15.05.2023 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Ernst & Young GmbH.
Europaweit wurden im vergangenen Jahr insgesamt 5.962 Investitionsprojekte ausländischer Investoren angekündigt, ein Anstieg um ein Prozent. Das Vor-Pandemie-Niveau wurde damit aber weiterhin deutlich verfehlt. So lag die Zahl der ausländischen Investitionsprojekte um sieben Prozent unter dem Wert von 2019.
Spitzenreiter im Europa-Ranking bleibt Frankreich, wo die Entwicklung schon seit einigen Jahren deutlich dynamischer verläuft als in Deutschland. So stieg die Zahl der Investitionsprojekte in Frankreich im vergangenen Jahr um drei Prozent auf 1.259, nachdem sie im Vorjahr bereits um 24 Prozent zugelegt hatte. Großbritannien belegt den zweiten Platz im Ranking, die Zahl der Projekte schrumpfte allerdings um sechs Prozent auf 929.
Unter den größeren europäischen Standorten entwickelten sich im vergangenen Jahr die Türkei, Portugal, Polen und Irland mit Zuwachsraten von mehr als 20 Prozent besonders dynamisch.
Das sind Ergebnisse einer Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY zu Investitionsprojekten ausländischer Unternehmen in Europa. Für die Studie werden Investitionsprojekte erfasst, die zur Schaffung neuer Standorte und neuer Arbeitsplätze führen; Portfolio- und M&A-Investitionen werden hingegen nicht berücksichtigt. Zudem wurde für die Studie eine Befragung von 508 Entscheidungsträgern bei international tätigen Unternehmen durchgeführt, die im Februar und März 2023 stattfand.
Seit dem Jahr 2017 gehen die Investitionen in Deutschland kontinuierlich zurück – das sei eine beunruhigende Entwicklung, sagt Henrik Ahlers, Vorsitzender der Geschäftsführung bei EY: „Vor allem Frankreich hat Deutschland in den vergangenen Jahren abgehängt. Präsident Macron hat es geschafft, mit wirtschaftsfreundlichen Reformen in Frankreich eine bemerkenswerte Dynamik zu entfachen, von der wir in Deutschland derzeit leider weit entfernt sind. Zudem konnte Deutschland kaum von der Brexit-bedingten Schwäche des Investitionsstandorts Großbritannien profitieren.“
Zwar sei Deutschland ohne Zweifel nach wie vor ein starker und wettbewerbsfähiger Standort, betont Ahlers. „Aber auf der Kostenseite hat Deutschland zuletzt deutlich an Attraktivität verloren – gerade für Industrieunternehmen. Und bei Forschung, Entwicklung und digitalen Innovationen sind derzeit andere Standorte besser aufgestellt. Hierzulande dauert vieles einfach zu lang und ist mit hohem bürokratischem Aufwand verbunden – ob es nun um Planungs- und Genehmigungsverfahren oder auch den Ausbau der digitalen und der Energie-Infrastruktur geht.“
Mit dem „Inflation Reduction Act“ hätten die USA zudem den Standortwettbewerb weiter verschärft, warnt Ahlers: „Die USA gewähren massive Steuergutschriften im Gegenzug für Investitionen in grüne Technologien, was die Produktionskosten spürbar reduziert und zusammen mit einem ohnehin deutlich niedrigeren Energiepreisniveau hohe Anreize für „grüne“ Investitionen schafft.“ Diesem Standortwettbewerb müsse sich Europa stellen und einen Förderrahmen schaffen, der auch in Europa Unternehmen zu schnellem Handeln und Investitionen motiviert.
Immerhin: In einer für die EY-Studie durchgeführten weltweiten Unternehmensbefragung kann Deutschland aktuell einen deutlichen Attraktivitätszugewinn verbuchen. Der Anteil der Befragten, die Deutschland als einen von drei Top-Standorten in Europa bezeichnen, ist im Vergleich zur Vorjahresbefragung von 42 auf 62 Prozent gestiegen. Frankreich (47 Prozent) und Großbritannien (43 Prozent) liegen deutlich dahinter. „Im vergangenen Jahr waren die Sorgen vor einer akuten Energiekrise und Produktionsausfällen in Deutschland groß. Das konnte verhindert werden, und auch die Lieferkettenunterbrechungen, die sich aus dem Krieg in der Ukraine und den Sanktionen gegen Russland ergaben, wurden relativ schnell bewältigt“, sagt Ahlers.
Die deutsche Politik und Verwaltung sowie deutsche Mittelständler und Konzerne hätten wirkungsvolle – wenn auch teils sehr teure – Lösungen gefunden, um mit den diversen Krisen der vergangenen Jahre umzugehen, betont Ahlers. „Die vielzitierte Deutschland-Geschwindigkeit und das postulierte Ziel einer pragmatischen und ergebnisorientierten Herangehensweise machen Hoffnung. Aber noch sind dies zumeist Versprechen, die es in der Realität einzulösen gilt.“
Insgesamt bleibt Ahlers skeptisch, ob es in diesem Jahr gelingen wird, die Investitionstätigkeit in Europa deutlich anzukurbeln: „Europa ist derzeit ein schwieriges Pflaster für Investoren: Der Krieg in der Ukraine, sehr hohe Energiepreise, in vielen Ländern eine hohe Steuerbelastung und durchwachsene Konjunkturaussichten. Das ist keine attraktive Mischung. Andererseits achten Unternehmen vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die sie in der Pandemie gemacht haben, verstärkt auf die Belastbarkeit ihrer Lieferketten und suchen nach regionalen Lösungen. Dieser Trend wird voraussichtlich zu weiteren Investitionen in Europa führen“, erwartet Ahlers.
Deutsche Unternehmen erwiesen sich im vergangenen Jahr einmal mehr als Investitionsmotor in Europa: Insgesamt 658 Investitionen führten sie im europäischen Ausland durch, das entspricht einem Anstieg um vier Prozent gegenüber dem Vorjahr. Mehr Investitionen – insgesamt 1.240 Projekte, plus sechs Prozent – führten nur US-Unternehmen durch.
Das wichtigste Investitionsziel deutscher Unternehmen war erneut Frankreich: Deutsche Unternehmen kündigten im vergangenen Jahr insgesamt 209 Projekte in Frankreich an. Umgekehrt lag die Zahl der von französischen Unternehmen in Deutschland angekündigten Investitionen gerade einmal bei 48.
Hinter Frankreich war im vergangenen Jahr Großbritannien mit 61 Projekten das zweitwichtigste Investitionsziel deutscher Unternehmen, gefolgt von der Türkei mit 51 Projekten.
US-amerikanische Unternehmen waren im vergangenen Jahr erneut mit 158 Projekten die wichtigsten Investoren in Deutschland – im Vorjahr waren es 157 Projekte. Damit wurde der seit 2018 anhaltende Abwärtstrend bei US-Investitionen gestoppt.
Rückläufig waren hingegen chinesische Investitionen in Deutschland, die um 17 Prozent auf 85 sanken. Auch Schweizer Unternehmen, die noch im Jahr 2017 mit 123 Projekten die zweitwichtigste Investorennation bildeten, reduzierten ihr Engagement weiter: um 23 Prozent auf 37 Investitionen.
Britische und vor allem türkische Unternehmen haben ihre Engagements in Deutschland hingegen deutlich ausgeweitet. Die Zahl der Projekte, die von türkischen Unternehmen angekündigt wurde, stieg um 87 Prozent auf 97 – von europaweit 151 Investitionsprojekten. Damit waren türkische Unternehmen hinter den USA die zweitwichtigsten Investoren in Deutschland.
Britische Investitionen stiegen im vergangenen Jahr von 72 auf 95, blieben damit aber deutlich unter dem Höchstwert von 110, der im Jahr 2017 erreicht worden war.
Die Studie können Sie hier herunterladen.
Bild: Immo Wegmann (Unsplash, Unsplash Lizenz)
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