Ein Unternehmen hatte geklagt, weil es nicht dem passenden Wirtschaftszweig zugeordnet worden war, um eine Investitionszulage zu erhalten.
Das Investitionszulagengesetz regelt die Gewährung staatlicher Zuschüsse
für förderungswürdig erachtete betriebliche Anschaffungen. Insbesondere
das verarbeitende Gewerbe wird bzw. wurde bereits in den
Vorgängerregelungen des Berlinhilfegesetzes von 1968 und in den
nachfolgenden Investitionszulagengesetzen bei der Gewährung von
Investitionszulagen berücksichtigt. Auch die hier maßgeblichen
Vorschriften des Investitionszulagengesetzes 1999 sehen unter bestimmten
Voraussetzungen eine Begünstigung betrieblicher Investitionen des
verarbeitenden Gewerbes vor. Weder das Berlinhilfegesetz noch die
nachfolgenden Investitionszulagengesetze bis zum Jahr 2008 definieren
den Begriff des verarbeitenden Gewerbes oder bestimmen ihn in sonstiger
Weise näher. Es entspricht jedoch der gefestigten Rechtsprechung der
Finanzgerichte, dass die Zuordnung der Tätigkeit eines Betriebs zum
verarbeitenden Gewerbe in aller Regel nach der von den Statistikbehörden
erstellten Klassifikation der Wirtschaftszweige in der jeweiligen
gültigen Fassung zu bestimmen ist. Erst mit dem
Investitionszulagengesetz 2010 vom 7. Dezember 2008 wurde erstmals
ausdrücklich gesetzlich festgeschrieben, dass die Zuordnung eines
Betriebs zu dem verarbeitenden Gewerbe nach der von dem Statistischen
Bundesamt herausgegebenen Klassifikation der Wirtschaftszweige
vorzunehmen ist.
Die Beschwerdeführerin ist ein Unternehmen mit Sitz in Sachsen und
bearbeitet Altasphalte und Altbeton, wobei sie mit ihren Maschinen das
von ihren Auftraggebern bereit gelegte Material zerkleinert. Für die
Anschaffung diverser Fahrzeuge und Maschinen beantragte sie 2005 beim
Finanzamt die Gewährung einer Investitionszulage. Auf ihre Anfrage
teilte das Statistische Bundesamt mit näherer Begründung mit, dass ihr
Betrieb nicht dem verarbeitenden Gewerbe zuzuordnen sei, woraufhin das
Finanzamt die Gewährung einer Investitionszulage ablehnte. Das
Landesfinanzgericht stellte dagegen auf die Klage der Beschwerdeführerin
unter Aufhebung des Finanzamtsbescheides fest, dass die Tätigkeit der
Beschwerdeführerin in Abweichung von der Einordnung des Statistischen
Bundesamts dem verarbeitenden Gewerbe unterfalle; dessen Einstufung sei
offenkundig unzutreffend.
Der Bundesfinanzhof hob das Urteil auf. Der Betrieb der
Beschwerdeführerin sei nicht dem verarbeitenden Gewerbe zuzuordnen. Zur
Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs des verarbeitenden Gewerbes
seien mangels gesetzlicher Begriffsbestimmung die vom Statistischen
Bundesamt herausgegebenen Verzeichnisse der Wirtschaftszweige
heranzuziehen. Halte das Statistische Landes- oder Bundesamt danach die
Einordnung eines Betriebs in einen bestimmten Wirtschaftszweig für
zutreffend, so sei diese Zuordnung nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs von den Finanzämtern in aller Regel bei der
Entscheidung über die Gewährung der Investitionszulage zu übernehmen,
soweit sie nicht zu einem offensichtlich falschen Ergebnis führe.
Letzteres sei hier nicht der Fall.
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat das Urteil des
Bundesfinanzhofs aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an
ihn zurückverwiesen. Das Urteil verletzt die Beschwerdeführerin dadurch
in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 Satz
1 GG, dass es die Versagung der begehrten Investitionszulage durch das
Finanzamt nur eingeschränkt auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Aus dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz folgt ein Anspruch des
Bürgers auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle des
angegriffenen Hoheitsaktes. Die Gerichte sind verpflichtet, die
angefochtenen Verwaltungsakte in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht
vollständig nachzuprüfen. Dies gilt auch, wenn die angefochtene
Verwaltungsentscheidung auf der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe
beruht. Deren Konkretisierung ist grundsätzlich Sache der Gerichte.
Der Bundesfinanzhof schränkt in seinem Urteil die gerichtliche Kontrolle
der Entscheidung des Finanzamts über die Ablehnung der
Investitionszulage in zweifacher Hinsicht ein:
1. Zum einen sieht sich der Bundesfinanzhof bei der Zuordnung des
Unternehmens der Beschwerdeführerin zum verarbeitenden Gewerbe
grundsätzlich an die Klassifikation der Wirtschaftszweige gebunden, die
weder Gesetz noch Verordnung ist, sondern allein für statistische Zwecke
durch eine Verwaltungsbehörde geschaffen wurde. Dies führt jedoch nicht
zu einer Verletzung der Rechtsschutzgarantie. Es beeinträchtigt weder
die Gesetzesbindung der Gerichte noch den Anspruch des Einzelnen auf
wirksame gerichtliche Kontrolle, wenn die Konkretisierung unbestimmter
Rechtsbegriffe durch gesetzliche Verweisung auf bestimmte
Verwaltungsvorschriften oder sonstige untergesetzliche Regelwerke
erfolgt oder wenn die konkretisierende Heranziehung solcher Vorschriften
oder Regelwerke in vergleichbarer Weise auf einer ausreichenden
gesetzlichen Grundlage beruht.
So verhält es sich hier. Die Anerkennung der prinzipiellen
Verbindlichkeit der Klassifikation der Wirtschaftszweige für die
Zuordnung eines Betriebs zum verarbeitenden Gewerbe kann sich bezogen
auf die Investitionszulagengewährung auf eine tragfähige gesetzliche
Grundlage stützen. Denn in den Gesetzesmaterialien zum
Investitionszulagengesetz 1999 wie auch zu den Vorgängerregelungen
finden sich eindeutige Belege dafür, dass der Gesetzgeber bei Erlass des
jeweiligen Investitionszulagengesetzes von der verbindlichen Anwendung
der Klassifikation der Wirtschaftszweige bei der Entscheidung über die
Gewährung einer Investitionszulage im Rahmen der Zuordnung eines
Betriebs zum verarbeitenden Gewerbe ausging. Die Anknüpfung an das
Statistikrecht ist auch nicht grundsätzlich sachwidrig. Die
Klassifikationen des Statistikrechts gewährleisten allen am
Investitionszulageverfahren Beteiligten ein weitaus höheres Maß an
Rechtssicherheit und Rechtsklarheit als es ein vom Statistikrecht
abgelöstes, eigenes Verständnis des Gesetzesbegriffs „verarbeitendes
Gewerbe“ vermöchte. Zudem bleibt nach der Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs die Einteilung der betrieblichen Tätigkeiten nach der
Klassifikation der Wirtschaftszweige einer Evidenzprüfung daraufhin
unterworfen, ob sie in Blick auf das Investitionszulagenrecht zu einem
offensichtlich falschen Ergebnis führt.
2. Das Urteil des Bundesfinanzhofs verletzt jedoch die
Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz,
soweit es zum anderen die Stellungnahme des Statistischen Bundesamts,
wonach die Tätigkeit der Beschwerdeführerin nicht zu dem verarbeitenden
Gewerbe zählt, als grundsätzlich verbindlich erachtet und nur auf
offensichtliche Fehler prüft. Dies schmälert den individuellen
Rechtsschutz, weil die gebotene vollständige Prüfung der
Verwaltungsentscheidung, hier der Entscheidung des Finanzamts,
unterbleibt und stattdessen nur noch eine bloße
Offensichtlichkeitskontrolle erfolgt. Damit wird dem Statistischen
Bundesamt ein partielles behördliches Letztentscheidungsrecht
eingeräumt.
Von Gerichten nicht oder nur eingeschränkt überprüfbare
Letztentscheidungsbefugnisse über Rechte des Einzelnen dürfen der
vollziehenden Gewalt nur aufgrund eines Gesetzes eingeräumt werden.
Dabei hat auch der Gesetzgeber, wenn er die gerichtliche Kontrolle
zurücknehmen will, zu berücksichtigen, dass die letztverbindliche
Normauslegung und die Kontrolle der Rechtsanwendung im Einzelfall
grundsätzlich den Gerichten vorbehalten ist. Deren durch Art. 19 Abs. 4
garantierte Effektivität darf auch der Gesetzgeber nicht durch zu
zahlreiche oder weitgreifende Beurteilungsspielräume für ganze
Sachbereiche oder gar Rechtsgebiete aushebeln. Die Freistellung der
Rechtsanwendung von gerichtlicher Kontrolle bedarf stets eines
hinreichend gewichtigen, am Grundsatz eines wirksamen Rechtsschutzes
ausgerichteten Sachgrunds.
Die auf eine Offensichtlichkeitskontrolle beschränkte Prüfung des
Bundesfinanzhofs ist mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4
Satz 1 GG nicht vereinbar, weil es bereits an der erforderlichen
gesetzlichen Grundlage für diese Beschränkung fehlt. Weder im
Investitionszulagengesetz 1999 noch in den Gesetzesmaterialien finden
sich tragfähige Hinweise auf eine Finanzbehörden und Finanzgerichte
bindende Einbeziehung der Statistikbehörden in die
Investitionszulagenentscheidung oder auch nur auf ein insoweit dem
Finanzamt selbst einzuräumendes Letztentscheidungsrecht. Die
unzureichende gerichtliche Prüfung der Zuordnungsentscheidung des
Statistischen Bundesamts und nachfolgend des Finanzamts durch den
Bundesfinanzhof wird auch nicht durch Rechtsschutzmöglichkeiten gegen
die Stellungnahme des Statistischen Bundesamts selbst kompensiert. Durch
die Garantie effektiven Rechtsschutzes werden zwar Verfahrensstufungen
mit gespaltener Rechtsschutzgewährung nicht ausgeschlossen. Die
Stellungnahme des Statistischen Bundesamts ist jedoch weder ein
selbständig angreifbarer Grundlagenbescheid in einem gestuften Verfahren
noch musste sich die Beschwerdeführerin auf einen möglicherweise dagegen
eröffneten verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz verweisen lassen, weil
die fachliche Stellungnahme der Statistikbehörde nicht gesetzlich in das
Verfahren über die Gewährung einer Investitionszulage einbezogen ist.
Quelle: Bundesverfassungsgericht