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Die Qual der Wahl – längere Betriebszugehörigkeit vs. bestehende Unterhaltspflichten

08.04.2015  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Taylor Wessing Deutschland.

Das BAG stellt in dieser Entscheidung fest, dass im Rahmen der Sozialauswahl eine um drei Jahre längere Betriebszugehörigkeit nicht geeignet ist, drei Unterhaltspflichten aufzuwiegen, wenn der Unterhaltsverpflichtete seinerseits eine Betriebszugehörigkeit von immerhin sechs Jahren aufweist.

Einleitung

Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen gekündigt worden, so ist die Kündigung gemäß § 1 Absatz 3 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) dennoch sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat.

Entfällt das Beschäftigungsbedürfnis für mehrere vergleichbare Arbeitnehmer, soll anhand dieser gesetzlichen Kriterien derjenige ausgewählt werden, den die Kündigung trifft.

Im Rahmen einer Änderungskündigung ist hierbei zu prüfen, ob der Arbeitgeber, statt die Arbeitsbedingungen des gekündigten Arbeitnehmers zu ändern, diese Änderung einem vergleichbaren Arbeitnehmer hätte anbieten können, dem sie eher zumutbar gewesen wäre. Das Gesetz verlangt hierbei allerdings keine „bestmögliche“ Sozialauswahl. Der Arbeitgeber hat die sozialen Gesichtspunkte lediglich „ausreichend” zu berücksichtigen. Der dem Arbeitgeber vom Gesetz insoweit eingeräumte Wertungsspielraum führt dazu, dass nur deutlich schutzwürdigere Arbeitnehmer mit Erfolg die Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl rügen können. In der hier besprochenen Entscheidung hielt das BAG diesen Wertungsspielraum für überschritten.

Sachverhalt

Der im Februar 1972 geborene, verheiratete und zwei minderjährigen Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit Oktober 2006 mit einer Wochenarbeitszeit von 38,75 Stunden bei der Beklagten tätig. Sein Bruttomonatsentgelt betrug 3.287,08 Euro. Mit Schreiben vom 5. November 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 28. Februar 2013.

Zugleich bot sie dem Kläger ab dem 1. März 2013 eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit einer Arbeitszeit von zehn Wochenstunden und einer Bruttomonatsvergütung von 848,28 Euro an. Der Kläger lehnte das Änderungsangebot ab und erhob beim Arbeitsgericht Köln Kündigungsschutzklage. Der Kläger war insbesondere der Auffassung, dass die Sozialauswahl fehlerhaft erfolgt sei.

Das Arbeitsgericht Köln folgte der Auffassung des Klägers und stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten nicht aufgelöst worden sei. Im Verhältnis zu einer anderen Arbeitnehmerin, die zwar drei Jahre länger bei der Beklagten beschäftigt und eineinhalb Jahre älter als der Kläger war, sei der Kläger weitaus sozial schutzwürdiger. Das Arbeitsgericht rechtfertigte dies mit dem Umstand, dass der Kläger verheiratet und zwei Kindern unterhaltspflichtig war, während die vergleichbare Arbeitnehmerin ledig war und keine Kinder hatte. Dieser Arbeitnehmerin sei die streitbefangene Änderung der Arbeitsbedingungen im Hinblick auf das Sozialauswahlkriterium der "Unterhaltspflichten" weitaus eher zumutbar gewesen als dem Kläger, so dass es der Beklagten oblegen habe, die Änderung der Arbeitsbedingungen dieser Arbeitnehmerin anzubieten anstatt dem Kläger.

Die von der Beklagten gegen dieses Urteil beim Landesarbeitsgericht Köln eingelegte Berufung blieb erfolglos. Auch das Landesarbeitsgericht Köln hielt den Kläger gegenüber der lediglich drei Jahre länger beschäftigten Arbeitnehmerin aufgrund der bestehenden drei Unterhaltspflichten für deutlich sozial schutzwürdiger. Die Beklagte legte hiergegen Revision zum BAG ein.

Die Entscheidung

Auch die Revision der Beklagten blieb ohne Erfolg. Das BAG folgte den Vorinstanzen und wies die Revision der Beklagten zurück. Das Landesarbeitsgericht habe ohne Rechtsfehler angenommen, dass die Beklagte bei der Auswahl des Klägers den ihr zukommenden Wertungsspielraum überschritten habe. Keinem der § 1 Absatz 3 KSchG genannten sozialen Kriterien komme gegenüber den anderen Priorität zu.

Vielmehr seien stets die individuellen Unterschiede zwischen den vergleichbaren Arbeitnehmern und deren Sozialdaten zu berücksichtigen und abzuwägen. Die Auffassung der Beklagten die prinzipielle Gleichrangigkeit der Sozialdaten gebiete, dass es nur darauf ankommen, wie viele der vier Kriterien zugunsten des einen und wie viele zugunsten des anderen Arbeitnehmers ausschlügen, ohne dass das Maß des jeweiligen Unterschieds von Bedeutung wäre, wies das BAG zurück. Die Gleichrangigkeit der Auswahlkriterien verlange vielmehr, die konkreten Daten der betroffenen Arbeitnehmer in ein Verhältnis zueinander zu setzen. Hierbei falle ein Kriterium umso stärker ins Gewicht, je größer der durch dieses Kriterium aufgezeigte Unterschied zugunsten eines Arbeitnehmers ausfalle.

Im individuellen Vergleich der jeweiligen Beschäftigungsdauer ließ sich angesichts der Beschäftigungsdauer des Klägers von immerhin sechs Jahren nicht sagen, dass die vergleichbare Arbeitnehmerin mit einer Beschäftigungszeit von neun Jahren von der Änderung der Arbeitsbedingungen erhebliche härter getroffen worden wäre. Auch der Altersunterschied von etwa anderthalb Jahren sei vom Landesarbeitsgericht zu Recht als geringfügig betrachtet worden. Beide Arbeitnehmer befanden sich im Kündigungszeitpunkt in einem Alter, in dem von ähnlich guten Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt auszugehen war. Wegen der annähernden Gleichrangigkeit der Sozialkriterien Lebensalter und Betriebszugehörigkeit, liege angesichts des erheblichen Unterschieds bei den Unterhaltspflichten ein Auswahlfehler bei der Beklagten vor.

Praxishinweis

Das BAG hat in seiner Entscheidung einmal mehr betont, dass es im Rahmen der Sozialauswahl wegen der Gleichrangigkeit der Auswahlkriterien gerade auf die Gewichtung der Kriterien im Verhältnis zu den vergleichbaren Arbeitnehmern ankommt. Hierbei muss folglich auch berücksichtigt werden, dass ältere Arbeitnehmer durch das Abstellen auf die Betriebszugehörigkeit und das Lebensalter überproportional begünstigt werden können. Um den Vorwurf einer Überschreitung des bestehenden Wertungsspielraums zu vermeiden, empfiehlt es sich, die Sozialauswahl durch die Anwendung eines vom Bundesarbeitsgericht nicht beanstandeten Punkteschemas abzusichern.

Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 29. Januar 2015 (Az.: 2 AZR 164/14)


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