14.07.2015 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Taylor Wessing Deutschland.
Praktikanten werden in den meisten Unternehmen beschäftigt, sei es aufgrund eines Pflichtpraktikums, der einschlägigen Studien- oder Ausbildungsordnung oder in Form eines freiwilligen Praktikums. Ziel eines Praktikums – so das BAG – sei der Erwerb praktischer Kenntnisse. Gerade die Vergütung der Praktikanten ist dabei immer wieder ein heikles Thema, insbesondere, wenn der Praktikant eher einem Arbeitnehmer gleich beschäftigt wird, die Arbeitsleistung im Vordergrund steht und das Praktikum tatsächlich weniger dem Erwerb praktischer Kenntnisse dient. So dürfte mittlerweile den meisten Arbeitgebern bekannt sein, dass Praktikanten bis auf bestimmte Ausnahmen einen Anspruch auf Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz (MiLoG) haben. Nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 MiLoG besteht nur dann kein Anspruch auf Vergütung, wenn der Praktikant ein Pflichtpraktikum im Rahmen von Schule, Ausbildung oder Beruf absolviert. Die vorliegende Entscheidung des BAG zeigt die Grenzen eines solchen unbezahlten Pflichtpraktikums.
Die Klägerin absolvierte im Rahmen ihrer dreijährigen Ausbildung zur Kinder- und Jugendpsychotherapeutin die praktische Ausbildung in Form eines einjährigen unentgeltlichen Praktikums bei der Beklagten. Die Klägerin wurde an vier Tagen pro Woche jeweils zumindest von 9:00 Uhr bis 17:30 Uhr auf der Station für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie eingesetzt. Nach einer kurzen Einarbeitungszeit erledigte die Klägerin regelmäßig Testungen und therapeutische Tätigkeiten eigenständig und in wirtschaftlich verwertbarer Art und Weise. In den letzten 8 Monaten führte die Klägerin zudem bei jeweils zumindest einem ihr fest zugewiesenen Patienten stetig Einzeltherapiestunden selbstständig und ohne Aufsicht oder individuelle Nachbesprechung durch. Zudem vertrat sie fest angestellte Therapeutinnen in mehreren Fällen. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit sei eine übliche Arbeitnehmertätigkeit gewesen und entsprechend zu vergüten. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat der Klage stattgegeben, die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg.
Das BAG stellte klar dass eine übliche Vergütung nach § 612 Abs. 1 BGB selbst dann beansprucht werden kann, wenn ein Beschäftigter im Rahmen eines Praktikantenvertrages auf Weisung des Arbeitgebers über einen längeren Zeitraum hin Leistungen erbringt, die nicht vorrangig der Aus- und Fortbildung dienen, sondern ganz überwiegend im betrieblichen Interesse liegen. Diese Vorschrift sei Ausdruck des althergebrachten Satzes, dass "jede Arbeit ihres Lohnes wert ist".
Wird ein unentgeltliches Praktikum vereinbart, kann gleichwohl in entsprechender Anwendung des § 612 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Vergütung bestehen. Dies gilt auch dann, wenn – wie im vorliegenden Fall durch § 7 des Psychotherapeutengesetzes (PsychThG) – die Anwendung des Berufsbildungsgesetzes und damit der Anspruch auf angemessene Vergütung nach § 26 i.V.m. § 17 Abs. 1 S. 1 BBiG ausgeschlossen ist. § 612 Abs. 1 BGB kommt nach ständiger Rechtsprechung etwa dann zur Anwendung, wenn ohne Vergütungsregelung über den Rahmen eines Arbeitsvertrags hinaus faktisch höherwertige Dienste auf Veranlassung des Arbeitgebers oder mit seiner Billigung geleistet werden. Eine Vergütung sei nach dem BAG ferner auch zu zahlen, wenn über den Rahmen des Praktikums hinaus Leistungen erbracht werden, die von der in der Ausbildungsordnung vorgeschriebenen Art und Weise erheblich abweichen und die nur gegen Zahlung der üblichen Vergütung zu erwarten sind.
Das BAG stellte zwar klar, dass eine Tätigkeit, die über die vertraglich geschuldete hinausgeht, grundsätzlich auch unentgeltlich erbracht werden könne, wenn sie z.B. nur probe- oder vertretungsweise zugewiesen wird und auch der Ausbildungsaufwand Berücksichtigung finden müsse. Ob und wie lange danach die Dienstleistungen ohne das ihnen entsprechende Entgelt zu erbringen sind, hinge dabei von den Umständen des Einzelfalls ab. Diese Vorgaben waren im vorliegenden Falle aber deutlich überschritten.
Im hier zu entscheidenden Fall hat die Klägerin regelmäßig im Umfang von mindestens zwei Arbeitstagen in der Woche Tätigkeiten (testdiagnostische Arbeiten und Einzeltherapiesitzungen) ausgeführt, die eine Praktikantin im Rahmen des § 2 Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (KJPsychTh-APrV) ohne Aufsicht, ohne Kontrolle und ohne gemeinsame nachfolgende Analyse nicht verrichten müsste. Dies war nach Auffassung der Richter mit einer Praktikumstätigkeit nicht mehr zu vereinbaren und löst daher in entsprechender Anwendung von § 612 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Zahlung der üblichen Vergütung aus.
Soweit die Beklagte sich im Revisionsverfahren auf die Wertung der Ausnahmeregelung des § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 MiLoG berufen hat, griff dieser Einwand nicht. Voraussetzung für die Anwendbarkeit dieser Ausnahme sei, dass das Praktikum "auf Grund" einer Ausbildungsordnung geleistet wird. Daran fehlt es, wenn die Durchführung des Praktikums von der in der Ausbildungsordnung vorgeschriebenen Art und Weise erheblich abweicht.
Da die Beklagte die Klägerin wöchentlich an zwei Arbeitstagen wie eine Psychotherapeutin eingesetzt hat, war die Annahme des LAG, die Klägerin habe für die Monate Juni 2009 bis Januar 2010 in entsprechender Anwendung von § 612 Abs. 1 BGB Anspruch auf Vergütung iHv. jeweils 1.000,00 Euro brutto, nach Auffassung des BAG nicht zu beanstanden.
Die vorliegende Entscheidung zeigt, dass auch wenn durch das MiLoG Pflichtpraktika unter den dort beschriebenen Voraussetzungen nicht vergütet werden müssen, den Arbeitgebern hierdurch keine Absolution erteilt wurde: Es ist empfehlenswert, bei unbezahlten Pflichtpraktika im Einzelfall zu prüfen, ob über den Rahmen des Praktikums hinaus Leistungen erbracht werden, die von der in der Ausbildungsordnung vorgeschriebenen Art und Weise erheblich abweichen und die nur gegen Zahlung der üblichen Vergütung zu erwarten sind. Ist dies der Fall ist, muss hierfür die übliche angemessene Vergütung gezahlt werden.
Arbeitgeber sind daher gut beraten, bereits im Vorfeld im Einzelfall die jeweiligen beabsichtigten Tätigkeiten der Praktikanten mit den geforderten Ausbildungsleistungen der maßgeblichen Ausbildungsordnung abzugleichen und darauf zu achten, diese Praktikanten nicht wie vollwertige Arbeitnehmer im Betrieb einzusetzen. Für sonstige unbezahlte Praktika abseits der Pflichtpraktika für Schule, Ausbildung oder Beruf gelten die Grundsätze der Rechtsprechung im Übrigen auch. Steht die Arbeitsleistung im Mittelpunkt ist nicht die Bezeichnung als „Praktikantenvertrag“ entscheidend, sondern die tatsächliche Durchführung. Ist der Praktikant de facto als Arbeitnehmer tätig, hat er dieselben Rechte wie ein solcher.
Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 10.02.2015 – 9 AZR 289/13
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