22.11.2011 — Udo Cremer. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Ist für den Rechtsverkehr per E-Mail die die Schriftform ersetzende qualifizierte elektronische Signatur vorgeschrieben, so reicht es bei deren Fehlen nicht aus, dass sich aus der E-Mail oder begleitenden Umständen die Urheberschaft und der Wille, das Schreiben in den Verkehr zu bringen, hinreichend sicher ergeben.
Gegen einen Haftungsbescheid des FA erhob der Kläger nach Reduzierung der Haftungssumme im ansonsten erfolglosen Einspruchsverfahren Klage per E-Mail, die unsigniert bei der elektronischen Poststelle des FG am Samstag, dem 17.05.2008 um 23:10 Uhr einging. Nachdem der Eingang am 5.6.2008 festgestellt worden war, wies das FG den Kläger am folgenden Tag darauf hin, dass die von ihm erhobene Klage nicht mit einer Signatur versehen und wegen dieses Formmangels nicht wirksam erhoben worden sei. Am 24.6.2008 übersandte der Kläger eine unterschriebene Klageschrift und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung, er habe keine Kenntnis von den Anforderungen an eine elektronische Klageeinreichung gehabt. Insbesondere werde auf der Webseite des Gerichts eine E-Mail-Adresse ausdrücklich für Zwecke des elektronischen Gerichtsverkehrs angegeben, ohne dass zugleich auf das Erfordernis einer elektronischen Signatur hingewiesen werde. Zudem hätte das Gericht die Möglichkeit gehabt, ihn auf die mangelnde Form der Klageerhebung noch vor Ablauf der Klagefrist hinzuweisen. Die Mitteilung über die Fristversäumung sei ihm nicht vor dem 10.6.2008 zugegangen, so dass die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist gewahrt sei.
Das FG wies die Klage als unzulässig ab, da sie verfristet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren sei. Der Kläger habe es schuldhaft unterlassen, der E-Mail, mit der er Klage erhoben hat, eine qualifizierte Signatur beizufügen, wie dies vorgeschrieben sei. Während des Erörterungstermins habe er zugegeben, dass ihm die Anforderungen an eine elektronische Klageerhebung bekannt gewesen seien, insbesondere dass er sich bewusst gewesen sei, dass es sich bei der elektronischen Signatur um "eine komplexe Angelegenheit" handele. Er habe nicht erklären können, warum er seine Klage gleichwohl ohne elektronische Signatur abgeschickt hat. Die Entscheidung des FG ist in EFG 2010, 1333 veröffentlicht.
Das Urteil ist dem Kläger am 20.4.2010 zugestellt worden. Am 6.5.2010 hat er Revision eingelegt. Auf Antrag verlängerte der Vorsitzende des erkennenden Senats die Begründungsfrist bis zum 5.7.2010. Das Telefax-Empfangsgerät des BFH zeichnete die 5-seitige Revisionsbegründung auf. Die ersten drei Seiten gingen nach dem Aufdruck auf jeder Seite am 5.7.2010 in der Zeit zwischen 23:58 Uhr und 23:59 Uhr, Seite 4 und 5 am 6.7.2010 um 00:00 Uhr und 00:01 Uhr ein. Auf den Hinweis der Senatsgeschäftsstelle, dass Teile der Revisionsbegründung mit der Unterschrift verspätet eingegangen seien, beantragte der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Frist zur Revisionsbegründung. Er versicherte an Eides statt, er habe die Revisionsbegründung im Wesentlichen am 4.7.2010 erstellt und die Arbeit am 5.7.2010 rechtzeitig abgeschlossen. Der rechtzeitige Telefaxversand an den BFH sei daran gescheitert, dass sich bei dem Versuch, das fertige Word-Dokument um 23:20 Uhr zu speichern, herausgestellt habe, dass der Server nicht in Betrieb gewesen und auch nach mehreren Startversuchen nicht wieder in Gang gekommen sei. Um 23:45 Uhr habe er dann einen lokalen Drucker mit dem dafür erforderlichen Treiber auf seinem Arbeitsplatzrechner installiert. Das habe weitere zehn Minuten beansprucht, so dass der Schriftsatz erst wenige Minuten vor Mitternacht gedruckt, unterzeichnet und per Telefax an den BFH habe gesendet werden können mit der Folge, dass die letzte Seite erst am 6.7.2010 dort eingegangen sei.
Zur Begründung der Revision trägt der Kläger vor, er habe form- und fristgerecht Klage beim FG erhoben, weshalb ihm auf die am 24.7.2010 nachgereichte schriftliche Klage Wiedereinsetzung zu gewähren gewesen sei, nachdem das FG ihm erst zwanzig Tage nach Zugang der E-Mail seine Bedenken gegen die Form der Klageschrift mitgeteilt habe.
Der BFH hält die Revision für unbegründet (BFH-Beschluss vom 26.7.2011, VII R 30/10). Zwar hat der Kläger die (verlängerte) Begründungsfrist nicht eingehalten. Nach § 120 Abs. 2 Satz 1 FGO ist die Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich zu begründen. Im Streitfall ist diese Frist vom Vorsitzenden des Senats bis zum 5.7.2010 verlängert worden. Die Revisionsbegründung hätte somit beim BFH bis zum Ablauf dieses Tages eingehen müssen. Die vollständige Revisionsbegründungsschrift des Klägers ist jedoch erst am 6.7.2010 eingegangen. Ebenso ist auch für die Revisionsbegründung Schriftform vorgeschrieben. Bei einem per Telefax dem Gericht übermittelten Schriftsatz wird die erforderliche Schriftform als gewahrt angesehen, wenn das Telefax nicht nur den Namen des Prozessbevollmächtigten, sondern auch dessen auf dem Original des per Telefax übersandten Schriftsatzes befindliche Unterschrift erkennen lässt. Ein fristgebundener bestimmender Schriftsatz, der dem Gericht per Telefax übermittelt wird, geht daher nur dann fristgerecht beim Gericht ein, wenn er innerhalb der Frist von dem Empfangsgerät vollständig, d.h. einschließlich der Seite, welche die Unterschrift trägt, aufgezeichnet worden ist. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt, da nach dem auf jeder Seite der Revisionsbegründungsschrift befindlichen Empfangsaufdruck die Seite 5 mit der in Kopie wiedergegebenen Unterschrift des Prozessbevollmächtigten am 6.7.2010, 00:01 Uhr, also erst nach Fristablauf, von dem Telefaxgerät des BFH empfangen worden ist. Der Eingangszeitpunkt bestimmt sich nach diesem Uhrzeitaufdruck durch das Telefaxgerät des Gerichts. Grundsätzlich darf eine Frist im Interesse des Rechtsschutz suchenden Bürgers bis zuletzt ausgeschöpft werden. Jedoch ist beim vollen Ausnutzen der Frist besondere Sorgfalt auf die Fristwahrung zu verwenden. Wird ein fristwahrender Schriftsatz erst kurz vor Fristablauf per Telefax an das Gericht übermittelt und geht er dort verspätet ein, so ist die Fristversäumung nur dann unverschuldet, wenn der Absender mit der Übermittlung so rechtzeitig begonnen hat, dass er unter gewöhnlichen Umständen mit dem Abschluss des Übermittlungsvorgangs noch vor Fristablauf rechnen konnte.
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