Online-Weiterbildung
Präsenz-Weiterbildung
Produkte
Themen
Dashöfer

Neue Studie des IMK. Deutsche Arbeitskosten 2021 um 1,2 Prozent gestiegen, in EU weiter auf Position sieben – Keine Anzeichen für Preis-Lohn-Spirale

11.07.2022  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Hans Böckler Stiftung.

Durch Kurzarbeit und staatliche Unterstützungszahlungen ist es gelungen, zahlreiche Unternehmen und mehrere Millionen Arbeitsplätze in den Corona-Jahren 2020 und 2021 zu retten.

Gleichzeitig haben sich die Arbeits- und die Lohnstückkosten der deutschen Privatwirtschaft über die gesamte Krise hinweg absolut stabilitätskompatibel entwickelt, es gibt bislang keine Anzeichen für eine Preis-Lohn-Spirale – trotz der schon im zweiten Halbjahr 2021 deutlich anziehenden Inflation. Im Jahresdurchschnitt 2021 sind die Arbeitskosten in Deutschland lediglich um 1,2 Prozent gestiegen und damit deutlich schwächer als im ersten Corona-Jahr 2020, als der Zuwachs mit 2,2 Prozent bereits recht moderat ausfiel. Trotz der auch im zweiten Krisenjahr verbreiteten Kurzarbeit zur Beschäftigungssicherung, die für Betriebe trotz staatlicher Erstattung einige Rest-(Remanenz-)kosten bedeutet, war der Zuwachs auch etwas niedriger als im Durchschnitt der EU (1,5 Prozent) und nur geringfügig höher als im sehr niedrigen Mittel des Euroraums (1,0 Prozent). Damit rangiert die Bundesrepublik bei den Arbeitskosten für die private Wirtschaft weiterhin im oberen Mittelfeld Westeuropas, 2021 wie im Vorjahr auf Position sieben im EU-Vergleich. Das zeigt eine neue Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.

„Deutschland und Europa sind seit zweieinhalb Jahren mit außergewöhnlich heftigen gesellschaftlichen und außenwirtschaftlichen Schocks konfrontiert. Erst die Pandemie, aktuell der russische Angriffskrieg in der Ukraine – und aus beiden Schocks folgend eine Inflation, wie wir sie seit den 1980er Jahren nicht mehr erlebt haben. Umso bemerkenswerter ist der Befund, den die Analyse der Arbeits- und Lohnstückkosten bringt: Die tiefe Krise hat in den Daten kaum Spuren hinterlassen“, sagt Prof. Dr. Sebastian Dullien, der wissenschaftliche Direktor des IMK. „Im Gegenteil: Die meisten europäischen Länder und insbesondere Deutschland sind bislang binnenwirtschaftlich recht stabil und außenwirtschaftlich hoch wettbewerbsfähig durch die vergangenen Jahre gekommen. Die von manchen beschworene Preis-Lohn-Spirale ist bislang kein Thema. Hier zeigt sich wieder einmal, wie stabilitätsfördernd das deutsche Modell der Sozialpartnerschaft ist – sowohl durch die direkte Mitwirkung der Beschäftigten an strategischen Unternehmensentscheidungen im Rahmen der Mitbestimmung wie auch durch die relativ zentralisierten und gut koordinierten Tarifverhandlungen.“

Stärker von der Pandemie betroffen waren zwar zunächst die Lohnstückkosten, weil krisenbedingt die Arbeitnehmerentgelte etwas stärker gestiegen sind bei gleichzeitig schwacher Produktivitätsentwicklung. Diese Entwicklung war schon während der Wirtschafts- und Finanzkrise zu beobachten und ist ein Zeichen der erfolgreichen Beschäftigungssicherung: Durch die Nutzung der Kurzarbeit werden zwar die Arbeitskosten insgesamt für die Betriebe reduziert, die Arbeitskosten je Stunde steigen jedoch temporär, da aufgrund von Remanenzkosten der Kurzarbeit die Arbeitskosten weniger stark zurückgingen als die geleisteten Arbeitsstunden. Dieser Effekt hat sich mit der relativen Entspannung im zweiten Corona-Jahr jedoch umgekehrt, so dass im Jahresdurchschnitt 2021 die deutschen Lohnstückkosten um lediglich 0,8 Prozent gestiegen sind, nach 3,4 Prozent 2020. Schaut man auf beide Corona-Jahre, lag der jährliche Durchschnitt bei 2,1 Prozent – und damit fast genau auf dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank von 2,0 Prozent. Zudem haben die deutschen Lohnstückkosten selbst mit dem vergleichsweise kräftigen Anstieg 2020 im gesamten Zeitraum von 2000 bis 2021 im Jahresmittel nur um 1,3 Prozent zugenommen – langsamer als im ebenfalls geringen Durchschnitt des Euroraums ohne Deutschland (1,9 Prozent) und weitaus weniger als mit dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank von 2 Prozent vereinbar. Dies sei auch ein Grund, warum wesentliche Teile der deutschen Wirtschaft weiterhin große Reserven hätten, wie man an den hohen Gewinnen vieler Großunternehmen sehe, so Dullien.

Trotz der aktuell hohen Unsicherheit durch den Krieg in der Ukraine mahnt der wissenschaftliche Direktor des IMK zu mehr Gelassenheit: „Stabilitätskonform ist ein gesamtwirtschaftliches Lohnwachstum im Rahmen der Zielinflationsrate der EZB von zwei Prozent plus dem Produktivitätswachstum von im Trend ein Prozent. Bei der Bewertung des Lohnwachstums 2022 und 2023 muss zudem mit einbezogen werden, dass die Lohnkosten 2020 und 2021 langsam gestiegen sind. Selbst wenn wir im Jahr 2022 mit dem Lohnkostenanstieg im Durchschnitt aller Branchen etwas über 3 Prozent lägen, wäre das noch keine echte Preis-Lohn-Spirale, sondern lediglich eine Korrektur der schwachen Vorjahre.“

„Die Entwicklung der Lohnstückkosten in der Corona-Pandemie hat erneut vor Augen geführt, dass der Euroraum als Ganzes und insbesondere Deutschland nichts an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt haben und auch während der Coronakrise von Seiten der Lohnentwicklung keine Gefahr für die internationale Wettbewerbsfähigkeit drohte“, betonen auch Prof. Dr. Alexander Herzog-Stein und Dr. Ulrike Stein, die die neue Studie zusammen mit Friederike Kotthaus geschrieben haben.

Das unterstrichen auch die Außenhandelsüberschüsse des Euroraums und Deutschlands: Die Euroländer insgesamt verzeichneten 2021 einen Leistungsbilanzüberschuss von 3,1 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP). Noch weitaus höher war der Wert für die Bundesrepublik: Trotz des schwierigen wirtschaftlichen Umfelds belief sich der deutsche Leistungsbilanzüberschuss auf 238 Milliarden Euro oder 6,7 Prozent des BIP. Das war zwar ein Prozentpunkt weniger als vor Ausbruch der Pandemie, aber immer noch oberhalb der Grenze von 6 Prozent, welche die EU als problematisch ansieht. Viele internationale Ökonomen und Politiker sind mit Blick auf das seit vielen Jahren immense Plus im deutschen Außenhandel ohnehin noch deutlich kritischer und sehen darin einen Störfaktor für die internationalen Wirtschaftsbeziehungen.

Nach Analyse von Stein, Herzog-Stein und Kotthaus haben solche Debatten nicht an Dringlichkeit verloren. Im Gegenteil: „In dem vor uns liegenden drastisch veränderten Umfeld einer langsam ausklingenden globalen Pandemie und des schrecklichen Ukrainekriegs direkt vor der Haustüre der Eurozone mit temporär hohen Preissteigerungsraten wird es zukünftig darum gehen, sicherzustellen, dass der Euroraum und seine Mitgliedstaaten mehr als in der Vergangenheit von einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung getragen werden, die ihre Stärke wesentlich aus einer dynamischen Binnenentwicklung erhält und so die Herausforderungen der sozial-ökologischen Transformation, die in diesem veränderten Umfeld noch an Dringlichkeit gewonnen hat, erfolgreich meistern können“, schreiben die Forschenden. „Eine Lohnentwicklung, die sicherstellt, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am gesellschaftlichen Wohlstandsfortschritt auch in diesen Zeiten des Wandels ausreichend partizipieren, ist hierfür unerlässlich.“

Dies sicherzustellen könne bei den derzeitigen Inflationsraten aber nicht allein die Lohnpolitik leisten, betont IMK-Direktor Dullien. „Hier wird die Wirtschaftspolitik als Ganzes gefragt sein.“ Etwa mit weiteren direkten Entlastungszahlungen an Haushalte mit niedrigen bis mittleren Einkommen, die unter der Teuerung von Gütern und Dienstleistungen des Grundbedarfs wie Lebensmitteln und Haushaltsenergie besonders stark leiden. „Das nimmt dann auch Druck aus den Tarifverhandlungen und reduziert das Risiko, dass doch noch Preis-Lohn-Spiralen in Gang kommen.“

Detaillierte Ergebnisse der neuen Studie:

Arbeitskosten: Wieder Position sieben in der EU

Zu den Arbeitskosten zählen neben dem Bruttolohn die Arbeitgeberanteile an den Sozialbeiträgen, Aufwendungen für Aus- und Weiterbildung sowie als Arbeitskosten geltende Steuern. Das IMK nutzt für seine Studie die neuesten verfügbaren Zahlen der europäischen Statistikbehörde Eurostat.

Die Arbeitskosten in der deutschen Privatwirtschaft sind 2021 nominal um 1,2 Prozent gestiegen. Das liegt leicht unter dem Durchschnitt der EU (1,5 Prozent) und leicht über dem des Euroraums (1,0 Prozent). Diese im Vergleich moderate Zunahme ist nach Analyse des IMK auch deshalb bemerkenswert, weil die Entwicklung auch davon beeinflusst war, ob die Länder zur Sicherung von Beschäftigung Lohnsubventions- oder Kurzarbeitsprogramme einsetzten, so wie Deutschland. Wegen unterschiedlicher statistischer Erfassung reduziert ersteres die Arbeitskosten temporär, während letzteres sie zeitweilig erhöht.

Mit Arbeitskosten von 37,30 Euro pro Stunde lag Deutschland 2021 an siebter Stelle unter den EU-Ländern hinter Dänemark, Luxemburg, Schweden, Belgien, Frankreich und Österreich (Arbeitskosten zwischen 48,30 und 37,70 Euro; siehe auch Tabelle 1 in der Studie sowie im Anhang). Die Arbeitskosten in den Niederlanden liegen mit 36,90 Euro nahe bei den deutschen. Der Durchschnitt des Euroraums beträgt 32,50 Euro. Italien weist mit 28,50 Euro die höchsten Arbeitskosten in Südeuropa auf, liegt aber nach einem leichten Rückgang im Jahr 2021 etwas unter dem EU-Mittel von 28,70 Euro. In den übrigen südlichen EU-Staaten betragen die Arbeitskosten zwischen 22,40 Euro (Spanien) und 14,70 Euro (Portugal). Die „alten“ EU-Länder Griechenland und Portugal liegen mittlerweile deutlich hinter dem EU-Beitrittsland Slowenien mit 20,80 Euro. In der Tschechischen Republik, der Slowakei, den baltischen Staaten, Polen, Ungarn und Kroatien betragen die Stundenwerte zwischen 15,10 und 10,90 Euro. Schlusslichter sind Rumänien und Bulgarien mit Arbeitskosten von 8,10 bzw. 6,90 Euro pro Stunde, allerdings bei überdurchschnittlichen Zuwächsen von 4,2 und 7,7 Prozent.

Arbeitskosten bei Industrie und Dienstleistungen

Im Verarbeitenden Gewerbe betrugen 2021 die Arbeitskosten in Deutschland 41,90 Euro pro Arbeitsstunde. Im EU-Vergleich rangiert die Bundesrepublik damit auf Position vier (Vorjahr: drei) als Teil einer größeren Gruppe von Industrieländern, die deutlich über dem Euroraum-Durchschnitt von 34,50 Euro liegen. Dazu zählen auch Dänemark mit industriellen Arbeitskosten von 48,50 Euro, Belgien (44,80 Euro), Schweden (43,50 Euro) sowie die Niederlande (41,0 Euro), Österreich (39,90 Euro), Frankreich (39,80 Euro) und Finnland (38,80 Euro). Dabei ist nicht berücksichtigt, dass das Verarbeitende Gewerbe in der Bundesrepublik relativ stark von günstigeren Vorleistungen aus dem Dienstleistungsbereich profitiert, weil der Unterschied zwischen beiden Sektoren deutlich größer ist als in anderen EU-Staaten. 2021 stiegen die industriellen Arbeitskosten in Deutschland um lediglich 0,6 Prozent und damit schwächer als im Durchschnitt der EU (1,1 Prozent) und praktisch im gleichen Tempo wie im Euroraum insgesamt (0,5 Prozent).

Im privaten Dienstleistungssektor lagen die deutschen Arbeitskosten 2021 mit 34,80 Euro an neunter Stelle nach Dänemark, Luxemburg, Schweden, Belgien, Frankreich, Österreich, den Niederlanden und Finnland. In Dänemark lagen die Dienstleistungsarbeitskosten bei 48,60 Euro, der Durchschnitt im Euroraum betrug 31,10 Euro, in der gesamten EU 28,20 Euro. 2021 stiegen die Arbeitskosten im deutschen Dienstleistungssektor um 1,4 Prozent. Damit lag der Zuwachs leicht unter dem Durchschnitt in der EU (1,7 Prozent) und geringfügig über dem im Euroraum (1,3 Prozent).

Lohnstückkostenentwicklung: Langfristig 5,3 Prozentpunkte unter dem Mittel des Euroraums

Auch bei den Lohnstückkosten, die die Arbeitskosten ins Verhältnis zum Produktivitätsfortschritt setzen, weist Deutschland für den Zeitraum von 2000 bis Ende 2021 weiterhin eine moderate Tendenz auf. Trotz einer etwas stärkeren Steigerung in den vergangenen Jahren bis 2020 sind sie seit der Jahrtausendwende, als Deutschland eine fast ausgeglichene Leistungsbilanz aufwies, im Jahresmittel um lediglich 1,3 Prozent gewachsen. Das ist schwächer als in den anderen großen Mitgliedsstaaten des Euroraums und weitaus weniger als mit dem Inflationsziel der EZB vereinbar gewesen wäre. Die langfristige deutsche Lohnstückkostenentwicklung seit der Jahrtausendwende lag Ende 2021 laut IMK immer noch um kumuliert 5,3 Prozentpunkte unter dem Durchschnitt des Euroraums.

Bild: Rawpixel.com (Pexels, Pexels Lizenz)

nach oben
FAQ