06.02.2024 — Michelle Bittroff. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Anmerkung der Redaktion
Seit Veröffentlichung des Artikels ist die EU zu einer Einigung gekommen. Das Gesetz zum Schutz von Frauen vor sexualisierter Gewalt ist ein wichtiger Schritt. Eine flächendeckende Regelung nach dem Ansatz „Nur Ja heißt Ja“ blieb jedoch, auch wegen des Widerstands aus Deutschland, aus. In 18 von 27 Mitgliedsstaaten wird eine Vergewaltigung weiterhin nur dann als Straftat eingestuft, wenn das Opfer geschlagen oder konkret bedroht wurde. Die fehlenden Regelungen zum Thema Vergewaltigung, einer der schlimmsten Arten der Gewalt an Frauen, wurden vielfach kritisiert. Das Gesetz soll jedoch in gut drei Jahren erneut besprochen werden.
Laut einer EU-weiten Erhebung der Fundamental Rights Agency aus dem Jahr 2014 hat jede dritte Frau seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren, jede fünfte Frau wurde verfolgt („gestalkt“) und jede zweite Frau hat eine oder mehrere Formen sexueller Belästigung erlebt.
Um unter anderem gegen diese Verletzung von Grundrechten vorzugehen, hat die EU-Kommission bereits vor zwei Jahren eine neue EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen vorgeschlagen. Denn, so EU-Gleichstellungskommissarin Helena Dalli: „Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt sind keine Privatsache, sie sind ein gesellschaftliches Problem.“
Kern der Richtlinie ist die Einführung einer einheitlichen Definition des Begriffs “Vergewaltigung“ in allen EU-Mitgliedstaaten. Darunter fallen auch Delikte im digitalen Bereich wie Cyber-Stalking, Online-Belästigung oder das ungefragte Versenden intimer Bilder, so genannter Dickpics. Die EU-Kommission schlägt vor, dass jede sexuelle Handlung an Sexualpartnerinnen wir -partnern, die nicht einvernehmlich ist, als Vergewaltigung gilt. Kurz gesagt: Nur ein ausdrückliches Ja ist ein Ja.
Bisher gibt es große Unterschiede zwischen den 27 Mitgliedstaaten: In Ländern wie Ungarn oder Polen müssen Frauen immer noch konkrete Gewalt oder Gewaltandrohung nachweisen, damit von einer Vergewaltigung gesprochen wird. Nur in 13 Ländern gibt es ein Gesetz, das Vergewaltigung als „Sex ohne Zustimmung“ definiert. Diese Definition schließt Situationen ein, in denen Frauen gezielt durch Drogen oder Alkohol wehrlos gemacht werden oder ein ausgesprochenes Nein nicht respektiert wird. In Deutschland ist die Regelung „Nein heißt Nein“ seit 2016 im Strafgesetzbuch verankert. Bei Zuwiderhandlung drohen Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.
Die neue Richtlinie würde die Lücken zwischen den unterschiedlichen Ländern schließen und festlegen, dass jede sexuelle Handlung an einer Person ohne deren ausdrückliche Zustimmung als Vergewaltigung gilt. Von nun an gilt also Ablehnung durch die Abwesenheit von Zustimmung. Das alte „Nein heißt Nein“ wird durch „Kein Ja heißt Nein“ abgelöst.
Die Richtlinie sieht außerdem eine Reihe von Maßnahmen zur Verbesserung der Unterstützung von Opfern sexualisierter Gewalt vor. Dazu gehören:
Die Richtlinie der EU-Kommission stößt jedoch bei einigen Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, auf Widerstand. Die Bundesregierung kritisiert, dass es für eine einheitliche Definition von Vergewaltigung in der EU keine Rechtsgrundlage gebe.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) argumentiert, dass die EU ihre Kompetenzen überschreiten und der Europäische Gerichtshof eine solche Regelung im Nachhinein wieder aufheben könnte. Die EU dürfe einheitliche Mindeststandards und insbesondere Mindeststrafen nur im Bereich der sogenannten EU-Straftatbestände festlegen. Zu diesen klassifizierten Straftaten zählt besonders schwere, oft grenzüberschreitende Kriminalität wie Terrorismus oder Menschenhandel. Vergewaltigung gehört bislang nicht dazu.
Darüber hinaus argumentiert die Bundesregierung, dass die Strafverfolgung von Sexualstraftaten in die Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten falle. Die schlussendliche Umsetzung der Richtlinie in den einzelnen Mitgliedstaaten müsse jedoch auch erst einmal geklärt werden.
Mit einem gemeinsamen Schreiben wollen nun 100 Frauen aus der deutschen Politik, Kultur und Wirtschaft den Druck auf Buschmann und die Bundesregierung erhöhen, um die Blockadehaltung der Bundesregierung zu beenden. Initiiert wurde der Brief vom Centre for Feminist Foreign Policy, einer Forschungs- und Beratungsorganisation für feministische Außenpolitik. Unter den ersten Unterzeichnerinnen befinden sich Luisa Neubauer von Fridays for Future und die deutsche Journalistin und Filmemacherin Düzen Tekkal.
Die Verfasserinnen warnen davor, dass der Streit um die Definition von Vergewaltigung zum Scheitern der gesamten EU-Richtlinie führen könnte. Damit könnte auch die erste umfassende Richtlinie in der EU zum Schutz von Frauen vor männlicher Gewalt gefährdet sein.
Trotz offener Fragen und Kritik ist die Richtlinie der EU-Kommission ein wichtiger Schritt im Kampf gegen sexualisierte Gewalt. Die Vereinheitlichung der Strafverfolgung, die Stärkung der Opferrechte und Präventionsmaßnahmen können einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Situation von Frauen in der EU leisten.
Quellen und Hintergründe:
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