Vergleich Deutschland – USA: Situation hierzulande bei 10 von 15 wichtigen ökonomischen und sozialen Kenngrößen besser

05.02.2024  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Hans Böckler Stiftung.

Wenn man sich ökonomische und soziale Kennzahlen jenseits des Bruttoinlandsprodukts je Einwohner*in anschaut, schneidet Deutschland in vielfacher Hinsicht besser ab als die USA. Das ergibt eine neue Studie von Prof. Dr. Jan Priewe, die vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung unterstützt wurde.

Wirtschaftsmacht Nummer eins, innovativ, Magnet für Investitionen, etwa durch niedrige Energiepreise und die Subventionen des Inflation Reduction Acts (IRA) – aber auch ein politisch, wirtschaftlich und sozial zerrissenes Land. So erscheinen die USA in der Wahrnehmung in Deutschland. Dass Amerika es besser hat, scheint die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung zu bestätigen: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf war 2022 in den USA 57 Prozent höher als in Deutschland. Rechnet man mit Kaufkraftparitäten statt dem Wechselkurs, liegt der US-Vorsprung beim BIP pro Kopf bei 21 Prozent, was ungefähr dem durchschnittlichen Abstand der vergangenen Jahrzehnte entspricht. Doch was taugt diese Zahl? Sie erlaubt nur begrenzte Rückschlüsse auf das Wohlergehen der breiten Bevölkerung, zeigt Priewes Untersuchung.

Der Ökonom, emeritierter Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin, hat einen umfassenden Vergleich zwischen Deutschland und den USA durchgeführt und dafür insgesamt 80 Indikatoren aus dem Jahr 2022 ausgewertet. Diese beziehen sich auf 15 unterschiedliche Themen von Löhnen über Einkommensverteilung, Lebenserwartung bis Wohnen und Zeitsouveränität. Damit greift Priewe auch verbreitete neue ökonomische Ansätze auf, Wohlstand nach einem breiteren, realistischeren Konzept zu messen, als es das BIP alleine kann.

Das Ergebnis: Deutschland hat in 10 der untersuchten Bereiche die Nase vorn. Besonders groß ist der Vorsprung in Sachen Umwelt, Gesundheit, Sicherheit, Work-Life-Balance und Gleichstellung. Die Vereinigten Staaten stehen lediglich bei Haushaltseinkommen und Konsum deutlich besser da, aber dies hat vor allem mit der längeren Jahresarbeitszeit zu tun. Zudem ist gleichzeitig Armut in den USA weiter verbreitet. Geringfügige Vorteile haben die USA bei den Wohnverhältnissen und in einzelnen Bereichen von Ausbildung, Forschung und Entwicklung.

Das Ziel seiner Studie sei es, die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Bedingungen statistisch zu erfassen, die für die Mehrheit der Gesellschaft gelten, mit besonderem Augenmerk auf die weniger begüterte Hälfte, schreibt der Wissenschaftler. Für diese Zwecke sei der Durchschnitt oft nicht so gut geeignet, der etwa bei großer Ungleichheit wenig aussagekräftig ist. Stattdessen biete sich – wenn verfügbar – der Median-Wert an, der genau in der Mitte einer Verteilung liegt, also beispielsweise dem maximalen Einkommen der unteren Hälfte entspricht. Um Geldsummen vergleichbar zu machen, wurden Dollar und Euro jeweils in Kaufkraftparitäten umgerechnet.

Priewes Analyse zufolge verdienen amerikanische Beschäftigte pro Jahr zwar durchschnittlich (Median-Werte liegen für viele Einkommensgrößen in den Datenquellen nicht vor) 5,3 Prozent mehr als deutsche. Allerdings müssen sie auch deutlich mehr arbeiten und kommen im Schnitt auf jährlich 1811 Arbeitsstunden, während es hierzulande 1341 sind. Als Gründe dafür nennt der Wissenschaftler unter anderem mehr Urlaubsanspruch, aber auch die höhere Teilzeitquote in Deutschland. Teilzeitarbeit ist indes insbesondere bei Frauen nicht immer freiwillig. Unter dem Strich ist der durchschnittliche Stundenlohn aller Beschäftigten in Deutschland deutlich höher als in den USA, das gilt auch, wenn man nur den Median-Stundenlohn von Vollzeitbeschäftigten betrachtet. Gleichzeitig ist der Niedriglohnsektor hierzulande kleiner. Verantwortlich dafür dürften die stärkeren Gewerkschaften und die höhere Tarifbindung in Deutschland sein, heißt es in der Studie.

Das Median-Haushaltseinkommen, für das Daten nur aus dem Jahr 2019 vorliegen, ist in den USA 21 Prozent höher, der durchschnittliche Konsum pro Kopf 61 Prozent – Medianzahlen gibt es hier nicht. Als Hauptgrund nennt der Forscher die längeren Arbeitszeiten, aber auch den Konsum der Superreichen. Gleichzeitig gebe es mehr Single- und Rentner*innen-Haushalte in Deutschland sowie weniger Kapitaleinkommen. Indes müsse berücksichtigt werden, dass beispielsweise Kindergärten und Universitäten hierzulande meist kostenfrei zugänglich sind, während in den USA teilweise hohe Gebühren fällig werden („unentgeltliche Sachleistungen des Staates“). Diese Ausgaben erhöhten in den USA den gemessenen Konsum der privaten Haushalte, ohne dass dadurch tatsächlich der Lebensstandard höher wäre. Kostenpflichtig ist auch ein Teil der Fernstraßen und Brücken.

Zudem sei die Ungleichheit in den USA deutlich größer. Als arm gelten 15,1 Prozent der amerikanischen und 10,9 Prozent der deutschen Bevölkerung, wobei der Forscher die Armutsgrenze, wie in internationalen Vergleichen der OECD üblich, bei lediglich 50 Prozent vom mittleren Haushaltsnettoeinkommen ansetzt. Dieses Niveau gilt in Deutschland als „strenge Armut“. In den USA besitzen Haushalte im Schnitt mehr als doppelt so viel Vermögen wie in Deutschland, der Median-Wert ist dagegen hierzulande geringfügig höher. Während das reichste Prozent in den USA über 40 Prozent des Gesamtvermögens verfügt, sind es in Deutschland nach Daten der Bundesbank knapp 20 Prozent.

Im Bereich Gesundheit stehe Deutschland in fast jeder Hinsicht besser da, so Priewe. Obwohl die Ausgaben im Verhältnis zum BIP in den USA höher sind, gibt es dort unter anderem eine geringere Lebenserwartung, weniger Ärzt*innen und Krankenhausbetten pro 100000 Einwohner*innen und mehr tödliche Unfälle bei der Arbeit. Ähnlich schlecht schneiden die Vereinigten Staaten in den Bereichen Umwelt und Sicherheit ab: Die Treibhausgasemissionen pro Kopf sind etwa doppelt so hoch wie in Deutschland, der Anteil der Erneuerbaren an der Energieproduktion ist halb so hoch. Die Zahl der Tötungsdelikte pro 100000 Einwohner*innen ist mehr als achtmal so hoch, ebenso die Zahl der Inhaftierten. Bei „security“ rangieren die USA international auf Platz 155 (neben Russland), Deutschland auf Platz 43. Hier sind die Unterschiede zwischen den beiden Ländern am größten.

Etwas rosiger sieht es im Hinblick auf den Wohnungsmarkt aus: Sowohl die Eigentumsquote als auch die Wohnfläche pro Kopf sind in den USA größer als in Deutschland. Der Ökonom gibt allerdings zu bedenken, dass die US-Bevölkerungsdichte um ein Vielfaches geringer ist und die Qualitätsstandards bei Gebäuden kaum vergleichbar sind. Auch bei Bildung und Forschung ist der Vorsprung der USA weniger deutlich als es auf den ersten Blick erscheint: Die Ausgaben für diesen Bereich fallen mit 6 Prozent des BIP zwar höher aus als in Deutschland mit 4,4 Prozent. Die Vergleichbarkeit werde aber dadurch beeinträchtigt, dass die duale Berufsausbildung, die hierzulande einen hohen Stellenwert hat, in dieser Statistik ausgeklammert bleibt.

Eindeutiger fällt der Vergleich in Sachen Gleichstellung aus: In entsprechenden internationalen Indizes rangiert Deutschland klar vor den USA, wo es unter anderem mehr Gewalt gegen Frauen, keinen bezahlten Mutterschaftsurlaub und einen (noch) größeren Gender Pay Gap gibt. Generell haben Amerikanerinnen und Amerikaner deutlich weniger soziale Rechte als Deutsche: Kündigungs- und Mieterschutz sind schwach ausgeprägt, es gibt keine Elternzeit, kein Kindergeld, der bundesweite Mindestlohn beträgt nur 7,25 Dollar, es gibt praktisch keine Kurzarbeit. Während staatliche Umverteilung in Deutschland die Einkommensungleichheit nach Steuern und Transfers um 42 Prozent reduziert, sind es in den USA nur 28 Prozent.

Unter dem Strich liege Deutschland in 10 von 15 untersuchten Bereichen vorn, so Priewe. Wenn man den Grad der Unterschiede berücksichtigt – ein Punkt für kleine, zwei für große und drei für sehr große Abstände – falle der Vergleich mit 23 zu 6 Punkten zugunsten Deutschlands aus. Das Ergebnis zeige, wie wenig das BIP allein im Hinblick auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der Bevölkerungsmehrheit aussagt – und wie groß der Einfluss wohlfahrtsstaatlicher Institutionen und der Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen ist. In Deutschland existiere eben eine etwas andere Spielart des Kapitalismus, so Priewe.

Zwar dürfe der Vergleich nicht über die erheblichen Probleme in Deutschland hinwegtäuschen, betont Priewe: Niedriglöhne und Armut sind auch hierzulande verbreitet, die Tarifbindung sinkt, das hohe Niveau der Gesundheitsversorgung ist bedroht. Es fehlt an bezahlbaren Wohnungen und die Schuldenbremse behindert dringend notwendige öffentliche Investitionen in innovative Techniken, Infrastruktur und Bildung, was gerade angesichts des demografischen Wandels ein Problem ist. Trotz Fortschritten beim Kita-Ausbau sind für viele Mütter reduzierte Arbeitszeiten die einzige Möglichkeit, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Gleichwohl zeige der umfassende Vergleich: Sollte sich Deutschland weiter in Richtung des liberalen US-Kapitalismus entwickeln, habe es viel zu verlieren, warnt der Forscher.

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Bild: Tim Mossholder (Pexels, Pexels Lizenz)

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