30.05.2024 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Lesben- und Schwulenverband (LSVD).
Das Grundgesetz ist die demokratische Antwort auf die nationalsozialistischen Verbrechen. Die Bundesrepublik feiert mit 75 Jahren Grundgesetz (GG) einen wesentlichen demokratischen Meilenstein. Allerdings besteht auch die Lücke im expliziten Rechtsschutz von LSBTIQ* als Opfer des NS-Regimes im Antidiskriminierungsartikel 3Abs. 3 GG bereits seit 75 Jahren. Die hier formulierten Diskriminierungsverbote sollen die Verfolgung von Opfergruppen des NS für immer verhindern. Dazu gehörten auch LSBTIQ*. Dennoch wurden sexuelle und geschlechtliche Identität 1949 nicht in den Katalog der Diskriminierungskategorien aufgenommen, denn männliche Sexualität stand auch nach dem Ende des NS-Regimes weiterhin unter Strafe. Erst 1994 erfolgte eine vollständige rechtliche Gleichstellung. Die Aufnahme von LSBTIQ* als Opfergruppe des NS in Artikel 3 Abs. 3 GG wäre eine konsequente Weiterführung der queersensiblen Gedenkpolitik, die der Deutsche Bundestag durch das Gedenken an die queeren Opfer des NS-Regimes am 27. Januar 2023 voranbrachte. Zugleich würde der historische Kampf um Gleichberechtigung von LSBTIQ* auch nach 1949 sichtbar. Den feierlichen Geburtstag des Grundgesetzes muss die Bundesregierung unter Olaf Scholz zum Anlass nehmen, diesen Anfangsfehler zu korrigieren – wie im Koalitionsvertrag versprochen. Denn: Minderheitenrechte sind Kernbestandteil einer Demokratie. Ohne deren Garantie ist Demokratie nicht fertig.
Mittlerweile hat das Bundesverfassungsgericht das Schutzniveau von sexueller Identität über Art. 3 Abs. 1 GG dem der explizit in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Kategorien gleichgestellt. Zudem hat es das verfassungsrechtliche Verständnis von Geschlecht um die Geschlechtsidentität erweitert und damit trans*- und intergeschlechtliche sowie nicht-binäre Menschen in den Diskriminierungsschutz einbezogen. Nur eine explizite Aufnahme von sexueller und geschlechtlicher Identität in Art. 3 Abs. 3 GG sichert den Schutz von LSBTIQ* jedoch auch unabhängig von einer etwaigen Änderung dieser Rechtsprechung. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche Auswirkungen eine mögliche Machtübernahme rechtspopulistischer und queerfeindlicher Parteien in Deutschland hätte. Die Einschränkung der Rechte von Regenbogenfamilien durch die rechte Regierung in Italien sollte hier ein warnendes Beispiel sein. Durch die Verbesserung des Rechtsschutzes nach dem Vorbild der EU-Grundrechtecharta und einigen Landesverfassungen könnten bereits erstrittene Gleichstellungserfolge beispielsweise die Ehe für Alle nicht einfach wieder rückgängig gemacht werden. Unser Grundgesetz sturmfest zu machen, ist dringender denn je. Denn: Queeres Leben wird immer öfter angegriffen, ob im Netz oder auf der Straße.
Schon einmal wurde eine Lücke im Grundgesetz erkannt, und Menschen mit Behinderung im Jahr 1994 in Artikel 3 Abs. 3 GG aufgenommen. Mehrere Verfassungen von Bundesländern sowie die Grundrechtecharta der Europäischen Union schützen bereits alle queeren Menschen explizit. Zuletzt sprach sich auch Ferda Ataman als Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung für die Ergänzung von Artikel 3 Abs. 3 GG aus. Zudem unterstützen auch große zivilgesellschaftliche Organisationen wie Ver.di Regenbogen dieses Vorhaben. Im Januar stellte Präses der EKD-Synode Anna-Nicole Heinrich klar: „Unsere Demokratie muss gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entschlossen entgegentreten. […] Auch unser Grundgesetz sollte in Art. 3 alle Opfergruppen des Nationalsozialismus schützen. Dazu gehören auch queere Menschen, die bisher noch nicht namentlich genannt werden.“
Newsletter:
dasGleichstellungswissen aktuell
Praxistipps zu Rechtsfragen, Frauenförderung und Gleichstellung
Aktuelle Ausgabe Jetzt abonnierenBild: Cecilie Johnsen (Unsplash, Unsplash Lizenz)