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Netflix vs. Demokratie II: Jetzt wird’s persönlich!

16.03.2022  — Matthias Wermke.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Sie kennen es sicher auch: Das einzige, was einem entspannten Abend bei Netflix und Co. allzu häufig im Wege steht, ist die vermaledeite Auswahl eines Films. „Kenn ich schon.“, „Den muss ich mit Person XY sehen.“, „Puh, keine Lust auf Geballer.“, „Wie!? Du magst Elyas M’Barek nicht!?“. Hat man sich dann irgendwann endlich für einen Film entschieden, kann man sich das auserwählte Programm fürs nächste Mal merken, dann es ist schon längst wieder Zeit, ins Bett zu gehen.

Wir shufflen das!

Doch im April 2021 veröffentliche der Streaming-Dienst Netflix endlich sein neuestes, man möchte fast sagen, bahnbrechendes, Feature: den Shuffle-Mode. Per Zufall werden nun also Filme, Serienepisoden oder Dokumentationen wiedergegeben. Jedoch geschieht das nicht wahllos, sondern auf Basis eines Algorithmus, der mithilfe der gesammelten Daten inzwischen z. B. schon sehr genau weiß, dass Filme mit Elyas M’Barek auszulassen sind.

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Wer hätte gedacht, dass der Superlativ an Bequemlichkeit, der vor vielen Jahren bereits auf den Namen „Netflix & Chill“ getauft worden ist, tatsächlich noch steigerungsfähig ist. Ich muss ja nicht einmal mehr die Fernbedienung in die Hand nehmen. Wunderbare neue Welt.

Der Algorithmus als Programmchef

Was der geneigten couch potato nicht nur den Hausfrieden zum Kartoffelpartner, sondern gleichzeitig die eigene Genese zum gut durchpürierten Brei sichert, zaubert Kulturwissenschaftlern und –wissenschaftlerinnen die Sorgenfalten auf die ohnehin schon gezeichnete Stirn. In gewohnter Eilfertigkeit wird da der Adorno aus dem Fairtrade-Rucksack gezogen und sich gefragt, was es mit einer Gesellschaft macht, wenn sie sich zusehends so in die Unmündigkeit begibt. Steht gar die Demokratie auf dem Spiel?

In der Tat passt die Funktionsweise von Netflix, Amazon Prime usw. besorgniserregend gut in das Konzept der Filterblase. Denn im Kern sind sie genauso angelegt wie andere Big Player des Internetgames, wie Facebook oder Amazon. Mit jeder Interaktion auf der Plattform werden Daten zum Nutzer erhoben, die ein immer klareres Bild von ihm entstehen lassen.

Es werden Vorlieben und Abneigungen (Elyas M’Barek) erhoben, wodurch das Angebot der ihm vorgeschlagenen Inhalte immer weiter optimiert wird. Dadurch entsteht eine Art Schutzraum bzw. eine Blase, in der sich nur die Themen befinden, für die er sich interessiert. „Voll super! Wo ist das Problem?“, ruft die couch potato, während sie sich inzwischen in Embryonalstellung kauernd vom Fernseher beglücken lässt.

Öfter mal was Neues

Das Problem, wertes Wurzelgemüse, besteht im Ausbleiben des Fremdheitserlebnisses. Kunst und Kultur dienen nicht ausschließlich der Zerstreuung und der Berieselung, sondern auch der Bildung, der Erweiterung des Horizonts und dem Verständnis des Anderen. Wenn nur noch Dinge rezipiert werden, die ohnehin schon bekannt sind, verschließt man sich dem Neuen und dem Austausch.

Für das Gelingen einer Demokratie ist die Beschäftigung mit einander und die Auseinandersetzung mit dem Fremden jedoch unablässig. Immer wieder sind wir als Gesellschaft gefordert, unser individuelles Verhältnis zu neuen Entwicklungen zu klären. Natürlich darf da zwischendrin auch ein Film mit Adam Sandler oder Episode 20, Staffel 6 von „Fresh Prince of Bel Air“ („Ein Pferd auf dem Sofa“) nicht fehlen, doch sollte sich auch im Unterhaltungsprogramm eine gewisse Offenheit widerspiegeln.

Alle Streams stehen still, wenn mein starker Arm es will!

Natürlich wird eine starke Demokratie auch den Shufflemodus von Netflix und die Empfehlungen bei Amazon Prime überleben, doch sind sie als Teil des tatsächlich zersetzenden Phänomens der Filterblase anzusehen. Es gilt also, die Rolle als mündiger Konsument wahrzunehmen, den Blick zu weiten und beim nächsten Filmabend Elyas M’Barek vielleicht doch noch eine Chance zu geben.

Bild: Pixabay (Pexels, Pexels Lizenz)

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