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Auch in „erklärten“ Unterschieden steckt Diskriminierung

14.07.2016  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Hans Böckler Stiftung.

Gender Pay Gap: Statistische „Bereinigung“ kann in die Irre führen – Einzelfallprüfung im Betrieb unerlässlich.

Bei der Entgeltgleichheit gehört Deutschland zu den Schlusslichtern in der EU: Der Gender Pay Gap – also der Unterschied zwischen den durchschnittlichen Bruttostundenlöhnen von Männern und Frauen – beträgt hierzulande rund 21 Prozent. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sieht dennoch keinen Handlungsbedarf: Schließlich sei die auf Basis von statistischen Analysen „bereinigte“ Lohnlücke erheblich kleiner. Für Dr. Christina Klenner ist diese Argumentation irreführend. Denn auch hinter dem „erklärten“ Teil des Gender Pay Gap verbirgt sich zum Teil Diskriminierung, analysiert die Genderforscherin am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.

Die Entgeltungleichheit zwischen den Geschlechtern statistisch in verschiedene Komponenten zu zerlegen, sei grundsätzlich durchaus sinnvoll, so Klenner. Denn um Strategien für mehr Lohngerechtigkeit zu entwickeln, müsse man die Ursachen kennen. Zu den entscheidenden Faktoren gehören laut Berechnungen des Statistischen Bundesamts für das Jahr 2010 Unterschiede zwischen Männern und Frauen bei Beruf und Branche, Führungspositionen und Qualifikation sowie dem Beschäftigungsumfang. Wenn man diese Faktoren berücksichtigt, bleibt ein „unerklärter“ Rest von sieben Prozent. Das IW hat zusätzlich Erwerbsunterbrechungen herausgerechnet und kommt so für das Jahr 2013 auf einen Wert von nur noch 3,8 Prozent. Die IW-Forscher ziehen aus ihren Simulationsrechnungen den Schluss, dass Lohndiskriminierung kein nennenswertes Problem darstellt. Schließlich seien Entscheidungen über Karriere und Familie rein privat.

Die WSI-Expertin kritisiert diese Deutung: Den Gender Pay Gap „kleinzurechnen“, beseitige nicht die Benachteiligung von Frauen. Denn dass sich Faktoren für die Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern statistisch isolieren ließen, heiße keineswegs, dass sie damit „gerechtfertigt“ seien. Vielmehr beruhten auch die statistisch „erklärten“ Differenzen zu wesentlichen Teilen auf einer Benachteiligung von Frauen im Betrieb, auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft. Wenn etwa frauendominierte Tätigkeiten weniger geschätzt und schlechter bezahlt werden, sei es unangemessen, das Ausmaß der Diskriminierung einfach um den Einfluss von Beruf und Branche zu bereinigen. Auch zu niedrige Eingruppierungen von Frauen können einen Teil der Lohnlücke ausmachen.

Beim Beschäftigungsumfang sind ebenfalls gesellschaftliche Zwänge wirksam, zeigen Untersuchungen, auf die sich Klenner bezieht: Dass Frauen wesentlich häufiger als Männer Teilzeit arbeiten und die Erwerbstätigkeit unterbrechen, hängt unter anderem mit traditionellen Vorstellungen von der Arbeitsteilung in Partnerschaften und mit unzureichenden Betreuungsangeboten für Kinder zusammen. Dabei führe die Ungleichheit zu noch mehr Ungleichheit: Weil Frauen im Schnitt weniger verdienen, verzichten sie mit Rücksicht auf das Familienbudget eher als die Männer auf Erwerbstätigkeit. Doch die einmal gewählte Teilzeitarbeit erweist sich oft als Sackgasse, weil es kein Recht auf Rückkehr in Vollzeitarbeit gibt. Solche Hintergründe zu ignorieren „widerspricht dem wissenschaftlichen Forschungsstand“, betont die WSI-Forscherin.

Auch der geringe Frauenanteil bei Führungskräften dürfte keineswegs nur auf freie Entscheidungen zurückzuführen sein, sondern auch mit der „gläsernen Decke“ zusammenhängen. Die erschwert Arbeitnehmerinnen den Aufstieg, weil Führungszirkel oft dazu neigen, eher Ihresgleichen zu befördern. Hinzu kommt: Bei Fach- und Führungskräften fällt die Lohnlücke in Deutschland besonders groß aus. „Für Frauen lohnen sich Bildung und Aufstieg vom Entgelt her viel weniger als für ihre männlichen Kollegen“, fasst Klenner die Befunde zusammen.

Grundsätzlich gelte ohnehin, dass Diskriminierung nur im Einzelfall zweifelsfrei nachweisbar ist, so die Forscherin. Ob Arbeitgeber den Grundsatz „gleiches Entgelt für gleiche und gleichwertige Arbeit“ beherzigen, müsse im konkreten Betrieb durch Vergleiche von Anforderungen und Belastungen geprüft werden. Genau diese Überprüfung solle das geplante Gesetz zur Lohngerechtigkeit ermöglichen, das Transparenz durch einen individuellen Auskunftsanspruch für Beschäftigte vorsieht.

Dass Transparenz und klare Kriterien generell die beste Methode sind, den Gender-Pay-Gap zu reduzieren, zeigen schließlich auch andere Untersuchungen des WSI: Frauen profitieren besonders deutlich davon, wenn in ihrem Unternehmen nach Tarifvertrag gezahlt wird. Nach Tarif bezahlte weibliche Beschäftigte erhalten gut neun Prozent höhere Stundenlöhne als Frauen mit vergleichbaren Tätigkeiten ohne Tarifvertrag. Bei Männern beträgt der Tarif-Vorsprung knapp sieben Prozent. In Branchen mit hohem Frauenanteil und geringer Tarifbindung fällt der Tarifvorteil für Frauen sogar noch höher aus. Im Einzelhandel beträgt er beispielsweise 17,3 Prozent. Dass weibliche Beschäftigte besonders von Tarifverträgen profitieren, dürfte unter anderem an den verbindlichen Vorgaben zur Eingruppierung in die tariflichen Entgeltgruppen liegen, vermutet das WSI. Zudem hätten tarifgebundene Betriebe häufiger Betriebsräte als tariflose Firmen. Auch dies sei ein wichtiger Faktor, denn Betriebsräte setzten sich für eine diskriminierungsfreie Lohnstruktur im Unternehmen ein.

Weitere Informationen:

Christina Klenner, Susanne Schulz, Sarah Lillemeier: Gender Pay Gap – Die geschlechtsspezifische Lohnlücke und ihre Ursachen (pdf), Juli 2016



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