20.05.2014 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Ernst und Young GmbH, Wirtschaftsprüfungsgesellschaft.
Besonders in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen kam es zu Steuererhöhungen auf breiter Front: In beiden Bundesländern erhöhten zwischen Anfang 2010 und Mitte 2013 mehr als neun von zehn Kommunen mindestens einmal die Grundsteuer. Die Gewerbesteuer wurde vor allem von Kommunen in Thüringen (88 Prozent) und Nordrhein-Westfalen (80 Prozent) erhöht.
In Bayern hingegen erhöhte nur etwa jede fünfte Kommune seit Anfang 2010 die Gewerbesteuer bzw. die Grundsteuer. Die jeweiligen Erhöhungen fielen dabei so moderat aus, dass der durchschnittliche Hebesatz für beide Steuerarten gerade einmal um 2 Prozent stieg.
Bundesweit stieg der durchschnittliche Gewerbesteuerhebesatz2 seit Anfang 2010 um 14 Punkte (bzw. 4 Prozent) auf 350, bei der Grundsteuer betrug der Anstieg sogar 26 Punkte auf 351 – ein Anstieg um 8 Prozent.
Eigenheimbesitzer müssen derzeit in Nordrhein-Westfalen mit Abstand am meisten zahlen: Dort liegt der durchschnittliche Grundsteuerhebesatz bei 453. Am wenigsten verlangen die Kommunen in Hessen (316) und Schleswig-Holstein (299) von Haus- und Wohnungseigentümern bzw. Mietern.
Im Zuge der fast flächendeckenden Heraufsetzungen der Hebesätze in den vergangenen Jahren hat sich der Anteil der Kommunen mit einem hohen bis sehr hohen Grundsteuerhebesatz (von 350 und mehr) zwischen Anfang 2006 und Mitte 2013 von 13 auf 39 Prozent verdreifacht. Gleichzeitig ging der Anteil der Städte und Gemeinden mit einem niedrigen Hebesatz zur Grundsteuer B (von unter 300) von 44 auf 24 Prozent zurück.
In den kommenden Jahren müssen sich Gewerbetreibende, Eigenheimbesitzer und Mieter auf eine weiter steigende Steuerbelastung einstellen – vor allem in solchen Kommunen, die Finanzhilfen der Bundesländer in Anspruch nehmen.
Das sind die Ergebnisse einer aktuellen Analyse der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY (Ernst & Young) zur Entwicklung der Grundsteuer-B- und Gewerbesteuerhebesätze aller deutschen Kommunen (ohne Stadtstaaten) in den Jahren 2005 bis 2013.3
Während die Mehrheit der deutschen Kommunen in den vergangenen Jahren die sogenannten Realsteuern anhob, waren Steuersenkungen die absolute Ausnahme: Gerade einmal 1 Prozent der deutschen Kommunen hat zwischen Anfang 2010 und Mitte 2013 die Grundsteuer B gesenkt; auch die Gewerbesteuer sank nur bei einer von 100 Kommunen.4
„In den vergangenen Jahren gab es eine Welle von Steuererhöhungen, vor allem in Regionen mit einer großen Zahl finanzschwacher Kommunen“, beobachtet Hans-Peter Busson, Partner bei EY und Leiter des Bereichs Government & Public Sector für Deutschland, die Schweiz und Österreich. Heute sind die durchschnittlichen Hebesätze beider kommunaler Realsteuern in Nordrhein-Westfalen am höchsten – und die nordrhein-westfälischen Kommunen liegen auch bei der kommunalen Verschuldung gemeinsam mit den hessischen und den saarländischen Kommunen bundesweit an der Spitze.5 In diesen drei Ländern wurden 2013 zudem bundesweit die meisten Grundsteuererhöhungen gezählt: In Hessen erhöhten allein im ersten Halbjahr 48 Prozent der Kommunen den Grundsteuerhebesatz, in Nordrhein-Westfalen waren es 38 Prozent, im Saarland 31 Prozent. In Baden-Württemberg und Bayern, wo die Kommunen eine relativ geringe Pro-Kopf-Verschuldung6 aufweisen, setzten jeweils gerade einmal gut 3 Prozent der Kommunen den Gewerbesteuerhebesatz herauf.
„Viele deutsche Kommunen stehen finanziell mit dem Rücken zur Wand. Gerade die finanzschwachen Kommunen haben ihre Angebote bereits auf das gesetzliche Minimum reduziert – da erscheinen vielen Kommunen Steuererhöhungen als probates Mittel, um ihren strukturellen Defiziten entgegenzuwirken“, stellt Busson fest.
Vielerorts begründeten die Stadtverwaltungen die Steuererhöhung mit dem Beitritt der Stadt zum Schutzschirm der jeweiligen Länder. Dies dürfte auch die starke Erhöhungsdynamik in Hessen und Nordrhein-Westfalen erklären. Beide Bundesländer haben entsprechende Programme aufgelegt. Sowohl Nordrhein-Westfalen als auch Hessen knüpfen ihre Hilfe für notleidende Kommunen daran, dass die am jeweiligen Schutzschirm teilnehmenden Kommunen einen eigenen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten; dazu zählen auch Steuererhöhungen. Dementsprechend sind weitere Steuererhöhungen zu erwarten – und in den Haushaltsplänen vieler Kommunen bereits fest vorgesehen.
Solche Steuererhöhungen seien allerdings ein zweischneidiges Schwert, sagt Busson: „Kurzfristig spülen höhere Gewerbe- und Grundsteuerhebesätze zwar mehr Geld in die kommunalen Kassen. Mittel- und langfristig könnten sich solche Maßnahmen aber als Bumerang erweisen: Der Standort verliert an Attraktivität, Unternehmen könnten abwandern, Neuansiedlungen von Unternehmen werden unwahrscheinlicher.“
Da es vor allem finanzschwache Kommunen seien, die derzeit an der Steuerschraube drehen, könnte sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnen, befürchtet Busson: „Die deutsche Städtelandschaft entwickelt sich seit Jahren zu einer Zweiklassengesellschaft: Dank der relativ guten konjunkturellen Lage und entsprechend steigender Steuereinnahmen können die wirtschaftsstarken Städte weiter in ihre Infrastruktur investieren und dabei noch Schulden abbauen – ganz ohne Steuererhöhungen.“
Gleichzeitig müssen die hoch verschuldeten Städte in wirtschaftsschwachen Regionen einen strikten Konsolidierungskurs fahren und dabei auf Einsparungen und Steuererhöhungen setzen – worunter die Anziehungskraft für Unternehmen und Bürger weiter leide, so Busson: „Das ist ein Teufelskreis aus hoher Verschuldung, steigenden Steuern und Gebühren und sinkender Attraktivität.“
Dabei gebe es aber durchaus Beispiele für Städte, die die Gewerbesteuer stark gesenkt und damit neues Gewerbe angezogen hätten, so Busson. Das seien aber Einzelfälle: „Von Steuersenkungen ist so gut wie nie die Rede. Ein echter, über niedrige Steuersätze ausgetragener Standortwettbewerb findet unter Deutschlands Kommunen derzeit nicht statt.“
Auffallend sei allerdings, dass die Gewerbesteuer weniger stark steigt als die Grundsteuer. Denn während bei Gewerbesteuererhöhungen durchaus mit negativen Reaktionen vonseiten der Unternehmen zu rechnen sei, sei eine Erhöhung der Grundsteuer für die Kommunen weitgehend risikolos, so Busson: „Kein Eigenheimbesitzer verkauft sein Haus wegen einer höheren Grundsteuer.“
Die Grundsteuer B wird auf bebaute und bebaubare Grundstücke erhoben und trifft damit so gut wie alle Bürger, da diese entweder selbst Hausbesitzer sind oder an der Steuer über die Mietnebenkosten beteiligt werden. Sie brachte den deutschen Kommunen 2012 insgesamt 10,3 Milliarden Euro ein – 14 Prozent der Gesamteinnahmen. Im Vergleich zur Gewerbesteuer ist sie eine verlässlichere Einnahmequelle für die Kommunen, da sie keinen konjunkturellen Schwankungen unterliegt und eine breitere Erhebungsbasis hat.
Bei der Grundsteuer B lagen Mitte 2013 Berlin und Rüsselsheim mit Hebesätzen von 810 bzw. 800 bundesweit an der Spitze. Am wenigsten müssen die Bürger in zwei hessischen Städten bezahlen: In Fulda und Marburg betrug der Hebesatz nur 330.
Die Gewerbesteuer ist die wichtigste Einnahmequelle der Städte und Gemeinden. 2012 spülte sie 32,3 Milliarden Euro in die Kassen der Kommunen – das waren 44 Prozent der Gesamteinnahmen der Kommunen.
Von den größeren deutschen Städten (mit mehr als 50.000 Einwohnern) wiesen zur Jahresmitte 2013 nordrhein-westfälische Städte die höchsten Gewerbesteuerhebesätze auf: Oberhausen (520), Hagen, Marl und Kerpen (jeweils 500). Am günstigsten war es für Unternehmen in den beiden baden-württembergischen Städten Friedrichshafen und Ravensburg, deren Hebesatz 350 beträgt.
1 Bis Mitte 2013. Neuere Daten liegen noch nicht vor.
2 Es handelt sich um den nicht gewogenen Durchschnittswert.
3 Die Grundsteuer A, die auf Grundstücke der Land- und Forstwirtschaft erhoben wird, ist nicht Teil der Analyse.
4 In absoluten Zahlen: Von 11.227 Kommunen in Deutschland haben im Zeitraum Anfang 2010 bis Mitte 2013 insgesamt 6.692 die Grundsteuer B erhöht, 107 Kommunen haben sie gesenkt. Die Gewerbesteuer wurde von 4.877 Kommunen erhöht und von 131 gesenkt.
5 Schulden der Gemeinden je Einwohner (Ende 2012): Saarland: 3.120 €; Hessen: 3.115 €;
NRW: 2.826 €.
6 Baden-Württemberg: 652 €; Bayern: 1.161 €.