von sieben auf 15 Prozent mehr als verdoppelt und ist nun höher als in Westdeutschland, wo das Armutsrisiko im selben Zeitraum zwischen zwölf und 14 Prozent schwankte. Dass das Armutsrisiko in den neuen Bundesländern mittlerweile höher ist, war zu erwarten und rührt in erster Linie daher, dass in den vergangenen Jahren vermehrt Personen in den Ruhestand eingetreten sind, die aufgrund längerer Phasen von Arbeitslosigkeit nach der Wiedervereinigung geringere Altersbezüge erhalten als frühere Rentnerinnen und Rentner. Hinzu kommt, dass die betriebliche oder private Altersvorsorge in Ostdeutschland eine eher geringe Rolle spielt.
Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) ist die größte und am längsten laufende multidisziplinäre Langzeitstudie in Deutschland. Das SOEP im DIW Berlin ist Teil der Forschungsinfrastruktur in Deutschland und wird unter dem Dach der Leibniz-Gemeinschaft (WGL) vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und den Ländern gefördert. Für das SOEP werden seit 1984 jedes Jahr vom Umfrageinstitut Kantar Public mehrere tausend Menschen befragt. Zurzeit sind es etwa 30.000 Befragte in etwa 15.000 Haushalten. Die Daten des SOEP geben unter anderem Auskunft über Persönlichkeitsmerkmale, Bildung, Gesundheit, Einkommen, Erwerbstätigkeit und Lebenszufriedenheit. Weil jedes Jahr dieselben Personen befragt werden, können nicht nur langfristige gesellschaftliche Trends, sondern auch die gruppenspezifische Entwicklung von Lebensläufen besonders gut analysiert werden.
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