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Anwendungsbereich des Mindestlohngesetzes und Übergangsbestimmungen

27.08.2014  — Alexius Leuchten, Martin Fink, Peter Weck.  Quelle: BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft mbH.

Gilt das Mindestlohngesetzes (MiLoG) auch für Unternehmen, die im Ausland ansässig sind? Und welche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer berücksichtigt es genau?

Örtlicher Anwendungsbereich: Beschäftigung in Deutschland maßgebend

Das Gesetz gilt für Beschäftigungsorte in Deutschland, unabhängig von der Staatsangehörigkeit oder dem Wohnsitz der Arbeitnehmerin / des Arbeitnehmers. Es gilt demnach auch für Grenzgänger und Wanderarbeiter, sofern sie regelmäßig im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland tätig sind.

Auf den Unternehmenssitz kommt es hingegen nicht an. Dies ergibt sich bereits aus der ausdrücklichen Verpflichtung in § 20, wonach Arbeitgeber mit Sitz im Ausland in den Geltungsbereich des Gesetzes einbezogen sind, wenn und sofern sie Arbeitnehmerinnen / Arbeitnehmer im Inland beschäftigen. Daraus folgt, dass ansonsten Arbeitnehmer, die im Ausland tätig sind, nicht von dem Gesetz betroffen sind.

Bei einer vorübergehenden Entsendung kommt es darauf an, ob die Rückkehr und spätere Weiterbeschäftigung am ursprünglichen Ort beabsichtigt ist. In diesem Fall würde selbst eine Eingliederung in die Organisation in Deutschland einen Wechsel der Rechtsordnung und damit die Geltung des MiLoG nicht rechtfertigen. Bei einer dauerhaften Entsendung kann dies wiederum anders sein, dann dürfte das MiLoG auch für diese unter die dauerhafte Entsendung fallenden Arbeitnehmer gelten.

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Bis zu einer Klärung durch die Rechtsprechung dürfte auch die Frage offen sein, ob das MiLoG bei einer wirksamen Vereinbarung deutschen Rechts von im Ausland tätigen Arbeitnehmern anwendbar ist. Die Wahl ausländischen Rechts von in Deutschland regelmäßig tätigen Arbeitnehmern ändert nichts an der zwingenden Geltung des MiLoG. Es dürfte sich bei den Bestimmungen des MiLoG um sog. Eingriffsnormen handeln, die nach Art. 9 der Rom IVerordnung unabdingbar sind.

Ausnahmeregelungen zum Mindestlohn

Die Verwandtschaft des MiLoG mit dem Arbeitnehmerentsendegesetz ist evident. Dies wird nicht nur durch die Übernahme der in der Einleitung zu dieser Darstellung erwähnten Tariferstreckung unterstrichen, die im Arbeitnehmerentsendegesetz übernommen worden ist. Sie wird vor allem evident durch den gleichen Regelungsinhalt, der in § 1 Arbeitnehmerentsendegesetz definiert ist. Die Entsenderichtlinie der EU (Nr. 96 / 71 / EG) vom 16.12.1996 gilt im Rahmen länderübergreifender Erbringung von Dienstleistungen. Nach Art. 3 der Richtlinie haben die Mitgliedsstaaten unter anderem dafür zu sorgen, dass bestimmte durch Rechtsvorschriften und allgemeinverbindliche Tarifverträge festgelegte Arbeitsbedingungen garantiert werden, so unter anderem auch „Mindestlohnsätze einschließlich der Überstundensätze“. Damit erkennt die EU ausdrücklich Mindestlohnregelungen an. Es wäre mit dem EU-Recht daher nicht vereinbar, wollte man es für Inländer erlauben, diese Regelungen durch Wahl eines ausländischen Rechts abzubedingen.

Das Gesetz sieht im Geltungsbereich insgesamt sechs Ausnahmeregelungen vor. Diese sind im Einzelnen:

Zur Berufsausbildung beschäftigte Personen

Die Gesetzesbegründung weist darauf hin, dass diese Ausnahmeregelung nur klarstellenden Charakter hat. Denn das Berufsausbildungsverhältnis ist nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts ein eigenständiges Vertragsverhältnis, das nur dann als Arbeitsverhältnis anzusehen ist, wenn sich dies ausdrücklich aus den jeweils in Betracht kommenden Gesetzen ergibt.

Ehrenamtliche

In § 22 Abs. 3 MiLoG ist auch angesprochen, dass das Gesetz nicht für ehrenamtlich tätige Personen gilt. Zu dieser Gruppe zählen auch Personen, die einen Freiwilligendienst im Sinne des § 32 Einkommensteuergesetz leisten. Im Übrigen ist auch hier der Ausschluss des MiLoG eher klarstellend zu verstehen, da ehrenamtlich Tätige grundsätzlich nicht als Arbeitnehmer anzusehen sind. Außerdem wäre es ein Widerspruch, wenn sich Personen, die grundsätzlich per Definition keine Vergütung für ihre Tätigkeit bekommen, auf einen Mindestlohnanspruch berufen könnten.

Praktikanten

Ausführlich behandelt das MiLoG Praktikantinnen und Praktikanten im Sinne des § 26 Berufsbildungsgesetz. Hintergrund dürfte der Missbrauch sein, den manche Unternehmen in der Vergangenheit mit Praktikanten betrieben haben. So wird kolportiert, dass häufig Praktikanten „zu Null“, also ohne Vergütungsanspruch, angestellt wurden oder zu einer Vergütung, die in keinem Verhältnis zur Arbeitsleistung stand. Denn ein Praktikantenverhältnis kann je nach Ausgestaltung Arbeitsverhältnis und Berufsausbildungsverhältnis sein. Ist das Praktikantenverhältnis im Rahmen eines Studiums oder einer sonstigen Hochschulausbildung erforderlich, damit die Prüfungsvoraussetzungen erreicht werden können, ist es Teil dieses Studiums und das Arbeitsrecht findet keine Anwendung. Leistet der Praktikant jedoch neben einer Hochschul- oder sonstigen Schulausbildung Arbeit in einem Unternehmen (z. B. zur Finanzierung des Studiums), handelt es sich um ein normales, meist befristetes Arbeitsverhältnis. Daher versucht das MiLoG, eine große Gruppe von Praktikanten unter das Gesetz fallen zu lassen, um ihnen auf diese Weise den gesetzlichen Mindestlohn zukommen zu lassen. Der Gesetzestext setzt dies wie folgt um:

Nach dem MiLoG gelten Praktikantinnen und Praktikanten als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, es sei denn, dass

  • sie ein Praktikum verpflichtend aufgrund schulrechtlicher Bestimmungen ableisten,
  • sie ein Praktikum bis zu drei Monaten zur Orientierung für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines Studiums leisten,
  • sie ein Praktikum von bis zu drei Monaten begleitend zu einer Berufs- oder Hochschulausbildung leisten, wenn nicht ein solches Praktikumsverhältnis mit demselben Ausbildenden bereits zuvor bestanden hat, oder
  • sie an einer sog. Einstiegsqualifizierung oder an einer Berufsausbildungsvorbereitung (gemäß § 54 a SGB III bzw. §§ 68 -70 Berufsbildungsgesetz) teilnehmen.

Kern der Ausnahmeregelung ist die Trennung zwischen ausbildungsbezogenen (dann regelmäßig keine Geltung des MiLoG) und sonstigen Praktikumsverhältnissen, die nicht direkt mit einer Berufs- oder Hochschulausbildung zusammenhängen (dann in der Regel Arbeitsverhältnis und Geltung des MiLoG).

Kinder und Jugendliche

Die nächste Ausnahme betrifft Kinder und Jugendliche (also Personen, die noch keine 18 Jahre alt sind). Sie gelten nur dann als Arbeitnehmer, wenn sie eine Berufsausbildung abgeschlossen haben. Dann gilt auch das MiLoG für diese Gruppe. Sind sie aber noch in der Berufsausbildung oder haben generell keine Berufsausbildung abgeschlossen, dann gilt das MiLoG für diese Gruppe nicht. Damit will der Gesetzgeber vermeiden, dass der gesetzliche Mindestlohn einen Anreiz setzt, zu Gunsten einer mit dem Mindestlohn vergüteten Beschäftigung auf eine Berufsausbildung zu verzichten. Jugendliche sollen nach Abschluss der Sekundarstufe 1 nicht von einer weiterführenden Schulausbildung oder einer Berufsausbildung deshalb absehen, weil sie eine mit dem Mindestlohn vergütete Beschäftigung annehmen wollen.

Langzeitarbeitslose

Die fünfte Gruppe von Ausnahmeregelungen ist die sicherlich am heftigsten umstrittene. Sie betrifft Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die unmittelbar vor der Beschäftigung ein Jahr oder länger arbeitslos gemeldet waren („Langzeitarbeitslose“, § 18 Abs. 1 SGB III). Für diese gilt der gesetzliche Mindestlohn in den ersten sechs Monaten der neu aufgenommenen Beschäftigung nicht. Der Gesetzgeber war sich offenbar unsicher, ob diese Regelung wirklich greift, so dass er die Bundesregierung verpflichtet hat, dem Parlament zum 1. Juni 2016 zu berichten, inwieweit diese Ausnahmeregelung die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen gefördert hat oder ob der gegenteilige Effekt eingetreten ist. Die Bundesregierung soll eine Einschätzung dazu abgeben, ob diese Regelung fortbestehen soll. Mit dieser Regelung sollen Beschäftigungschancen für Langzeitarbeitslose vor allem in der ersten Phase der Einführung des Mindestlohns verbessert werden. Das „schlechte Gewissen“ des Gesetzgebers betrifft die Frage, ob man den Langzeitarbeitslosen damit einen Bärendienst erweist, weil sie zu Konditionen beschäftigt werden, die noch unterhalb des Mindestlohns liegen, oder ob diese Ausnahmeregelung als „gesetzliche Wohltat“ verstanden werden kann.

In der Tat sollte diese Ausnahmeregelung ständig auf den Prüfstand gestellt werden, um Missbrauch mit dieser Regelung zu vermeiden (z. B. die kurzfristige Einstellung von Langzeitarbeitslosen befristet für sechs Monate).

Zeitungszusteller

Nach dieser Ausnahmeregelung sollen Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller ab dem 1. Januar 2015 nur einen gesetzlichen Anspruch von 75 Prozent des gesetzlichen Mindestlohns und ab dem 1. Januar 2016 von 85 Prozent des gesetzlichen Mindestlohns haben (unabhängig davon bleiben natürlich höhere Vergütungsvereinbarungen unberührt). Vom 1. Januar 2017 bis zum 31. Dezember 2017 gilt der im Gesetz festgelegte Mindestlohn von EUR 8,50 je Zeitstunde auch für diese Berufsgruppe, so dass eine etwaige erstmalige Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns diese Gruppe erst ab dem 1. Januar 2018 berührt.

Saisonarbeiter

Eine letzte Einschränkung der Geltung des gesetzlichen Mindestlohns für alle Branchen und Berufsgruppen hat der Gesetzgeber in einer anderen Vorschrift außerhalb des MiLoG „versteckt“. Es handelt sich dabei um die Saisonarbeiterinnen und Saisonarbeiter besonders in der Landwirtschaft. Dazu sieht Artikel 9 des Tarifautonomiestärkungsgesetzes eine Änderung von § 115 SGB IV vor, der jetzt regelt, dass die Zeitgrenzen für die geringfügige Beschäftigung in Form der kurzfristigen Beschäftigung aus- geweitet werden. Vom 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2018 kann die Beschäftigung geringfügig Beschäftigter innerhalb eines Kalenderjahres auf längstens drei Monate (statt bisher zwei Monate) oder 70 Arbeitstage (statt bisher 50 Arbeitstage) begrenzt sein oder im Voraus vertraglich begrenzt werden. Anders als die übrigen Regelungen des Tarifautonomiestärkungsgesetzes sieht diese Bestimmung ausdrücklich vor, dass sie am 31. Dezember 2018 automatisch außer Kraft tritt, um zu verhindern, dass es damit zu einer generellen Ausweitung der versicherungsfreien geringfügigen Beschäftigung kommt.

Übergangsregelungen

Von besonderer praktischer Bedeutung sind gerade in der ersten Phase nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes die Übergangsregelungen. Das MiLoG sieht in § 24 vor, dass bis zum 31. Dezember 2017 noch auf der Grundlage des Arbeitnehmerentsendegesetzes festgesetzte Mindestlöhne sowie die auf Grundlage des § 3 a AÜG festgesetzten Lohnuntergrenzen für die Arbeitnehmerüberlassung dem allgemeinen Mindestlohn vorgehen, wenn die in diesen Regelungen enthaltenen Mindestlöhne unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns von EUR 8,50 je Zeitstunde liegen. Allerdings findet sich in dieser Regelung eine erst kurz vor Verabschiedung des Gesetzes eingefügte Einschränkung, wonach vom 1. Januar 2017 bis zum 31. Dezember 2017 diese tariflichen Regelungen mindestens ein Entgelt von EUR 8,50 je Zeitstunde vorsehen müssen. Mit anderen Worten: Da der allgemeine gesetzliche Mindestlohn von der Mindestlohnkommission ab 1. Januar 2017 (voraussichtlich) erhöht werden wird, bleiben davon die eingangs erwähnten tarifvertraglichen Regelungen jedenfalls bis zum 31. Dezember 2017 unberührt. Dies gilt jedoch mit der Maßgabe, dass der Mindestlohn nach diesen Tarifverträgen ab 1. Januar 2017 mindestens EUR 8,50 beträgt, auch wenn der dann geltende gesetzliche Mindestlohn bereits höher ist. Damit will der Gesetzgeber den „repräsentativen“ Tarifvertragsparteien (also vor allem den DGB-Gewerkschaften auf Arbeitnehmerseite) die Möglichkeit einräumen, für bestimmte Branchen vorübergehend abweichende Mindestlohnhöhe zu bestimmen, um so der unter Umständen schwachen Ertragskraft dieser Branchen Rechnung zu tragen.


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