30.03.2023 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Die Techniker.
Immer mehr Aufgaben, schneller werdende Prozesse, mobiles Arbeiten ohne Bindung an Ort und Zeit: Die Anforderungen an die Beschäftigten in der digitalen Arbeitswelt werden immer komplexer. Hinzu kommen die seelischen Belastungen der Menschen durch Zukunftsangst, Pandemie und den Krieg in Europa. Nicht selten fühlen sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgelaugt und überfordert. Diesen Trend beobachten viele Firmen und Unternehmen: Für die großangelegte Zukunftsstudie "#whatsnext - Gesund arbeiten in der hybriden Arbeitswelt" wollte die Techniker Krankenkasse (TK) in Kooperation mit dem Institut für Betriebliche Gesundheitsberatung (IFBG) und dem Personalmagazin (Haufe) wissen, was aus Sicht der Unternehmen aktuell und zukünftig die Top-Gesundheitsthemen für die Arbeitswelt sind.
Eines der auffälligsten Ergebnisse: Das Thema psychische Gesundheit nimmt an Relevanz deutlich zu. 38,5 Prozent der befragten Geschäftsführenden, Gesundheitsverantwortlichen und Personalerinnen und Personaler geben an, dass psychische Belastungen am Arbeitsplatz wie Burnout, Überforderung und Depressionen bereits jetzt eine eher große bzw. große Bedeutung in ihren Unternehmen haben. Auf die Frage, welche Bedeutung Burnout und Co. in drei Jahren haben werden, sagen das sogar rund 70 Prozent der Befragten. Die Studie wurde heute in Berlin vorgestellt. Karen Walkenhorst, Personalvorständin der TK: "Psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz haben die körperlichen Belastungen in ihrer Dringlichkeit in vielen Branchen überholt. Das ist eine große Herausforderung, der sich die Arbeitgeber stellen müssen - gleichzeitig aber auch eine Chance, die Gesundheit der Beschäftigten in Arbeitsprozessen und Unternehmenskultur fest zu verankern."
Diesen Trend bestätigen auch die Auswertungen zu den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen der bei der TK versicherten Erwerbspersonen. Bereits seit Jahren gehören psychische Erkrankungen zu den Top 3 Gründen für eine Krankschreibung. Im letzten Jahr betrug der Anteil am Gesamtkrankenstand rund 17,5 Prozent und lag damit noch vor den Krankheiten des Muskel-Skelettsystems (13,7 Prozent) und nur hinter Erkrankungen des Atmungssystems wie Grippe und Erkältung (25,3 Prozent). Auch sind die durchschnittlichen Krankheitstage je Erwerbsperson aufgrund psychischer Belastungen in den letzten zehn Jahren kontinuierlich gestiegen. War jede TK-versicherte Erwerbsperson im Jahr 2012 noch durchschnittlich 2,46 Tage mit einer psychischen Diagnose krankgeschrieben, so waren es 2022 bereits 3,33 Fehltage. Das entspricht einem Anstieg von gut 35 Prozent.
Der Arbeitsplatz ist ein wesentlicher Faktor, der die psychische Gesundheit beeinflusst. Das zeigte bereits die TK-Stressstudie "Schalt mal ab, Deutschland!" 2021. Dort gaben 47 Prozent der Befragten an, dass Beruf, Studium oder Schule der Hauptauslöser für Stress sei. Laut der aktuellen #whatsnext-Studie gehören zu den größten Herausforderungen am Arbeitsplatz die Menge sowie die Komplexität der Aufgaben, die Quantität der zu verarbeitenden Informationen, permanente Veränderungen sowie Ablenkungen und Unterbrechungen. Zwar bieten rund 40 Prozent der Unternehmen ihren Mitarbeitenden bereits Angebote zur Stressreduktion und Ressourcenstärkung an und rund 37 Prozent haben schon Workshops zum Thema Achtsamkeit und Resilienz umgesetzt. Doch das sei nur Symptombekämpfung, so TK-Personalvorständin Walkenhorst. Um die Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden langfristig zu erhalten, müsse ihre seelische Widerstandskraft dauerhaft gestärkt werden. "Ein Yogakurs allein reicht da nicht. Sowohl gesunde Arbeitsprozesse als auch eine wertschätzende und respektvolle Unternehmenskultur sind wichtige Faktoren dafür, dass die Mitarbeitenden auch langfristig körperlich und psychisch gesund bleiben", sagt Walkenhorst. Ein ganzheitliches Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) könne dabei wichtige Unterstützung leisten.
Wie bereits die erste #whatsnext-Studie 2017 ergeben hat, sind Führungskräfte die wichtigste Stellschraube in Sachen (psychischer) Gesundheit am Arbeitsplatz. Aktuell geben mehr als sechs von zehn Befragten (63 Prozent) an, dass Führungskräfte eine große bzw. sehr große Bedeutung im BGM spielen, Tendenz deutlich steigend. "Führungskräfte tragen nicht nur Verantwortung für ein Team, sie sind auch gleichzeitig Vorbild. Eine Führungskraft, die ständig erreichbar ist und auch noch spätabends Chatanfragen und Mails bearbeitet, fördert damit nicht die Gesundheit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter", so Studienleiter Dr. Mark Hübers vom IFBG. "Gesunde Führung in der agilen Arbeitswelt bedeutet vielmehr ‚Empowerment‘, also die Mitarbeitenden fachlich aber auch auf persönlicher Ebene in ihrer Eigenverantwortung zu stärken und selbst als positives Vorbild voranzugehen."
Hier setzt das sogenannte "Mindful Leadership" an. Diese noch relativ junge Führungsform basiert auf dem Prinzip der Achtsamkeit. Ziel ist, dass Führungskräfte ihre Denk-, Fühl- und Verhaltensmuster aktiv hinterfragen und so in ein bewusstes Handeln kommen, statt nur zu reagieren. Bereits jetzt messen rund 35 Prozent der Befragten dieser Art der Führung eine eher große bzw. große Bedeutung zu. Für das Jahr 2025 geben das mit rund 77 Prozent sogar mehr als doppelt so viele der Befragten an. "Eine Führungskraft, die reflektiert mit ihren eigenen Ressourcen umgehen kann, kann auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besser für deren Arbeitsweise sensibilisieren", so Hübers.
Eine der größten Herausforderungen der Chefinnen und Chefs ist das gesunde Führen auf Distanz. Wie halte ich Kontakt zu den Mitarbeitenden im Homeoffice? Wie kann auch auf Entfernung eine positive Team- und Unternehmenskultur etabliert und aufrechterhalten werden? Beim Versandunternehmen OTTO gehört ein Mix aus Präsenz und Homeoffice zur Arbeitskultur. BGM-Expertin Cora Münz von OTTO: "Wir haben festgestellt, dass zwischenmenschliche Kontakte in Präsenz, informeller Austausch oder auch gemeinsame sportliche Aktivitäten wichtig sind für ein gesundes und erfolgreiches Arbeitsleben und eine positive Unternehmenskultur. Für uns im BGM heißt das: Wir planen Gesundheitsangebote zweigleisig und denken virtuelle Workshop- oder Beratungsangebote weiterhin mit. Das gilt auch für unsere psychosoziale Beratung, die Mitarbeitende jederzeit in Anspruch nehmen können."
Bild: olia danilevich (Pexels, Pexels Lizenz)