Sexarbeit: Weniger Kriminalisierung, mehr Selbstbestimmung!

30.09.2024  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Lesben- und Schwulenverband (LSVD).

Derzeit ist Sexarbeit in Deutschland zwar nicht verboten, das sogenannte Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) sieht jedoch u. a. eine Anmeldepflicht, eine Kondompflicht, eine Erlaubnispflicht, Auflagen für Bordellbetreiber*innen und Zwangsberatung vor.

Am Montag, 23.09.2024, fand im Familienausschuss des Bundestags die öffentliche Anhörung zum Thema „Menschenunwürdige Zustände in der Prostitution beenden – Sexkauf bestrafen“ (BT-Drucksache 20/10384) auf Antrag der Fraktion der CDU/CSU statt. Das kommentierte aus menschenrechtlicher und queerpolitischer Perspektive Alva Träbert aus dem Vorstand des LSVD⁺ – Verband Queere Vielfalt:

Sexarbeitsfeindlichkeit, Stigmatisierung und Diskriminierung durch die Gesellschaft, im Gesundheitssystem und durch Behörden, Polizei und Justiz gehören für Sexarbeitende zur alltäglichen Lebensrealität. Dem müssen wir durch politische Maßnahmen begegnen, die ihre Menschenwürde im Fokus behalten. Wer Sexarbeiter*innen tatsächlich unterstützen will, muss sich zum Ziel setzen, ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verbessern - und sich daran orientieren, was Sexarbeiter*innen und Selbstorganisationen als Expert*innen selbst fordern. Dazu zählt der diskriminierungsfreie Zugang zum Wohnungs- und Arbeitsmarkt, zu Krankenversicherung, vollumfänglichen Sozialleistungen und Arbeitsschutz. Eine moralisierende, stigmatisierende Haltung als Basis für diese Politik schützt niemanden- sie richtet aktiv Schaden an und bringt Sexarbeitende in Gefahr.

Es ist unsere menschenrechtspolitische Verantwortung, die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Menschen in der Sexarbeit zu verbessern. Vor einer weiteren Kriminalisierung, wie sie die CDU/CSU anstrebt, warnen wir ausdrücklich. Internationale Studien zeigen deutlich, dass Verbote Sexarbeit nicht reduzieren, sondern die Situation von Sexarbeitenden auf allen Ebenen verschlechtern. Jede Form der Kriminalisierung macht die Arbeit prekärer und gefährlicher, und erschwert den Zugang zu gesundheitlicher Versorgung, zu Beratungsangeboten, aber auch den Schutz vor gewaltsamen Übergriffen und Diskriminierung durch die Polizei und durch Kund*innen Das sogenannte nordische Modell schädigt außerdem Migrant*innen besonders stark. Eine Kriminalisierung von Sexarbeit würde de facto auch eine Rekriminalisierung eines Teils des queeren Lebens ins Deutschland bedeuten. Es ist zu befürchten, dass die Polizei die Kriminalisierung von Sexarbeit zum Anlass nehmen könnte, erneut z.B. schwule Treffpunkte zu überwachen, sowohl im analogen Raum wie Bars oder Cruising-Areas als auch im digitalen Raum wie etwa Dating-Apps. Voreiner gesetzliche Neuregelung sollte zunächst die sehr umfangreiche Evaluation des ProstSchG, welche derzeit stattfindet, abgewartet werden.

Zum Hintergrund:

Die Position des LSVD⁺ zu Sexarbeit bezieht sich klar auf eine konsensuelle sexuelle Dienstleistung zwischen volljährigen Geschäftspartner*innen gegen Entgelt oder andere materielle Güter. Dem gegenüber stellt sexuelle Ausbeutung eine Menschenrechtsverletzung dar; sie muss bekämpft und Täter*innen konsequent strafrechtlich verfolgt werden. Betroffene müssen geschützt werden. Dagegen gibt es bereits jetzt eindeutige Gesetze (Vgl. u.a. §§ 232, 232a Strafgesetzbuch). Gerade auch Migrant*innen, besonders auf der Flucht, sind von sexueller Ausbeutung stark bedroht. Daher braucht es mehr legale Migrationswege, sichere Fluchtrouten und effektive Programme gegen Menschenhandel.

Sexarbeit ist vielfältig und umfasst Tätigkeitsfelder, die gesellschaftlich und politisch oft unterschiedlich bewertet und stigmatisiert werden. Queerfeindlichkeit ist gerade für Personen, die in der Sexarbeit tätig sind, ein alltägliches Problem. Dabei sind sie in ihrer Tätigkeit mitunter gezielt LSBTIQ*-feindlicher Gewalt ausgesetzt und erfahren oft auch innerhalb der Arbeitsstrukturen der Sexarbeit Ausgrenzung.

Sexarbeitende leiden weltweit unter anhaltend verbreiteter Stigmatisierung, Diskriminierung und Menschenrechtsverletzungen, darunter willkürliche Verhaftung und Inhaftierung, Gewalt durch staatliche und private Akteur*innen sowie den Ausschluss vom zivilen, politischen und kulturellen Leben. Sexarbeitende sind Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt, wobei Sexarbeitsfeindlichkeit eng mit Sexismus verknüpft ist. Zudem ist ihr Zugang zum Wohnungs- und Arbeitsmarkt oft stark eingeschränkt.

Bereits 2016 wies der VN-Generalsekretär darauf hin, dass die „Entkriminalisierung von Sexarbeit Gewalt, Belästigung und HIV-Risiko verringern kann“ und forderte die Staaten auf, Gesetze, Strategien und Praktiken abzuschaffen, die gegen die Menschenrechte verstoßen, einschließlich der Kriminalisierung von Sexarbeit. In Ländern, in denen Sexarbeit kriminalisiert ist, können Sexarbeitende wegen Straftaten wie Herumlungern, Landstreicherei, Behinderung des Straßenverkehrs, Zusammenkommen zum Zwecke der Sexarbeit, öffentliche Unsittlichkeit oder ordnungswidrigem Verhalten angeklagt werden, die alle Auswirkungen auf ihre Menschenrechte haben, einschließlich des Rechts auf Privatleben. (Implementation of the Declaration of Commitment on HIV/AIDS and the Political Declarations on HIV and AIDS, A/70/811, paras 53 and 75 (f).)

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