02.11.2016 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Taylor Wessing Deutschland.
Eine vorsorgliche Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis des (Schein-)Werkunternehmers verhindert im Fall einer verdeckt betriebenen Arbeitnehmerüberlassung das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes mit dem (Schein-)Werkbesteller. Dies hat das Bundearbeitsgericht („BAG“) in seiner Entscheidung vom 12. Juli 2016 (AZ.: 9 AZR 325/15) zur Rechtslage nach dem aktuell geltenden Arbeitnehmerüberlassungsgesetz klargestellt.
In Deutschland ist der Fremdpersonaleinsatz weiterhin besonders beliebt. Da jedoch der Einsatz von Leiharbeitnehmern auch bereits nach geltendem Recht gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG nur vorübergehend zulässig ist, haben sich Unternehmen verstärkt einem anderen Vertragskonstrukt, dem Werkvertrag, zugewandt. Über sogenannte Onsite-Werkverträge werden innerbetriebliche Aufgaben oft dauerhaft auf externe Unternehmen ausgelagert. Finden die Arbeiten weiterhin auf dem Gelände des Werkbestellers bzw. in dessen Räumlichkeiten statt, so begibt man sich schnell in den Bereich der sog. Scheinwerkverträge. Denn insbesondere bei Onsite-Werkverträgen kann es sich schnell um verdeckte Arbeitnehmerüberlassungen handeln.
Zur Begrenzung rechtlicher Risiken halten die Auftragnehmer derartiger Werkleistungen vorsorglich regelmäßig eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis vor. Denn nach einer verbreiteten Ansicht in der Literatur kann eine derartige vorsorgliche Arbeitnehmerüberlassung in dem Fall, in dem sich herausstellt, dass ein Onsite-Werkvertrag tatsächlich eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung darstellt, jedenfalls eine illegale Arbeitnehmerüberlassung verhindern. Höchstrichterlich geklärt war diese Ansicht zum geltenden Recht bislang nicht. Das BAG hatte nun Gelegenheit, zu diesem Konstrukt Stellung zu nehmen.
Die Klägerin, eine CAD-Konstrukteurin, war ab dem Jahr 2004 bis zum 31. Dezember 2013 für die Beklagte tatsächlich tätig. Eingesetzt wurde sie bei der Beklagten auf Grundlage verschiedener zwischen ihrem Vertragsarbeitgeber und der Beklagten abgeschlossener und als Werkvertrag bezeichneter Vereinbarungen. Die Vertragsarbeitgeberin der Klägerin verfügte über die Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung. Im Rahmen des Prozesses machte die Klägerin geltend, ihre Vertragsarbeitgeberin und die Beklagte hätten nur Scheinwerkverträge abgeschlossen, um die tatsächlich stattfindende Arbeitnehmerüberlassung zu verdecken. Entsprechend könne sich die Beklagte nicht auf die dem Vertragsarbeitgeber erteilte Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung berufen. Die Klage, mit der die Klägerin festgestellt haben wollte, dass zwischen ihr und der Beklagten ein Arbeitsverhältnis besteht, wurde von den Vorinstanzen abgewiesen.
In seinem Urteil vom 12. Juli 2016 (9 AZR 352/15) hat das BAG der Praxis der sog. „Fallschirm-Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis“ eine Absolution erteilt. Denn nach Auffassung des BAG ist zwischen der Klägerin und der Beklagten (also dem tatsächlichen Entleiher) kein Arbeitsverhältnis zustande gekommen. Ein solches Arbeitsverhältnis folge weder aus § 10 Abs. 2 S. 1 AÜG noch aus § 242 BGB.
§ 10 Abs. 1 S. 2 AÜG fingiere das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses bei Fehlen einer Erlaubnis des Verleihers zur Arbeitnehmerüberlassung. Nach dieser Vorschrift gilt ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer zu dem zwischen dem Entleiher und dem Verleiher für den Beginn der Tätigkeit vorgesehenen Zeitpunkt als zustande gekommen, wenn der Vertrag zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam ist, wobei im Fall der Unwirksamkeit nach Aufnahme der Tätigkeit das Arbeitsverhältnis mit dem Zeitpunkt des Eintritts der Unwirksamkeit fingiert werde. Gemäß § 9 Nr. 1 AÜG seien Verträge zwischen Verleihern und Entleihern sowie zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern unwirksam, wenn der Verleiher nicht über die nach § 1 AÜG erforderliche Erlaubnis verfügt.
Vorliegend jedoch verfügte die Vertragsarbeitgeberin seit dem 9. Mai 1999 und damit während der gesamten Dauer der Tätigkeit der Klägerin bei der Beklagten, über eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des § 1, 2 AÜG. Die Fiktion des § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG könne daher nicht eintreten. Insoweit komme es nicht darauf an, dass die Klägerin der Beklagten im Falle einer Arbeitnehmerüberlassung entgegen § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG nicht nur vorübergehend überlassen wurde. Eine einem Verleiher vor dem 1. Dezember 2011 erteilte Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung nach § 1 AÜG sei – in der seinerzeit geltenden Fassung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes – nicht auf die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern beschränkt gewesen. Das erste Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes zur Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung vom 28. April 2011 enthalte keine Regelungen, die vor dem 1. Dezember 2011 erteilte Erlaubnisse zur Arbeitnehmerüberlassung beschränken würden.
Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1 AÜG können die Erlaubnisse zur Arbeitnehmerüberlassung nur mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, wenn die Erlaubnisbehörde aufgrund einer geänderten Rechtslage berechtigt wäre, die Erlaubnis zu versagen. Daraus werde deutlich, dass eine geänderte Rechtslage nicht per se die Unwirksamkeit einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung bewirkt oder die Erlaubnis einschränkt.
Dem stünde aus Sicht des BAG nicht entgegen, dass keiner der „Werkverträge“ offen als Arbeitnehmerüberlassungsvertrag bezeichnet wurde. Entgegen der Ansicht der Klägerin reiche auch im Falle der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung nach der zutreffenden Ansicht im Schrifttum die erteilte Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung aus, um die Rechtsfolge des § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG auszuschließen. Eine erteilte Erlaubnis stelle grundsätzlich einen wirksamen Verwaltungsakt dar, der, bevor er mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen oder – ebenfalls mit Wirkung ex nunc – widerrufen werde, Geltung beanspruche. Dem Gesetz seien keine Anhaltspunkte zu entnehmen, dass die Erlaubnis nur für die offene Arbeitnehmerüberlassung Wirkung entfalten solle.
Es sei der Klägerin zwar zuzugeben, dass im Falle eines Scheinwerkvertrages dieser gemäß § 117 Abs. 1 BGB als solcher nichtig wäre, wobei der dann über § 117 Abs. 2 BGB der eigentliche verdeckte Arbeitnehmerüberlassungsvertrag an den Maßstäben des AÜG zu messen und in Ermangelung der formalen Anforderungen des § 12 Abs. 1 S. 2 AÜG nach § 134 BGB bzw. § 125 S. 1 BGB nichtig wäre. Dies könne jedoch nicht zu der Rechtsfolge des § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG (Fiktion des Arbeitsverhältnisses zum tatsächlichen Entleiher) führen. Denn die Vorschrift verlange gerade die Unwirksamkeit des Vertrages zwischen dem Verleiher und Leiharbeitnehmer und nicht die des Vertrages zwischen Verleiher und Entleiher und dies zudem nicht aus jeglichem Unwirksamkeitsgrund, sondern einzig wegen des Fehlens der Erlaubnis nach § 9 Nr. 1 AÜG.
§ 10 Abs. 1 S. 1 AÜG könne auch nicht analog herangezogen werden. Für eine entsprechende Anwendung der Rechtfolge des § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG im Falle einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung fehle es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Das Problem der legalisierenden Wirkung einer Fallschirm- bzw. Vorratserlaubnis sei bereits vor in Kraft treten des Missbrauchsverhinderungsgesetzes am 1. Dezember 2011 umfassend diskutiert worden. Gleichwohl sei keine Regelung dieser Frage erfolgt. Eine solche sei vielmehr erstmals in dem vom Bundeskabinett am 1. Juni 2016 beschlossenen Gesetzesentwurf zur Bekämpfung des Missbrauchs bei Leiharbeit- und Werkverträgen vorgesehen worden. Dies jedoch stehe der Annahme entgegen, dass AÜG in geltender Fassung sei planwidrig unvollständig.
Der Fall der fehlenden Erlaubnis sei zudem mit der vorliegend gegebenen Konstellation gar nicht vergleichbar. Wie die Arbeitnehmerüberlassung, sei auch der Leiharbeitsvertrag gemäß § 9 Nr. 1 AÜG im Falle einer fehlenden Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis unwirksam. Um den Leiharbeitnehmer nicht schutzlos zu stellen, bedürfe es der Fiktion des § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG. Die Praktizierung eines Scheinwerkvertrages hingegen lasse die Wirksamkeit des Arbeitsvertrages unberührt. Auch sei die Auswechselung des Arbeitgebers aufgrund einer analogen Anwendung von § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG verfassungsrechtlich bedenklich. Eine derart weitreichende Rechtsfolge bedürfe einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung.
Auch unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs ist nach Auffassung des BAG kein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zustande gekommen. Ein derartiger Rechtsmissbrauch setze voraus, dass ein Vertragspartner eine an sich zulässige Gestaltung in einer mit Treu und Glauben unvereinbaren Weise nur dazu verwende, sich zum Nachteil des anderen Vertragspartners Vorteile zu verschaffen, die nach dem Zweck der Norm oder des Rechtsinstituts nicht vorgesehen sind. Habe der Gesetzgeber allerdings entschieden, einen Verstoß nicht mit einer bestimmten Sanktion zu versehen, so könne diese Sanktion nicht über § 242 BGB herbeigeführt werden. Anderenfalls würde durch eine derartige Praxis unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers eingegriffen werden.
Höchstrichterlich geklärt ist nunmehr, dass eine Fallschirm- bzw. Vorrats-Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis Scheinwerk- und Scheindienstverträge insoweit legalisiert, als das im Falle einer tatsächlich verdeckten Arbeitnehmerüberlassung jedenfalls keine illegale Arbeitnehmerüberlassung vorliegt.
Gleichwohl verbleiben auch nach geltendem Recht durchaus beachtliche Risiken für die beteiligten Unternehmen. Denn der Werk-Dienstvertrag ist im Falle einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung als Scheingeschäft gemäß § 117 Abs. 1 BGB nichtig, der dann über § 117 Abs. 2 BGB geltende verdeckte Arbeitnehmerüberlassungsvertrag regelmäßig formnichtig, da die nach § 12 Abs. 1 S. 2 AÜG vorgesehenen Angaben regelmäßig nicht enthalten sind und auch oft das Schriftformerfordernis nicht eingehalten worden ist. Entsprechend besteht dann also keine vertragliche Grundlage für Erfüllungs-, Gewährleistungs- oder etwaige Schadenersatzansprüche. Auch wird bei einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung regelmäßig nicht vertraglich vereinbart werden, dass die für den Arbeitgeber günstigeren Tarifverträge der Leiharbeitsbranche zur Anwendung gelangen sollen. Entsprechend ist der Vertragsarbeitgeber im Falle der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung verpflichtet, seinen Arbeitnehmern, die im Betrieb des Auftraggebers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts zu gewähren. Auch haftet der Auftraggeber in jedem Fall als selbstschuldnerischer Bürge für die auf die Equal-Pay-Ansprüche entfallenen Sozialversicherungsbeiträge nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB IV.
Bereits jetzt abzusehen ist, dass sich die Gesetzeslage in diesem Kontext ab dem 1. April 2017 höchstwahrscheinlich ändern wird. Denn der Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 2. Juni 2016 (BR-Drs. 294/16) sieht in § 1 Abs. 1 S. 5 AÜG Änderungsentwurf („AÜG-Neu“) vor, dass Verleiher und Entleiher die Überlassung von Leiharbeitnehmern in ihrem Vertrag ausdrücklich als solche bezeichnen müssen. Gegen dieses Offenlegungsgebot wird natürlich verstoßen, wenn Arbeitnehmerüberlassung verdeckt als Scheindienst- oder Scheinwerkvertrag praktiziert wird. Nach derzeitigem Stand wird die Arbeitnehmerüberlassung hierdurch zwar wohl nicht illegal wenn der Verleiher über eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis verfügt. Allerdings löst die verdeckte Arbeitnehmerüberlassung zukünftig wohl die gleichen Rechtsfolgen wie eine illegale Arbeitnehmerüberlassung aus. Nach den §§ 10 Abs. 1 S. 1 AÜG-Neu in Verbindung mit § 9 Nr. 1a AÜG-Neu kommt kraft Gesetzes ein Arbeitsverhältnis mit dem Auftraggeber (dem tatsächlichen Entleiher) zustande.
Diese Rechtsfolge soll allerdings nach dem derzeitigen Entwurf dann nicht eintreten, wenn der Leiharbeitnehmer schriftlich bis zum Ablauf eines Monats nach dem zwischen Verleiher und Entleiher für den Beginn der Überlassung vorgesehenen Zeitpunkt gegenüber dem Verleiher oder dem Entleiher erklärt, dass er an dem Arbeitsvertrag mit dem Vertragsarbeitgeber (also dem tatsächlichen Verleiher) festhält. Die Wirksamkeit dieser sog. Festhaltenserklärung soll dem Änderungsantrag der CDU/CSU und der SPD Fraktionen vom 18. Oktober 2016 zufolge jedoch an besonders strenge Voraussetzungen geknüpft werden. So ist vorgesehen, dass der Leiharbeitnehmer vor Abgabe der Erklärung diese bei einer Agentur für Arbeit vorlegen muss, damit diese die Erklärung mit einem Hinweis versehen kann, dass sie die Identität des Leiharbeitnehmers festgestellt hat. Ferner muss die Festhaltenserklärung drei Tage nach Vorlage bei der Agentur für Arbeit dem Verleiher oder dem Entleiher zugehen.
Letzte Klarheit wird in diesem Zusammenhang jedoch erst der finale neue Gesetzestext des AÜG bringen. Wir werden Sie insoweit selbstverständlich weiterhin über die neuesten Entwicklungen auf dem Laufenden halten. Klar ist jedoch schon jetzt, die neue Entscheidung des BAG wird sich auf die Gesetzeslage ab dem 1. April 2017 nicht mehr anwenden lassen. Obwohl der neue Gesetzesentwurf im Ergebnis die Abgrenzung zwischen Werkverträgen und Arbeitnehmerüberlassung nicht verändert, sollten Unternehmen, die sich selbst hier einem erhöhten Risiko ausgesetzt sehen, ihre bestehenden Onsite-Werkverträge ehrlich prüfen und – soweit im Einzelfall eine Werkvertragsgestaltung aufgrund der maßgeblichen tatsächlichen Gegebenheiten ausscheidet und sich diese nicht umgestalten lassen – (Schein-)Werk- und (Schein-) Dienstverträge besser vor dem 1. April 2017 auf Arbeitnehmerüberlassungsverträge umstellen. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass in schwierigen Abgrenzungsfällen für die Zukunft auch entsprechende tatsächliche Änderungen des Fremdpersonaleinsatzes erfolgen, denn nur so lässt sich das Abgrenzungsproblem selbst lösen und vermeiden, dass die Umstellung zum Boomerang für die hierdurch abgelösten Verträge wird.
Bundearbeitsgericht, Entscheidung vom 12. Juli 2016 (AZ.: 9 AZR 325/15)