15.10.2020 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Hans-Böckler-Stiftung.
Und während in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 Männer fast dreimal so häufig wie Frauen in Kurzarbeit waren (damals 6,3 Prozent der männlichen vs. 2,3 Prozent der weiblichen Beschäftigten in Deutschland), war im Juni 2020 die Quote unter beiden Geschlechtern mit jeweils rund 13 Prozent Beschäftigten in Kurzarbeit beinahe gleich hoch. Das liegt wesentlich daran, dass in der Pandemie nicht nur Industriebetriebe stark betroffen sind, sondern auch viele Dienstleistungsbranchen. Im Vergleich zu vorherigen Wirtschaftseinbrüchen ist damit die gesamtwirtschaftliche Quote der Kurzarbeitenden sehr hoch, ebenso wie mit rund 50 Prozent auch der Anteil, um den die Arbeitszeit im Durchschnitt reduziert wurde. Entsprechend groß ist die Bedeutung einer Aufstockung des Kurzarbeitergeldes, um Einkommensverluste zu reduzieren. In Betrieben mit Tarifvertrag und/oder Betriebsrat wird das Kurzarbeitergeld dabei fast doppelt so häufig aufgestockt wie in Betrieben, die nicht über Tarifbindung und/oder Mitbestimmung verfügen. Das sind wesentliche Ergebnisse einer neuen Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler Stiftung.
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Die Autoren Dr. Toralf Pusch und Dr. Hartmut Seifert haben die Erwerbstätigenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung ausgewertet. Dafür wurden in zwei Wellen im April und im Juni jeweils mehr als 6.000 Menschen befragt. Die Befragung bildet die Erwerbspersonen in Deutschland im Hinblick auf die Merkmale Geschlecht, Alter, Bildung und Bundesland repräsentativ ab. Das erlaubt es, Arbeitszeiten und Kurzarbeit auf dem bisherigen Höhepunkt der Corona-Krise detailliert auszuleuchten:
Im Juni gaben 13 Prozent der befragten Beschäftigten an, in Kurzarbeit zu sein. Differenziert man nach Branchen, war Kurzarbeit im Gastgewerbe mit Abstand am stärksten verbreitet Gut 45 Prozent der dort Beschäftigten befanden sich in Kurzarbeit. Es folgten das verarbeitende Gewerbe mit rund 20 Prozent sowie der Verkehrs- und Logistikbereich mit gut 17 Prozent. Unterdurchschnittlich oft wurde Kurzarbeit unter anderem im Gesundheits- und Sozialwesen (5 Prozent), im Baugewerbe (knapp 4 Prozent) und im öffentlichen Dienst (knapp 3 Prozent) genutzt. Die starke Verbreitung in Branchen wie dem Gastgewerbe mit seinen vielen Kleinbetrieben spiegelt sich nach Analyse der Wissenschaftler in der Kurzarbeits-Quote nach Betriebsgröße wider: In Kleinstbetrieben mit weniger als 5 Beschäftigten waren knapp 17 Prozent von Kurzarbeit betroffen, in großen Betrieben ab 2000 Beschäftigten waren es gut 11 Prozent.
Auch jenseits von Kurzarbeit wurde bei zahlreichen Befragten die Arbeitszeit krisenbedingt verkürzt. Insgesamt arbeiteten 21 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Sample im Juni weniger Stunden als normal. In einigen Branchen musste aber auch ein Teil der Beschäftigten ihre Arbeitszeit ausweiten, um zusätzliche Nachfrage und Anforderungen während der Pandemie bewältigen zu können. Das betraf laut Pusch und Seifert etwa den Handel, wo 19 Prozent der Befragten mehr arbeiteten als normal, während ebenfalls 19 Prozent kürzer treten mussten. Im öffentlichen Dienst arbeiteten 17 Prozent der Beschäftigten Pandemie-bedingt länger, bei neun Prozent wurde die Arbeitszeit reduziert. In beiden Bereichen fiel die Ausweitung der Arbeitszeit bei den von Mehrarbeit Betroffenen erheblich aus: Im Handel um durchschnittlich 5,7, im öffentlichen Dienst um 4,7 Wochenstunden.
Auch wenn Kurzarbeit zahlreiche Jobs sichern konnte: Für die Betroffenen bedeutet die Arbeitszeitreduzierung Einkommenseinbußen. Schließlich ersetzt das gesetzliche Kurzarbeitergeld (KUG) ab dem 1. Tag lediglich 60 Prozent des Lohns, bzw. 67 Prozent, wenn Kinder im Haushalt leben. „Umso wichtiger sind deshalb tarifliche, betriebliche und gesetzliche Regelungen über Aufstockungen des Kurzarbeitergeldes“, schreiben die Wissenschaftler mit Blick auf die Befragungsdaten: Von den Befragten in Kurzarbeit, die lediglich das normale KUG erhielten, schätzten 49 Prozent, ihr Haushaltseinkommen habe sich um 25 bis 50 Prozent reduziert. Weitere 46 Prozent gingen von Verlusten bis zu 25 Prozent aus. Unter den Kurzarbeitenden mit Aufstockung kamen Einkommenseinbußen jenseits von 25 Prozent hingegen deutlich seltener vor: knapp ein Viertel der Befragten berichtete davon. Bei 73 Prozent blieben die Verluste unter 25 Prozent.
Insgesamt erhielten im Juni 46 Prozent der Befragten in Kurzarbeit eine Aufstockung. Darunter dürften einige gewesen sein, die vom höheren gesetzlichen KUG ab dem 4. Monat profitierten – eine neue Regelung, die im Zuge der staatlichen Anti-Corona-Maßnahmen eingeführt wurde. Eine deutlich größere Bedeutung spielten zum Zeitpunkt der Befragung nach Puschs und Seiferts Analyse aber höhere Leistungen, die durch Tarifverträge und/oder von Betriebsräten vereinbart wurden. So erhielten im Durchschnitt 58 Prozent der Beschäftigten, die nach einem Tarifvertrag bezahlt wurden, eine Aufstockung. In Unternehmen ohne Tarifbindung waren es hingegen lediglich 34 Prozent. Ähnlich groß fiel der Vorsprung in Betrieben mit Betriebs- oder Personalrat aus: In dieser Gruppe lag der Anteil der Kurzarbeitenden mit Aufstockung bei 60 Prozent. Dagegen profitierten in Unternehmen ohne betriebliche Mitbestimmung lediglich 32 Prozent der Beschäftigten von einer Aufstockung.
Noch viel Luft nach oben. Kurzarbeit zur Weiterbildung zu nutzen ist nach Analyse der Forscher absolut vernünftig und wurde in früheren wirtschaftlichen Krisensituationen bereits praktiziert, insbesondere wenn diese länger andauerten. Das gilt vor allem für die Transformationsphase der ostdeutschen Wirtschaft nach der deutschen Wiedervereinigung. Zum Befragungszeitpunkt im Juni war der Anteil der Kurzarbeitenden, die seit Beginn der Pandemie an Weiterbildung teilgenommen hatten, mit knapp 10 Prozent allerdings deutlich niedriger als unter Beschäftigten ohne Kurzarbeit (18 Prozent). Das könne unter anderem mit zeitweiligen Betriebsschließungen und der besonders schwierigen Situation vor dem Hintergrund von notwendigen Hygienebestimmungen und Kontaktbeschränkungen zu tun haben, schreiben die Forscher. Trotzdem bestehe ganz offensichtlich „noch Potenzial für eine Ausweitung der Weiterbildungsaktivitäten“.
Bild: JESHOOTS.com (Pexels, Pexels Lizenz)
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