18.11.2022 — Samira Sieverdingbeck. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Die Fülle an Informationen im Internet ist nahezu unbegrenzt. Kleidung, Möbel, Videos und Bilder, Online-Kurse und Musik – es gibt fast nichts, was es nicht gibt. Doch besonders wenn es um Wissen geht, ist es nicht immer einfach zu erkennen was wahr ist und was nicht. Während wir früher davor gewarnt wurden, Wikipedia nicht als Quelle für Referate oder Hausarbeiten zu benutzen, haben wir es heute mit Photoshop und Deepfake zu tun. Bei gut retuschierten Fotos oder Videos ist es für Laien fast unmöglich sie zu entlarven.
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Hier kommt Open Source Intelligence (OSINT) ins Spiel. Die Technik wurde ursprünglich von Geheimdiensten und Militärs eingesetzt. Ihr Name bezieht sich auf die Quellen der Informationsbeschaffung, denn diese sind alle öffentlich zugänglich. Zusammengetragen werden zum Beispiel Informationen über Personen, Orte oder Unternehmen. Besonders Social Media ist durch Locations, Beiträge, Kommentare und Likes extrem informativ. Doch auch Wetterberichte, Satellitenbilder und ältere Aufnahmen kommen zum Einsatz.
Mittlerweile gibt es verschiedene Apps und Programme, die zum Beispiel als dezidierte Suchmaschine fungieren oder die darauf spezialisiert sind Metadaten aus öffentlichen Dokumenten zu erfassen. Das genaue Vorgehen ist jedoch hoch individuell.
Ältere Ereignisse lassen sich mit Hilfe von OSINT jedoch nicht nachvollziehen, denn ohne Smartphones teilte niemand seine oder ihre Erlebnisse – es wurden keine verwertbaren Daten generiert. Auch Dienste wie Google Street View gibt es erst seit 2007, in Deutschland sogar erst seit 2010.
Besonders in den letzten Wochen und Monaten hat OSINT durch den russischen Angriffskrieg zweifelhafte Aufmerksamkeit erlangt. Zahlreiche Bilder und Videos treiben durch das Internet und die Medien. Die Widersprüchlichkeit und schon die schiere Menge der Meldungen machen es schwer zu unterscheiden, was wahr ist und was nicht.
Medienhäuser wie das Zweite Deutsche Fernsehen, aber auch Organisationen wie Bellingcat oder Forensic Architecture haben sich der Aufklärung dieses Wirrwarrs verschrieben und überprüfen unablässig Meldungen. Social Media Posts, Satellitenbilder, alles was frei zugänglich ist fließt in ihre Recherche mit ein.
Auch Privatpersonen arbeiten mit Open Source Intelligence. So wünschte sich der Schweizer Benjamin Pittet eine differenziertere Berichterstattung über den andauernden Krieg in der Ukraine und ging kurzerhand dazu über selbst zu recherchieren. Auf Twitter und in einem Interview mit der Neuen Züricher Zeitung berichtet der 22-Jährige von seinen OSINT-Nachforschungen.
OSINT wurde jedoch schon weit vor der Invasion russischer Truppen in die Ukraine verwendet. Die Organisation Forensic Architecture existiert bereits seit 2010, Bellingcat seit 2014. Letztere trug unter anderem maßgeblich zu Ermittlungen um den Anschlag auf Alexej Nawalny bei, indem sie wichtige Informationen im Dark Net erwarb. Immer wieder helfen die Organisationen mit ihren professionellen, interdisziplinär aufgestellten Teams unter der Verwendung öffentlich zugänglicher Daten bei der Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen oder Verstößen gegen den Umweltschutz.
Kriegsverbrechen sind meist aufgrund der außerordentlichen und unübersichtlichen Situation, der erschwerten Schuldzuweisung zwischen Befehlsgebenden und -ausführenden sowie fehlender oder unzureichender Beweislast besonders schwer nachzuweisen. Die Open-Source-Informationen können in Prozessen zwar vereinzelt helfen, jedoch müssen sie, um vor Gericht Gültigkeit zu haben, detailliert dokumentiert sein.
Alle verfügbaren Informationen müssen in Form eines kryptographischen Hashs gespeichert werden. Dabei werden zum Beispiel Bilder, aber auch Kommentare oder Likes sicher und nachvollziehbar gespeichert. Es entsteht eine Art Echtzeitzertifikat.
Die Meinungen über die tatsächliche Relevanz von OSINT bei der Aufklärung von Kriegsverbrechen sind geteilt. Einige gehen davon aus, dass die ermittelten Informationen zum Beispiel eine entscheidende Rolle spielen werden. Anderen fehlt die Relevanz der Daten, auch weil Netzwerke, die mit OSINT arbeiten, keinerlei Verpflichtung haben in alle Richtungen zu ermitteln. So können gefundene Informationen zwar interessant, aber zugleich einseitig sein.
Letztendlich ist die Ukraine selbst für die Verurteilung des Großteils der Kriegsverbrechen zuständig. Zwar ist das Land nach wie vor im Ausnahmezustand, jedoch sind die ersten Verfahren bereits Ende Mai angestoßen worden. Die Rolle von Open-Source-Informationen wird sich mit Bestimmtheit erst im Nachhinein feststellen lassen.
Quellen:
Bild: ThisIsEngineering (Pexels, Pexels Lizenz)
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