10.12.2021 — Rolf Becker. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Schon einige Jahre arbeiteten die Parteien zusammen. Auf der Basis eines im Jahr 2012 geschlossenen Vertrages „Rahmenvertrag für Service Center Dienstleistungen“ erbrachte die Antragstellerin Callcenter Dienstleistungen für eine Firmengruppe.
Zu den umfangreichen Tätigkeiten mit mehr als 500 Mitarbeitern an sechs Standorten zählten u.a. auch Koordinierungsaufgaben zur Verteilung von Aufgaben auf verschiedene Teams und Auswertungen. Hierfür sind Kenntnisse unter anderem zum Aufbau und zur Anwendung der verwendeten IT- und Abrechnungsprogramme erforderlich. Mitarbeiter, wie sie in dem globalen Steuerungsteam der Antragstellerin eingesetzt sind, sind auf dem Arbeitsmarkt nicht frei verfügbar.
Der Rahmenvertrag enthält u.a. in § 27 folgende Regelungen:
„(1) Beide Parteien verpflichten sich, keinen derzeitigen Mitarbeiter oder eine sonst vertraglich verpflichtete Person des anderen Vertragspartners mittelbar oder unmittelbar abzuwerben, sofern diese mit Leistungen aus diesem Vertrag oder einem der Vertragsteile betraut ist…"
Vereinbarungen entsprechender Art sind in der IT-Branche üblich.
Die Auftragnehmerin und Antragsgegnerin des Verfahrens entschied sich während der Laufzeit der Vereinbarung, die bisher von der Antragstellerin erbrachten Dienstleistungen künftig durch eine ihrer Tochtergesellschaften erbringen zu lassen. Die Antragstellerin wurde mit Übergangsdienstleistungen betraut. Der Rahmenvertrag lief weiter. Da die Leistungen des der Mitglieder des Teams in der IT der Antragsgegnerin erbracht wurden, kannte diese sämtliche Mitarbeiter.
Am 24.11.2020 kontaktierte eine Mitarbeiterin der Antragsgegnerin den für das globale Leitungsteam der Antragstellerin in Berlin tätigen Mitarbeiter B per Telefon und erkundigte sich, ob er Interesse an einer Anstellung bei der Antragsgegnerin habe. Im Anschluss erbat ein weiterer Mitarbeiter der Antragsgegnerin, Herr C, per SMS eine „alternative Kontaktmöglichkeit“ und übersandte ihm nach Übermittlung einer privaten E-Mailadresse an diese einen Link mit einer Stellenausschreibung.
Der Geschäftsführer der Antragstellerin bekam Kenntnis hiervon und stellte die Auftraggeberin zur Rede. Allerdings setzte die Antragsgegnerin ihre Abwerbeversuche trotz gegenteiliger Zusicherungen fort. Mit Schreiben vom 21.12.2020 ließ die Antragsgegnerin die Antragstellerin anwaltlich abmahnen. Hierauf reagierte die Antragsgegnerin ebenso wenig wie auf eine erneute Aufforderung zur Abgabe einer Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung per E-Mail am 30.12.2020.
Geltend gemacht wurden u. a. Unterlassungsansprüche gestützt auf § 27 des Rahmenvertrags und auf §§ 4 Nr. 4, 3 UWG sowie § 7 UWG.
Das Abwerbeverbot trage dem infolge der Zusammenarbeit gegebenen besonderen Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien Rechnung. Dieser Vortrag zielt auf die Ausnahmen, die der Bundesgerichtshof für Abwerbeverbote und deren Wirksamkeit aufgestellt hat. Nachdem das Landgericht Köln noch eine Unterlassungsverfügung erließ, folgten dem die Richter des OLG Köln (Urteil vom 3.9.2021, Az. 6 U 81/21) nicht. Zwar sahen sie einen Verstoß gegen das Abwerbeverbot im Rahmenvertrag. Diese Klausel falle aber in den Anwendungsbereich von § 75f Handelsgesetzbuch (HGB). Danach findet im Falle einer Vereinbarung, durch die sich ein Prinzipal gegenüber einem anderen Prinzipal verpflichtet, einen Handlungsgehilfen, der bei diesem in Dienst ist oder gewesen ist, nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen anzustellen, keine Klage statt.
Die Vorschrift des § 75f HGB schließt nicht nur die Klagbarkeit von Einstellungsverboten, sondern auch von Vereinbarungen zwischen Unternehmern aus, keine Arbeitskräfte des Vertragspartners abzuwerben (vgl. BGHZ 201, 205 – Abwerbeverbot).
Es geht um die grundgesetzlich geschützte Freiheit der Berufswahl (Art. 12 GG). Diese überwiegt in aller Regel gegenüber den wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers.
Es kann Einzelfallkonstellationen geben, in denen das durch Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG geschütztes Recht auf wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des Unternehmers überwiegen kann.
Dies gilt für Fälle, in denen das Verhalten des abwerbenden Arbeitgebers eine unlautere geschäftliche Handlung darstellt, deren Verbot nach den Vorschriften des UWG beansprucht werden kann.
Das OLG führt dann Fallgruppen an, in denen ein Abwerbeverbot wirksam sein kann:
„Nicht in den Anwendungsbereich des § 75f HGB fallen außerdem solche Vereinbarungen, bei denen das Abwerbeverbot nicht Hauptzweck ist, sondern bei denen es nur eine Nebenbestimmung darstellt, die einem besonderen Vertrauensverhältnis der Parteien oder einer besonderen Schutzbedürftigkeit einer der beiden vertragschließenden Seiten Rechnung trägt. Dient ein Abwerbeverbot dem Schutz vor illoyaler Ausnutzung von Erkenntnissen, die im Rahmen solcher Vertragsverhältnisse und ihrer Abwicklung gewonnen worden sind, besteht kein Grund, die gerichtliche Durchsetzbarkeit zu versagen.
Zu dieser Fallgruppe gehören etwa Abwerbeverbote, die bei Risikoprüfungen vor dem Kauf von Unternehmen oder Unternehmensbeteiligungen vereinbart werden (sog. Due-Diligence-Prüfungen) und die vom Anwendungsbereich des § 75f HGB auszunehmen sind. Eine vergleichbare Situation kann bei einer Abspaltung von Unternehmensteilen oder Konzerngesellschaften oder bei Vertriebsvereinbarungen zwischen selbständigen Unternehmen bestehen. Auch in diesen Fallkonstellationen kann die gerichtliche Durchsetzbarkeit von Abwerbeverboten für eine reibungslose Vertragsabwicklung notwendig und eine einschränkende Auslegung des § 75f HGB geboten sein.“
Neben diesen Fallgruppen, die den Schutz von besonderen Vertrauensverhältnissen und Fälle mit einem besonderen Informationsvorsprung zur Abwerbung behandeln, kann auch der Vorwurf einer gezielten Behinderung der Geschäftstätigkeit durch Abwerbung einen Unterlassungsanspruch stützen.
Im aktuellen Fall sahen die Richter allerdings keine gebotene Ausnahme begründet. Dabei spielte es eine besondere Rolle, dass nach der vertraglichen Bestimmung des Rahmenvertrages das erworbene Wissen der Antragsgegnerin zustehen sollte.
In § 20 des Vertrags heißt es dazu, dass die Antragstellerin der Antragsgegnerin das Nutzungsrecht an sämtlichen Arbeitsergebnissen übertrage, wozu unter anderem sämtliches „A spezifisches Know How“ gehöre, welches die Antragstellerin spätestens bei Beendigung des Vertrags zu übertragen habe.
Damit konnte kein Geheimhaltungsinteresse an Know How geltend gemacht werden. Der Wissenstransfer war vertraglich gewollt. Das Abwerbeverbot diente also nicht dem Schutz vor illoyaler Ausnutzung von Erkenntnissen, die im Rahmen solcher Vertragsverhältnisse und ihrer Abwicklung gewonnen werden konnten. Auch einen besonderen Informationsvorsprung gegenüber anderen Arbeitgebern sah das Gericht nicht. Insbesondere gab es keine Kenntnisse über die Gehälter. Allein eine jahrelange Zusammenarbeit könne kein besonderes Vertrauensverhältnis begründen.
Am Ende verneinte das Gericht auch eine gezielte Behinderung. Da jeder Mitarbeiterwechsel behindernde Wirkung hat, muss es dabei um eine Behinderung gehen, die nicht alleine in der Förderung des eigenen Wettbewerbs besteht, sondern sich gezielt gegen den anderen Arbeitgeber richtet. Weder der Zweck, noch die eingesetzten Mittel sahen die Richter hier als verwerflich an.
Man darf nicht vergessen: Grundsätzlich gehört das Abwerben von Mitarbeitern zum freien Wettbewerb. Wer sich schützen will, der kann einem Arbeitnehmer vertraglich ein Wettbewerbsverbot auferlegen. Dafür muss er allerdings auch zahlen. Vertragsklauseln – auch branchenübliche – schützen nur dann, wenn besondere Ausnahmetatbestände geltend gemacht werden können. Dies ist wegen des Ausnahmecharakters eher selten der Fall.
Bild: MyCreative (Adobe Stock, Adobe Stock Standardlizenz)